BERLIN. Die Schulen sind sicher? Von wegen. Seit Ende der Herbstferien explodieren die Infektionszahlen unter Kindern und Jugendlichen. Das Robert-Koch-Institut verzeichnet Ansteckungsraten bei Schülerinnen und Schülern auf Rekordniveau – und viele Ausbrüche an Schulen. Eine Grafik, die das Geschehen bis hinunter in einzelne Städte und Landkreise anschaulich macht, offenbart Erschreckendes: Eine Corona-Walze mit Kinder-Inzidenzen über 1.000 rollt Deutschland von Osten her auf. Der Lehrerverband VBE zeigt sich irritiert über die Untätigkeit der Kultusminister.
Sebastian Mohr, Physiker und Statistiker in einer Wissenschaftler-Gruppe um die Max-Planck-Forscherin Viola Priesemann, sammelt aktuelle Corona-Daten und veröffentlicht sie fortlaufend in einer Übersichtskarte mit Inzidenzen in den Städten und Kreisen in Deutschland, die sich auch nach Alter spezifizieren lässt. Das Bild, das sich dort seit einigen Tagen für die Fünf- bis 14-Jährigen zunehmend zeigt, ist erschreckend: Eine schwarze und dunkelblaue Monster-Welle – die Farbe Schwarz markiert Inzidenzen über 1.000, Blau über 500 – breitet sich rasant aus und läuft von Osten kommend durch Deutschland.
Waren es vergangene Woche erst drei Landkreise in Brandenburg, die Horror-Werte über 1.000 für Schülerinnen und Schüler aufwiesen, sind es nun (nach Ende der Ferien in Thüringen und Bayern) schon mehr als 50 Kommunen, die sich wie eine schwarze Walze von Bayern über Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt bis hinauf in den Norden Brandenburgs erstrecken. Zwei Landkreise davon verzeichnen sogar Werte über 2.000: Elbe-Elster (2.382) in Brandenburg und Freyung-Grafenau (2.029) in Bayern.
Aber auch im Westen häufen sich bereits die Kinder-Hotspots: Die Stadt Heilbronn (Baden-Württemberg) etwa verzeichnet unter Fünf- bis 14-Jährigen bereits eine Inzidenz von 1.008, Köln von 532, Frankfurt am Main 556 und Stuttgart von 717.
„Es ist zu befürchten, dass es zu einer weiteren Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfälle kommen wird“
Das Robert-Koch-Institut (RKI) schlägt Alarm. Der gestern Abend erschienene Wochenbericht weist für Gesamtdeutschland unter den Fünf- bis Neunjährigen eine Rekord-Inzidenz von 345 aus, unter den Zehn- bis 14-Jährigen sogar von 411. Keine Altersgruppe weist höhere Inzidenzen auf, nie zuvor waren solche Werte unter Schülerinnen und Schülern gemessen worden – obwohl in den Schulen bereits seit einem halben Jahr regelmäßig getestet wird.
Das Infektionsgeschehen unter den Kindern und Jugendlichen zieht die Zahlen offensichtlich insgesamt nach oben; der Wochenbericht weist eine Gesamtinzidenz für Deutschland von 212 aus. Vor drei Wochen hatte sie noch bei 78 gelegen. „Die aktuelle Entwicklung ist sehr besorgniserregend und es ist zu befürchten, dass es zu einer weiteren Zunahme schwerer Erkrankungen und Todesfälle kommen wird und die verfügbaren intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten überschritten werden“, so heißt es.
Entgegen den Beteuerungen von Landesregierungen in dieser Woche, die Schulen seien sicher, registriert das RKI weiter ein Rekord-Niveau von Corona-Ausbrüchen an Schulen, der allerdings kurzzeitig gebremst wurde – durch die Ferien. „Die Zahl der übermittelten Schulausbrüche nahm von Anfang August bis Anfang Oktober 2021 wieder sehr deutlich zu. Der seit Mitte Oktober zu beobachtende Rückgang ist auf die Herbstferien zurückzuführen. Bisher wurden 693 Schulausbrüche für die letzten vier Wochen (Meldewoche 41-44/2021) übermittelt, doch hier sind insbesondere die letzten zwei Wochen noch nicht bewertbar.“ Nachmeldungen stünden aus.
