ERFURT. Zum Unterrichtsstart nach den Herbstferien an allen Thüringer Schulen in der höchsten Warnstufe haben Eltern teils gegen die strengeren Corona-Regeln protestiert. Es seien an einigen Schulen unter anderem wütende Schreiben von Eltern eingegangen, erklärte ein Sprecher des Thüringer Bildungsministeriums. Insgesamt sei die Stimmung “angespannt”. Thüringen steht – nachdem der Abbau der Corona-Schutzmaßnahmen in Schulen gescheitert ist – vor dem Corona-Notstand. Ministerpräsident Ramelow hat angekündigt, dass es im Freistaat bald nicht mehr genügend Intensivbetten gibt, um dort Ungeimpfte zu behandeln.
An einer Südthüringer Grundschule in Brotterode-Trusetal (Schmalkalden-Meiningen) habe es sogar eine Demonstration von Eltern gegen die Maskenpflicht im Unterricht gegeben. Der Vorsitzende des Thüringer Lehrerverbandes, Rolf Busch, zeigte sich empört über die Proteste. “Das geht gar nicht”, sagte er. Lehrer und Schüler könnten nichts für die Corona-Maßnahmen. “Wenn es eine Demonstration gegen die Maßnahmen geben soll, dann sollte sie vor dem Bildungsministerium stattfinden.” Busch betonte zugleich, dass er die Corona-Maßnahmen an den Schulen für notwendig halte. “Schulen sind der ganz falsche Adressat für solche Proteste. Schulen sollten kein Ort von Protesten sein.”
Nach Angaben des Ministeriums habe es aber auch Zuspruch für die Maßnahmen gegeben und Bestärkungen, die Schulen geöffnet zu halten. In Thüringen war für die rund 249.000 Schülerinnen und Schüler am Montag der erste Schultag nach zwei Wochen Herbstferien. In dieser Zeit waren die Corona-Infektionszahlen im Freistaat rasant gestiegen, die Belastung des Gesundheitssystems nahm zu. Inzwischen liegen alle Thüringer Landkreise und kreisfreie Städte in der höchsten Warnstufe drei, so dass auch an den Schulen deutlich strengere Infektionsschutzregeln gelten als noch vor den Ferien.
Dazu gehört unter anderem eine Maskenpflicht im Unterricht und eine Testpflicht für alle, die nicht geimpft oder von Covid-19 genesen sind. Weigern sich Eltern, ihre Kinder testen zu lassen, droht ihnen ein Bußgeld. Auch an den Kindergärten im Freistaat gelten mit Erreichen der Warnstufe drei strengere Corona-Regeln. Kinder dürfen nur noch in festen Gruppen unterrichtet werden. Elternvertreter beklagen, dass etliche Kindergärten nun ihre Öffnungszeiten wieder einschränken. «Im Schnitt ist es so, dass fast alle Einrichtungen die Zeiten kürzen», sagte die Landeselternsprecherin der Kindergärten Thüringen, Juliane Worgt. Einige hätten nur noch sieben oder acht statt der eigentlich gesetzlich vorgesehenen zehn Stunden geöffnet.
«An den meisten Schulen hatten wir noch aus Altbeständen genug Tests»
Auf die Schnelle muss das Land nun wieder die Infrastruktur für die bereits abgeschafften Schüler-Tests schaffen. Nach Angaben des Sprechers aus dem Bildungsministerium sei die Versorgung der Schulen mit den Kits zum Schulstart gesichert gewesen. «Auch wenn landesweit nur geringe Puffermengen vorhanden sind», so der Sprecher. Ausreichende Testmengen seien auf dem Weg oder bereits vorhanden. «An den meisten Schulen hatten wir noch aus Altbeständen genug Tests.» Demnach werde in dieser Woche der zweite Teil einer Lieferung von insgesamt 770.000 Corona-Tests erwartet. Außerdem soll eine weitere Lieferung von 400.000 Tests voraussichtlich am Dienstag in Deutschland eintreffen. Das Bildungsministerium wollte noch am Montag weitere 410.000 Tests bestellten, deren Lieferzeit etwa drei Wochen beträgt.
