BERLIN. Die GEW in der Bundeshauptstadt erhofft sich nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus einen Schub für die Bildung. „Wir beglückwünschen die SPD und Spitzenkandidatin Franziska Giffey zu ihrem Wahlerfolg. Bei den anstehenden Sondierungen und Koalitionsverhandlungen muss das Thema Bildung höchste Priorität bekommen“, sagte die Landesvorsitzende Martina Regulin. Sie fordert von der designierten Regierenden Bürgermeisterin, das Thema Lehrermangel sofort zur Chefsache – besser wohl: Chefinsache – zu machen.
Die GEW BERLIN forderte angesichts des drastischen Mangels an Lehrkräften und Erzieher*innen und der eklatanten Unterausstattung in Hochschulen und Jugendämtern eine Ausbildungsoffensive. „Der neue Senat muss die Ausbildung von Lehrkräften, Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen ganz oben auf die Agenda setzen. Für die Ausbildung pädagogischer Fachkräfte brauchen wir dringend mehr Kapazitäten an unseren Hochschulen und Fachschulen“, sagt die GEW-Landesvorsitzenden Regulin. „Die Politik könnte seit Jahren deutlich mehr tun, um den hohen Bedarf an pädagogischen Fachkräften zu decken. Der Senat hat hier versagt. Die künftige Berliner Landesregierung muss Lehrkräftebildung sofort zur Chefsache machen“, erklärt Regulin.
Die GEW hat konkrete Vorschläge gemacht, wie dringend benötigte Lehrkräfte gewonnen werden können, „anstatt mit der Verbeamtung neue Ungerechtigkeiten zu schaffen“ (siehe Info-Kasten unten). Die Ursache für den Lehrkräftemangel ist nach Auffassung der GEW nicht die fehlende Verbeamtung, sondern dass Berlin den Ausbau der Lehramtsstudienplätze verpasst hat. Giffey hatte sich im Wahlkampf für die Wiedereinführung der Verbeamtung von Lehrkräften in Berlin stark gemacht.
„Wir brauchen ein klares Bekenntnis im Koalitionsvertrag zu besseren Rahmenbedingungen”
„Berlin bleibt bei der Ausbildung meilenweit hinter dem Bedarf zurück. Dabei sind die Herausforderungen seit Jahren bekannt“, meint hingegen Co-Vorsitzender Tom Erdmann. Die Berliner Universitäten hätten sich in den Hochschulverträgen verpflichtet: Bis 2022 sollen jährlich insgesamt 2.000 Absolvent*innen mit Lehramtsabschluss (Master of Education) die Unis verlassen. Auch der Koalitionsvertrag der zu Ende gehenden Legislaturperiode sah das vor. Dieses Ziel wird deutlich verfehlt: 2018 waren es gerade einmal 910 Absolvent*innen. 2019: 878. Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor.
In und nach der Pandemie sind Investitionen in Bildung und Soziales wichtiger denn je, meint die Gewerkschaft. „Wir brauchen ein klares Bekenntnis im Koalitionsvertrag zu besseren Rahmenbedingungen in den Bildungs- und Jugendhilfeeinrichtungen. Wir brauchen kleinere Lerngruppen, einen besseren Personalschlüssel im Ganztag, weniger Fälle pro Sozialarbeiter*in im Jugendamt. Es geht um die Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen“, betont Erdmann.
Die GEW hat eine Reihe von Forderungen an das neu gewählte Abgeordnetenhaus und den neuen Senat aufgestellt, darunter Entlastung von der Unterrichtsverpflichtung („Schule ist Persönlichkeitsbildung, keine Lernfabrik. Statt immer mehr Druck müssen Beziehungsarbeit mit den Schüler*innen und Teamarbeit für die Pädagog*innen im Vordergrund stehen“) und multiprofessionelle Teams („An Schulen werden Künstler*innen, Handwerker*innen, Musiker*innen, IT-Fachkräfte u.v.m. mit direktem Praxisbezug aus der Welt außerhalb der Schule benötigt. Auch gehören unbedingt die Berufe fest in die Schulen, die derzeit nur ergänzend, auf Antrag oder ausgelagert für Schüler*innen angeboten werden: Ergotherapie, Logopädie, Psychotherapie, Schulassistenz, Dolmetscher*innen, Pflegekräfte u.v.m..“).
