MAINZ. Die rheinland-pfälzische Landesregierung bereitet für den 12. November einen «Zukunftskongress» in Mainz vor. Dort soll nach den Worten von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) darüber beraten werden, «in welche Richtungen die Schule der Zukunft entwickelt werden soll». Der Philologenverband ist von der Ankündigung befremdet. Einerseits über den Stil: Der Verband fühlt sich übergangen. Andererseits über den Inhalt: Landesvorsitzende Cornelia Schwartz zeigt sich in «Sorge, dass wir auf Irrwege geraten». Statt das Schulsystem komplett umzukrempeln, seien «sinnvolle Veränderungen im Schulalltag zu etablieren, die uns allen wirklich weiterhelfen».
«Den Bildungsstandards bleiben wir verpflichtet, aber in ihrem Rahmen soll es mehr Freiheiten für neue Lernprozesse geben. Wir erkunden gezielt Wege zum selbstbestimmten Lernen», so hatte Hubig erklärt. Dazu könne auch eine Auflösung der klassischen Stundenpläne gehören und ihre Weiterentwicklung zu Arbeitsfenstern. Stundenplan und Noten seien kein Selbstzweck. «In der Schule der Zukunft geht es auch darum, Lehr- und Lernzeiten zu flexibilisieren und von den Stundentafeln ein Stück weit abzurücken», sagte die Ministerin.
«Es geht heute auch um Kreativität, kritisches Denken, Zusammenarbeit oder Kommunikationsfähigkeit»
Weiter erklärte sie: «Die Lehrkräfte stehen dann vielleicht nicht mehr vor einer Klasse, sondern den Schülerinnen und Schülern in verschiedenen Räumen zu unterschiedlichen Fragen mit ihren jeweiligen Kompetenzen zur Seite.» Auch bauliche Veränderungen sollten für die Schule der Zukunft entwickelt werden. Tradition und Beständigkeit hätten in den Schulen zwar weiter ihre Berechtigung. «Aber die Kompetenzen, die heute benötigt werden, sind andere als noch vor 20 Jahren: Es geht heute auch um Kreativität, kritisches Denken, Zusammenarbeit oder Kommunikationsfähigkeit.»
„Eine solche Aussage ist ein Schlag ins Gesicht jeder Lehrkraft“, meint nun aber die Philologen-Landesvorsitzende Cornelia Schwartz. Die mangelnde Wertschätzung, die Hubig, („ihres Zeichens Juristin“), der Schule entgegenbringe, schmerze. „Die Bildungsministerin tut gerade so, als wäre das etwas ganz Neues und als hätten wir noch nie Kreativität, kritisches Denken, Zusammenarbeit oder Kommunikationsfähigkeit gefördert! Das Ministerium wäre gut beraten, sich einfach einmal in ganz gewöhnlichen Schulen im Land umzuschauen, um zu sehen, dass unser Unterricht eben nicht diesem sehr engen und karikaturenhaften Bild von Schule entspricht. Es genügt nicht, sich in Briefen an Lehrkräfte und Schulleitungen in Lobhudeleien zu ergehen, wenn man draußen gleichzeitig ein absolut rückständiges Bild einer Paukschule zeichnet.“
News4teachers hatte darüber berichtet, dass eine Modellschule – wie sie Hubig skizziert – bereits existiert: Die Alemannenschule im baden-württembergischen Wutöschingen, Preisträgerin beim Deutschen Schulpreis 2019, gilt als Vorzeige-Reformprojekt.
Der Philologenverband betrachtet das dort praktizierte Konzept allerdings mit Skepsis. „Wutöschingen als Vorbild zu nehmen, bedeutet, dass demnächst Klassenzimmer zunehmend durch Lernlandschaften ersetzt werden, Lehrkräfte zu Lernbegleiterinnen und -begleitern werden und Kinder sich weithin nur noch mit den Fächern und Themen beschäftigen, auf die sie gerade Lust haben. Dass man aber auch als Lehrer Kinder für ein Fach begeistern kann, wird dabei ausgeblendet. Dass manche gerade über die Lehrerin einen Zugang zum Fach finden, wird ignoriert. Dass das gemeinsame Lernen im geschützten Raum des Klassenzimmers unendlich wertvoll sein kann, wird beiseitegeschoben“, so erklärt Schwartz.
Und weiter: „Bemerkt man dann in ein paar Jahren, dass ein derartiges Schulmodell vielleicht doch nicht das Richtige war für jeden Schüler und jede Schülerin oder jedes Themengebiet, lässt sich diese totale Umwälzung nur mit großer Mühe wieder rückgängig machen. Die Kinder, die bei diesem Versuch gescheitert sind, haben dann verloren. Daher gilt es jetzt, nicht in diese Einbahnstraße abzubiegen, sondern sinnvolle Veränderungen im Schulalltag zu etablieren, die uns allen wirklich weiterhelfen. Hierfür müsste man auf alle hören, nicht nur auf ausgewählte Strömungen, und eine Synthese finden. Sinnvoll Geld investieren hieße aus unserer Sicht, langfristig den Übergang zu kleineren Klassen und Kursen zu schaffen. Hier müsste dann nicht nur baulich, also von den Kommunen investiert werden, sondern auch die Landesregierung müsste sich bei der Verbesserung des Schulsystems finanziell beteiligen: mit der Einstellung von mehr Lehrkräften.“
Schwarz sprach sich dafür aus, neue Lernformate zunächst nur an einigen wenigen Schulen auszuprobieren, anstatt bis zu 100 Pilotschulen für die Schule der Zukunft zu benennen. Bauliche Verbesserungen wie eine lichtdurchflutete Architektur könne es gerne an allen Schulen geben, sagte Schwartz. Bei völlig neuen Schulmodellen wie der weitgehenden Auflösung von Klassengemeinschaften und der Einführung von Lernlandschaften müsse aber genau auf die jeweiligen Rahmenbedingungen der einzelnen Schulen geachtet werden.
„Dann geht man mit den Ergebnissen an die Presse und erwartet, dass die Lehrkräfte hinterher alles abnicken…”
Allerdings zeigen sich die Philologen auch von der Art der Ankündigung durch das Bildungsministerium befremdet. Der breit angelegte Beteiligungsprozess werde zusammen mit dem Landeselternbeirat (LEB) und der Landesvertretung der Schülerinnen und Schüler (LSV) auf den Weg gebracht, so hatte das erklärt. Die gesamte Schulgemeinschaft werde eingebunden.
Diese Ankündigung belegte, wie wenig man bereit zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Lehrkräften sei, meint nun der Philologenverband: Denn mit den Lehrerverbänden hat offenbar niemand aus dem Ministerium zuvor gesprochen, mit dem Philologenverband jedenfalls nicht. LEB und LSV würden zuvor ins Boot geholt, so kritisieren die Philologen, „dann geht man mit den Ergebnissen an die Presse und erwartet, dass die Lehrkräfte hinterher alles abnicken, damit man verkünden kann, man habe die ‚gesamte Schulgemeinschaft … eingebunden‘”.
Schwartz: „Ein solches Vorgehen wäre nicht weiter schlimm, sondern ‚nur‘ ein Zeichen mangelnder Wertschätzung und mangelnden Vertrauens, solange man bei der Schule der Zukunft in eine Richtung einschlüge, von der alle überzeugt wären. Allerdings haben wir Sorge, dass wir auf Irrwege geraten.“ News4teachers