Wenige Tage vor der Bundestagswahl hatte die von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) geführte Landesregierung von Thüringen den Corona-Schutz in Schulen praktisch aufgehoben. Vor allem gab es keine Schnelltests mehr – und keine Maskenpflicht im Unterricht. Mobile Luftfilter wurden seit dem Sommer kaum angeschafft. Damit hatte das Virus unter ungeimpften Kindern und Jugendlichen praktisch freie Bahn. Das offenkundige Kalkül: Ohne die regelmäßigen Tests in den Schulen würden die Infektionen unter Kindern und Jugendlichen kaum mehr auffallen. Nur noch Schülerinnen und Schüler mit Symptomen sollten sich testen lassen, und zwar beim Arzt.
Das Experiment ist krachend gescheitert: In einzelnen Landkreisen schossen die Inzidenzen unter Fünf- bis 14-Jährigen auf bis zu 1.500 hoch (wohlgemerkt: eben ohne die Tests in den Schulen, die gerne von Kultusministern als Begründung dafür hergenommen werden, warum die Inzidenzen unter Kindern und Jugendlichen seit Monaten über denen von Erwachsenen liegen). Aktuell nähert sich Thüringen dem Corona-Notstand.
Die Intensivstationen laufen währenddessen weiter voll. Zuletzt waren im Schnitt fast neun von zehn Intensivbetten belegt
Auch am Wochenende hat sich der rasante Anstieg der Corona-Zahlen im Freistaat fortgesetzt. Die Sieben-Tage-Inzidenz sprang laut Robert Koch-Institut (RKI) erstmals seit Beginn der Pandemie über die 400er-Marke, zugleich rutschte mit dem Landkreis Nordhausen die letzte Kommune in die höchste Corona-Warnstufe drei. Damit gilt seit dem heutigen Montag in allen Kreisen und kreisfreien Städten doch wieder die Testpflicht an Schulen – außerdem müssen alle Schüler im Unterricht wieder Maske tragen. Kinder in Kindergärten dürfen nur noch in festen Gruppen betreut werden.
Die Intensivstationen laufen währenddessen weiter voll. Zuletzt waren im Schnitt fast neun von zehn Intensivbetten (88,1 Prozent) im Freistaat belegt. In knapp jedem fünften (18,4 Prozent) Bett lag ein Covid-19-Patient, wie am Sonntagmittag aus dem Register der Intensivmedizinervereinigung Divi hervorging. Ramelow hatte zuvor gewarnt, dass Ungeimpfte wegen der vollaufenden Intensivstationen schon bald nicht mehr in Thüringen behandelt werden könnten, sondern in andere Bundesländer verlegt werden müssten. In den nächsten Tagen werde man in die Situation kommen, dass es im Land nicht mehr genug Intensivbetten gibt, hatte er dem ZDF gesagt.
Thüringen ist mit 216 Corona-Todesfällen auf 100.000 Einwohner – nach Sachsen mit 256 – das Bundesland mit der schlimmsten Pandemie-bedingten Sterbequote. Thüringen ist gleichzeitig mit 61,1 Prozent das Bundesland – nach Sachsen mit 57,1 Prozent mit der geringsten Impfquote. Das gilt auch für Schülerinnen und Schüler ab 12 Jahre, für die eine Impfung von der Ständigen Impfkommission empfohlen wird: Die haben in Thüringen nur 29,2 Prozent der über-12-jährigen Kinder und Jugendlichen vollständig erhalten. Zum Vergleich: In Schleswig-Holstein ist der Anteil mit 56,2 Prozent fast doppelt so hoch. News4teachers / mit Material der dpa
