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Datenschützer will Schulen die Videokonferenz-Systeme verbieten, die in der Krise funktioniert haben – Elternschaften protestieren

WIESBADEN. Der hessische Datenschutzbeauftragte Alexander Roßnagel pocht darauf, dass Schulen zum 31. Juli auf Videokonferenz-Systeme wie Microsoft Teams verzichten – und auf ein landeseigenes umsteigen. Ein solches gibt es allerdings bis dato gar nicht. Die Elternvertretungen vieler Städte und Kreise im Land zeigen sich empört. In einem Brandbrief fordern sie von Roßnagel und Kultusminister Alexander Lorz (CDU), umgehend Gespräche mit Microsoft aufzunehmen, um die Datenschutz-Bedenken auszuräumen. „Die Konsequenz wäre, dass Schulen, Schüler*innen und Familien im Zweifelsfall wieder auf den katastrophalen Stand vom März 2020 zurückgeworfen würden“, so heißt es.

Ausgerechnet die Videokonferenzsysteme, die in der Krise funktionierten, sollen Schulen jetzt verboten werden. Foto: Shutterstock

Zu Beginn der Corona-Pandemie sprach der hessische Datenschutz-Beauftragte Alexander Roßnagel eine Duldung dafür aus, dass Schulen Videokonferenzsysteme (VKS) einsetzen, die in der Wirtschaft und privat tagtäglich von Millionen von Menschen genutzt werden – Microsoft Teams vor allem. Dafür setzte er allerdings eine Frist: bis zum 31. Juli 2021. „Bis zu diesem Zeitpunkt hat das Hessische Kultusministerium zugesagt, allen Schulen ein landeseinheitliches, datenschutzkonformes und technisch leistungsfähiges VKS zur Verfügung zu stellen (Landes-VKS). Damit entfällt für die Schulen in Hessen die sachliche Grundlage, andere VKS zu nutzen“, so begründet das Roßnagel.

Er erklärt dazu: „Die aktuelle Rechtslage wird derzeit insbesondere durch das sog. ‚Schrems II-Urteil‘ des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geprägt. Nach diesem Urteil ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten europäischer Bürgerinnen und Bürger in Staaten, die nicht den Datenschutzstandard der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) garantieren, untersagt.“ Damit wären die digitalen Lösungen sämtlicher US-Konzerne für Schulen tabu. Microsoft selbst betont gegenüber dem „Hessischen Rundfunk“ (hr), dass Teams durchaus datenschutzkonform von Schulen eingesetzt werden könne; es komme dabei allerdings auf die individuelle Konfiguration des Systems an. Darüber befinde man sich mit einigen Kultusministerien in engem Austausch.

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Dass der Datenschutzbeauftragte Roßnagel durchaus Spielraum hätte, großzügiger zu verfahren, belegt sein Umgang mit weiteren Programmen aus dem Hause Microsoft. „Andere Funktionen von MS Teams (z. B. Chatfunktion, Austausch von Dokumenten) und auch Microsoft 365 können im pädagogischen Bereich durch Schulen zunächst weiterverwendet werden.“ Hier werde man von Seiten des Datenschutzes kein Verbot aussprechen, so heißt es im Bericht des hr, weil es, anders als bei den Videokonferenz-Systemen, schlicht kaum massentaugliche Alternativen gebe. Sprich: An den Schulen wäre sonst wohl ein anderes Grundrecht gefährdet – nämlich das auf Bildung.

“Sehr fraglich, ob tatsächlich bis Ende August ein stabiles Videokonferenzsystem für die Schulen verfügbar sein wird“

Das drohende Verbot von Teams-Konferenzen für Schulen sorgt bei den die Elternschaften von 24 Großstädten und Kreisen in Hessen für Unverständnis. Die vom Datenschutzbeauftragten behaupteten „Alternativen“ sehen sie nicht. „Wir erleben als Eltern große Unterschiede zwischen Schulen, die erprobte und stabile Videokonferenzsysteme genutzt haben und solchen, bei denen die Kommunikation zwischen Schüler*innen und Lehrer*innen vor allem schriftlich erfolgt ist. Schon im Frühsommer 2020 hatte das Kultusministerium zugesichert, dass als Bestandteil des hessischen Schulportals zeitnah ein einheitliches Videokonferenzsystem eingeführt werden sollte. Diese Zusicherung hat uns Herr Kultusminister Lorz in unserer Online-Diskussionsrunde ‚Eltern fragen nach‘ am 8. September 2020 nochmals bestätigt und als Termin der Bereitstellung den November 2020 genannt. Allerdings ist erst am 7. April 2021 ist eine europaweite Ausschreibung zur Erstellung und Wartung eines hessenweiten Videokonferenzsystems für die Schulen erfolgt, die am 10. Mai endete.“

Weiter heißt es: „Realistischerweise kann man kaum erwarten, dass bei einem Ausschreibungsende Mitte Mai ein stabil funktionierendes, stressgetestetes Videosystem tatsächlich zum Beginn des Schuljahres 2021/22 bereitstehen wird – es sei denn, man würde auf ein bereits existierendes System eines erfahrenen Anbieters zurückgreifen, wie sie bereits flächendeckend von vielen Wirtschaftsunternehmen genutzt werden. Ob also tatsächlich bis Ende August ein stabiles Videokonferenzsystem für die Schulen verfügbar sein wird, erscheint uns sehr fraglich.“ Und das könne zum großen Problem werden, wenn Pandemie-bedingt doch wieder Distanzunterricht erteilt werden müsse.

„Auch wenn wir alle hoffen, dass zum neuen Schuljahr deutlich mehr schulischer Regelbetrieb stattfinden kann als im laufenden Schuljahr, muss man nach den Erfahrungen der letzten 15 Monate damit rechnen, dass es im Herbst oder Winter immer wieder zu partiellen oder flächendeckenden Schulschließungen kommen wird. Spätestens dann braucht es ein stabiles, in seiner Funktionalität ausgereiftes Videokonferenzsystem für die Schulen – dieses scheint aber noch lange nicht in greifbarer Nähe zu sein. Stattdessen dürfen die Schulen aber zum neuen Schuljahr die etablierten und gut funktionierenden Systeme wie beispielsweise MS Teams nicht mehr nutzen.“

“Es kann für alle nur von Vorteil sein, vorhandene Technik und Expertise zu nutzen und das Rad nicht neu zu erfinden“

Die Forderungen der Eltern: die Duldung (wie unlängst erst in Rheinland-Pfalz erfolgt) zu verlängern – und mit Microsoft in Dialog zu treten, um Schulen einen Datenschutz-kompatiblen Einsatz von Teams zu ermöglichen. „Wir sehen an anderen Bundesländern, wie schwierig es für alle ist, ein stabiles System mit entsprechender Funktionalität für die Schulen aufzusetzen. Gleichzeitig nutzen zahlreiche große und mittelständische Unternehmen Angebote internationaler Anbieter wie MS Teams, Webex, Zoom et cetera. Es kann für alle nur von Vorteil sein, vorhandene Technik und Expertise zu nutzen und das Rad nicht neu zu erfinden“, so schreiben die Eltern.

Und sie betonen: „Wir sind uns bewusst, dass die Daten unserer Kinder im digitalen Raum angemessen geschützt sein müssen. Gleichzeitig haben unsere Kinder ein Recht auf Bildung – und zwar auch im digitalen Raum. Diese beiden Grundrechte müssen schnellstmöglich in Ausgleich gebracht werden.“

Der Datenschutzbeauftragte mit dem Kürzel HBDI (Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit) ist nur zu einem kleinen Zugeständnis bereit: “Selbstverständlich ist sich der HBDI darüber im Klaren, dass es aufgrund schulspezifischer Prozesse in den einzelnen Schulen des Landes zu unterschiedlichen zeitlichen Verläufen bei der Migration kommen kann. Der HBDI ist jedoch bereit, die hieraus resultierenden Verzögerungen mitzutragen, soweit erkennbar ist, dass die Schulen den Weg hin zu einem datenschutzkonformen VKS eingeschlagen haben.” Wie Schulen das machen sollen, wenn doch das Kultusministerium in der Pflicht ist? Das lässt Roßnagel offen. Ohnehin ist seine Geduld eng begrenzt. Er gehe davon aus, “dass die Schulen bis spätestens zum Ende des ersten Schulhalbjahres 2021/22 die Umstellung vollzogen haben”, so teilt er mit. News4teachers

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