“Frau Scheeres war während ihrer Amtszeit mit großen Herausforderungen konfrontiert – nun wünschen wir ihr alles Gute“
Erdmann dankt der langjährigen Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) für ihre Arbeit. „Bei aller Kritik und dem ein oder anderen Streit, den wir miteinander ausgetragen haben, waren wir uns einig in unserem Ziel, das Berliner Bildungssystem gerechter zu machen und alle Kinder und Jugendlichen bestmöglich zu fördern. Frau Scheeres war während ihrer Amtszeit mit großen Herausforderungen konfrontiert – nun wünschen wir ihr für die Zukunft alles Gute“, erklärte Erdmann. Scheeres hat angekündigt, das Amt nach der Wahl aufzugeben. News4teachers
Die Vorschläge der Berliner GEW für eine Ausbildungsoffensive in der Lehrkräftebildung im Wortlaut:
Der Schlüssel zur Deckung des Lehrkräftebedarfs durch Lehramtsabsolvent*innen liegt in der Verbesserung der Studienbedingungen, der gezielten Unterstützung der Studierenden, der Schaffung von Anreizen für ein erfolgreiches Absolvieren des Lehramtsstudiums und auch der Flexibilisierung des Praxissemesters. Die Zahl der Studienplätze im Lehramt wurde zwar seit 2015 schrittweise ausgebaut; der Aufwuchs beim Hochschul-Personal ist aber noch unzureichend. Betreuung und Beratung der Studierenden müssen verbessert werden. Dafür braucht es mehr Personal mit geringerer Lehrverpflichtung und zusätzliche Tutorien, besonders auch in den Fachwissenschaften.
Das Berliner Senats-Sonderprogramm „Beste Lehrkräftebildung für Berlin“ von Juni 2020 war ein Versuch, die Studienbedingungen zu verbessern. Die meisten der Vorhaben sind bisher aber nicht umgesetzt. So hat es keinen Ausbau der Studienplätze für die Quereinstiegs-Masterstudiengänge gegeben.
Insbesondere das Praxissemester im Masterstudium ist inzwischen ein Flaschenhals. Masterstudierende müssen ohne Verzögerung in das Praxissemester gehen können. Lehramtsstudierende im Praxissemester und im gesamten Masterstudium benötigen zudem finanzielle Unterstützung, wenn wir sie an Berlin binden wollen.
Auch der Übergang in das Referendariat muss verbessert werden, damit Lehramtsabsolvierende keine Zeitverzögerungen haben. Die Universitäten müssen ihre Abläufe bei der Erfassung und Ausstellung der Studien- und Prüfungsleistungen verbessern und die Fristen mit der Senatsverwaltung koordiniert werden.
Absolvent*innen im Lehramt ISS/Gymnasium müssen die Möglichkeit erhalten, ihr Referendariat (Vorbereitungsdienst) auf Wunsch im Grundschullehramt zu absolvieren.Zahlreiche Bundesländer haben dazu Sondermodelle aufgelegt (z. B. Hessen).
Schulwünsche von Bewerber*innen zum Referendariat sollten stärker berücksichtigt werden, insbesondere bei familiären Verpflichtungen. Seminarzeiten sind familienfreundlicher zu gestalten.
Hürden bei der Anerkennung von Lehramtsabschlüssen ausländischer Lehrkräfte sind abzubauen, durch einen leichteren Zugang zum Studium für ein zweites Fach, durch Sprachpraxiskurse, finanzielle Unterstützung und eine Begleitung bis zur vollständigen Anerkennung.
Alle Maßnahmen zur Bindung von Lehramtsabsolvent*innen in den Phasen Masterstudium, Übergang ins Referendariat und Übergang in den Schuldienst sollten durch eine Taskforce des Berliner Senats mit den Unis zusammen begleitet werden.
SPD-Bürgermeisterkandidatin Giffey bekräftigt: Lehrer in Berlin verbeamten
