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Ungesunde Erziehungsstrategie und Verführung – Was Eltern zu „Hirndoping“ verleitet

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KÖLN. Ist „Hirndoping“ auf dem Vormarsch? Viele Eltern scheinen heute bereit, mit eigentlich verschreibungspflichtigen Medikamenten dem schulischen Erfolg ihrer Kinder nachzuhelfen. Doch was für Eltern sind es, die bereit sind, die Gesundheit ihrer Sprösslinge derart aufs Spiel zu setzen und welche Faktoren beeinflussen sie in ihrer Entscheidung? Wissenschaftler aus Köln und Siegen haben es untersucht.

Nicht erst, wenn es um die Empfehlung für die weiterführende Schule geht, wird Lehrerinnen und Lehrern im Umgang mit Eltern vielfach deutlich, dass diese sich im Hinblick auf die Zukunftschancen ihrer Kinder einem starken Druck ausgesetzt fühlen. Es sind keineswegs nur Helikoptereltern, die auch danach die Schule als implizite Wettbewerbsgesellschaft empfinden. Viele scheinen da im Kampf um Wettbewerbsvorteile auch vor dem Einsatz chemischer Mittel nicht zurückzuschrecken. Obwohl es eindeutige Zahlen zu diesem Tabuthema nicht gebe, habe «Hirndoping» ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen, mahnt etwa der Mannheimer Psychiater Andreas G. Franke.

Leistungssteigerung durch Medikamente. Eine beträchtliche Zahl von Eltern ist bereit, für den Erfolg ihrer Kinder auch Grenzen zu überschreiten. Foto: Brandon Giesbrecht / flickr (CC BY 2.0)

Der Kölner Soziologe Sebastian Sattler und sein Kollege Philipp Linden von der Universität Siegen haben nun untersucht, was Eltern dazu bringt, gesunden Kindern verschreibungspflichtige Medikamente mit Wirkstoffen wie Methylphenidat zu geben, um deren schulische und außerschulische Leistungen zu steigern. Wird Methylphenidat eigentlich zur Behandlung von Krankheiten wie ADHS (Aufmerksamkeitsdefizits-/Hyperaktivitätsstörung) verschrieben, legen Studien nahe, dass auch gesunde Menschen von solchen Medikamenten profitieren können und ihre geistige Leistungsfähigkeit steigern können. Die Forschungslage zur Wirkung bei gesunden Kindern sei allerdings begrenzt.

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Um herauszufinden, inwiefern Eltern bereit sind, Kindern trotzdem solche Medikamente zu verabreichen, baten Sattler und Linden per Online-Experiment knapp 1.400 US-amerikanische Eltern schulpflichtiger Kinder, sich eine fiktive Situation vorzustellen, in der ein anderes zwölfjähriges gesundes Kind hofft, einen Buchstabierwettbewerb zu gewinnen. Solche Wettbewerbe sind insbesondere in den USA unter Schülerinnen und Schülern sehr populär und können zu hohen Preisgeldern führen.

In ihrem Experiment variierten die Forscher die Beschreibung der Situation und die Informationen, sodass in manchen Situationen ein hohes und in anderen ein niedriges Preisgeld versprochen wurde. Auch die Informationen zu den Medikamenten wurden variiert, so etwa die Wahrscheinlichkeit und Stärke möglicher Nebenwirkungen. Da jedes Elternteil vier verschiedene Situation bewertete, konnten die Forscher knapp 5.500 Antworten auswerten.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Mehrheit der Eltern solche Medikamente bei Kindern kategorisch ablehnte. In 40 % der Situationen habe es aber mindestens eine geringe Bereitschaft gegeben, mithilfe von Medikamenten zu versuchen, den Wettbewerb und das Preisgeld zu gewinnen. Manche Eltern waren sogar in hohem Maße bereit, Kindern Medikamente zu geben, um zu gewinnen. Die Hemmschwelle vor der Medikamentengabe war besonders niedrig, wenn das Preisgeld hoch war, wenn Nebenwirkungen weniger wahrscheinlich oder weniger schwer waren, aber und auch wenn die Eltern für die Medikamente nur wenig bezahlen müssten.

Während mithin die Spezifika der Situation einen Einfluss hatten, konnten Sattler und Linden außerdem zeigen, dass auch Eltern mit bestimmten Persönlichkeitseigenschaften eher Medikamente verabreichen würden, als andere. Machiavellistisch orientierte Menschen, deren Verhalten unter anderem von manipulativem Denken, einem starken Eigeninteresse und einer geringen Bindung an Moralvorstellungen geprägt ist, waren nicht nur generell eher bereit, Kindern Medikamente zu geben, um den Wettbewerb zu gewinnen, sie reagierten auch stärker auf finanzielle Anreize – also das Preisgeld. Drohende Nebenwirkungen schreckten sie jedoch stärker ab. Zudem zeigten die Forscher, dass insbesondere Eltern, die bereits solche Medikamente in der Vergangenheit selbst genutzt hatten (etwa 15 %) oder ihren Kindern solche Medikamente gegeben hatten (knapp 7 %), eher bereit waren, dem Kind in der Situation ein Medikament zu verabreichen. Frauen und ältere Befragte waren weniger bereit dazu.

Für Sebastian Sattler und Phillip Linden geben die Ergebnisse durchaus Grund zur Besorgnis. „Eine Minderheit der Eltern scheint zunehmend intensive Elternschaft zu betreiben, begleitet von einer wettbewerbsorientierten Denkweise und getrieben von dem Wunsch, die Zukunftschancen ihrer Kinder zu optimieren sowie die Norm der altersentsprechenden Entwicklungsleistungen zu übertreffen”, heißt es in ihrer Studie. Kinder stellten eine für den hieraus resultierenden Missbrauch äußerst anfällige Gruppe dar. Dieser Aspekt stelte auch für die Forscher eine besondere Motivation dar, die schon länger zum Thema „Cognitive Enhancing“ forschen: „Ich fand dieses Thema besonders interessant, weil die Untersuchung der Eltern und Ihrer zugrunde liegenden Entscheidungsfindung sich nicht auf ihren eigenen Medikamentenkonsum, bezieht, sondern auf die Entscheidungen, die sie für ihre Kinder treffen“, erläutert Sebastian Sattler.

Auch wenn es zukünftig breiter angelegter Studien bedürfe, enthielten die Studienergebnisse einige Handlungsimplikationen für politisch und administrativ Verantwortliche, denn Kinder sollten geschützt werden, um kreativ und ohne übermäßigen Leistungsdruck aufwachsen zu können. So sollten etwa Ärztinnen und Ärzte Eltern verstärkt auf die möglichen gesundheitlichen Risiken von medizinisch nicht nötigen Medikamenteneinnahmen hinweisen. Für Gesundheitsbehörden sei außerdem die Vermittlung eines stärkeren moralischen Verständnisses ein möglicher Ansatzpunkt, da eine solche Medikamenteneinnahme neben den gesundheitlichen Risiken zu unfairen Vorteilen führen könne. (zab)

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