„Seit Anfang August 2021 werden überwiegend Fälle im Alter von 6-10 und 11-14 Jahren in Schulausbrüchen übermittelt, wobei der Anteil der 6- bis 10-Jährigen seit Oktober nochmal deutlich zunahm (Anteil der Altersgruppen Ende Oktober 2021: 6-10 Jahre: 45 %; 11-14 Jahre: 33 %; 15-20 Jahre: 11 %; 21 Jahre und älter: 11 %). „Bei der zugenommenen Ausbruchshäufigkeit in Schulen spielen vermutlich die leichtere Übertragbarkeit der Delta-Variante und die ausgeweiteten Testaktivitäten eine Rolle, wobei (auch asymptomatische) Infektionen frühzeitig erkannt werden.“
Deutlich aber wird im Jahresvergleich – unabhängig von der Tatsache, dass die absoluten Zahlen durch die mittlerweile eingeführten regelmäßigen Tests beeinflusst werden –, dass die Ausbruchswelle 2021 deutlich früher begonnen hat als 2020, nämlich bereits vor den Herbstferien. Im vergangenen Jahr war die große Welle erst nach den Herbstferien angelaufen.
Dem RKI sind drei Corona-bedingte Todesfälle bei Unter-20-Jährigen gemeldet worden – allein in der vergangenen Woche
Wie ein Vergleich der Wochenberichte vom 11. und vom 4. November zeigt, sind dem RKI allein in der vergangenen Woche drei Corona-bedingte Todesfälle bei Unter-20-Jährigen gemeldet worden: In der Vorwoche wies der Bericht für die gesamte Pandemie insgesamt 29 Todesopfer aus der Altersgruppe aus, bei 19 Fällen davon lagen Angaben zu bekannten Vorerkrankungen vor. Jetzt heißt es: „Bislang sind dem RKI 32 validierte COVID-19-Todesfälle bei unter 20-Jährigen übermittelt worden. Diese Kinder und Jugendlichen waren zwischen 0-19 Jahre alt. Bei 21 Fällen lagen Angaben zu bekannten Vorerkrankungen vor. Die Todesfälle bei <20-Jährigen werden einzeln vom RKI geprüft und validiert, so dass es bei der Anzahl der Todesfälle noch zu Veränderungen kommen kann.“
„Mit Unverständnis stellen wir fest, dass die Politik abermals nur reaktiv mit dem erwartbaren Anstieg der Infektionszahlen umgeht, anstatt Verantwortung für die Bevölkerung zu übernehmen”, sagt VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann. „Auch wenn Kinder seltener schwer erkranken, können wir noch nicht abschätzen, welche Folgen sich langfristig einstellen. Es sind daher dringend Schutzmaßnahmen zu treffen, um eine weitere Ausbreitung des Virus einzudämmen und gleichzeitig den Schulbetrieb in Präsenz zu sichern.“ Konkret fordert der Verband, die gemeinsam mit dem RKI entwickelten S3-Richtlinien für Schulen anzuwenden (die beispielsweise eine generelle Maskenpflicht im Unterricht bei hohem Infektionsgeschehen vorsehen) – und die Testfrequenz in den Schulen auf drei Termine wöchentlich zu erhöhen.
Beckmann: „Von der Kommune über die Landes- bis zur Bundesebene müssen jetzt alle Akteure aktiv werden und gemeinsam Verantwortung übernehmen, anstatt weiterhin stoisch auf das Prinzip Hoffnung zu setzen.“ News4teachers
Hier geht es zum aktuellen Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts.