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Verbot von Schulschließungen: Bund zwingt Lehrer und Schüler im Corona-Hotspot Thüringen zum Präsenzunterricht

ERFURT. Chaos total: Der Freistaat Thüringen hatte kurz vor Weihnachten für den Januar Distanzunterricht für alle Schulen im Freistaat angekündigt – und ist nun plötzlich wieder zurückgerudert. Jetzt heißt es: „Je nach Infektionsgeschehen an der Schule kann eingeschränkter Präsenzbetrieb erfolgen“ (Hervorhebung im Original). Darüber sollen dann die Schulämter vor Ort entscheiden. Hintergrund: Das neue Infektionsschutzgesetz, im November im Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition verabschiedet, verbietet generelle Schulschließungen. Damit zwingt der Bund erstmals ein Bundesland, in der Pandemie seine Schulen offen zu halten.

Im Frühjahr hat der Bund die Länder per “Notbremse” gezwungen, die Schulen zu schließen. Jetzt zwingt er die Länder, die Schulen in der Fläche offen zu halten – egal, was vor Ort passiert. Foto: Shutterstock

Thüringen verzeichnet – trotz der eingeschränkten Datenübermittlung durch die Feiertage – nach wie vor eine Inzidenz von knapp 500 und liegt damit bundesweit an der traurigen Spitze. Auch bei der Zahl der Corona-bedingten Todesfälle weist der Freistaat eine Schreckensbilanz auf: 272 Verstorbene auf 100.000 Einwohner verzeichnet Thüringen – nach Sachsen (312) das Bundesland mit der schlimmsten Quote. Kinder und Jugendliche sind weit überproportional von den offiziell gezählten Infektionen betroffen: Der Landkreis Ilm-Kreis zum Beispiel zählt bei den Fünf- bis 14-Jährigen trotz der Weihnachtsferien eine Inzidenz von 1.834. Und dazu kommt nun Omikron.

«Wir fahren auf Sicht. Wer das macht, muss in der Lage sein, sich neu zu orientieren»

Für Bildungsminister Helmut Holter (Linke) waren das Gründe genug, endlich umzuschwenken – und seinen bisherigen Kurs des Präsenzunterrichts um jeden Preis aufzugeben. Hieß konkret: Die ersten beiden Tage an den rund 1.000 Schulen im Land sollten nach den Weihnachtsferien (3./4. Januar) demnach unterrichtsfrei sein. Lehrerinnen und Lehrer sollen sich in dieser Zeit auf eine Umstellung auf Distanzunterricht vorbereiten. Vom 5. bis 14. Januar sollte dann Distanzunterricht stattfinden, wie Holter sagte. Ab dem 17. Januar war dann Wechselunterricht vorgesehen – in welchem Rhythmus und in welcher Struktur, das sollen die Schulen selbst entscheiden. «Wir fahren auf Sicht. Wer das macht, muss in der Lage sein, sich neu zu orientieren», so begründete Holter die Kehrtwende.

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Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) wurde deutlicher: Die Landesregierung war mit dem Ergebnis des jüngsten Gipfels von Bund und Ländern unzufrieden, wie sie erklärte: «Ich hätte mir gewünscht, dass die Ministerpräsidenten den Bundestag und die Bundesregierung auffordern, die epidemische Notlage nationaler Tragweite schnellstmöglich gesetzlich wieder zu verankern.» Damit hätte man den Bundesländern ihren Worten zufolge die Möglichkeit gegeben, bestimmte Instrumente zur Eindämmung der Pandemie zu nutzen, die derzeit nicht zur Verfügung stünden. Über Schulschließungen hatte der Bund-Länder-Gipfel kein Wort verloren.

Genau dies – dass der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition die „epidemische Notlage“ auslaufen ließ und ein neues Infektionsschutzgesetz verabschiedete – macht die Erfurter Pläne nun zunichte. In Paragraf §28a wird nämlich ausgeführt, dass „folgende Schutzmaßnahmen ausgeschlossen sind: (…) die Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen im Sinne von §33.“ In §33 heißt es dann: „Gemeinschaftseinrichtungen im Sine dieses Gesetzes sind Einrichtungen, in denen überwiegend minderjährige Personen betreut werden, dazu gehören insbesondere 1. Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte, 2. die Kindertagespflege, 3. Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen, 4. Heime und 5. Ferienlager.“ Kurzum: Der Bund zwingt die Länder, ihre Kitas und Schulen offen zu halten, egal was vor Ort geschieht.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing, bis vor Kurzem FDP-Generalsekretär, hatte nach Verabschiedung des Gesetzes noch das Gegenteil behauptet, wie News4teachers berichtete: „Es ist so, dass die Bildungspolitik nach unserer Verfassung in der Zuständigkeit der Länder liegt und der Bund nicht darüber entscheiden kann, wann Schulen geöffnet und wann Schulen geschlossen werden.“ Offenbar wusste Wissing nicht, was er selbst mitbeschlossen hat.

Von anschließendem Distanzunterricht in der Fläche ist in der neuen “Allgemeinverfügung” keine Rede mehr

Das Thüringer Bildungsministerium weiß es allerdings jetzt. Nach der gestern veröffentlichten „Allgemeinverfügung“ gilt zwar, dass am 3. und 4. Januar der Präsenzunterricht bis auf eine Notbetreuung weitgehend ausgesetzt wird. „Während dessen wird an den Schulen die Infektionslage unter Schülerinnen und Schülern sowie Personal festgestellt, beispielsweise welche Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte aktuell infiziert, sich in Quarantäne befinden oder bereits seit kurzem genesen sind.  Mit diesen Informationen wird schulspezifisch festgelegt, in welcher Form der Unterricht ab 5. Januar 2022 umgesetzt wird.“

Aber: Von anschließendem Distanzunterricht in der Fläche ist keine Rede mehr. Je nach Infektionsgeschehen an einer einzelnen Schule könne dort, so heißt es, eingeschränkter Präsenzbetrieb durch Unterricht in festen Lerngruppen (Jahrgangsstufen 1 bis 6), Wechselunterricht (ab Jahrgangsstufe 7) oder, abgestimmt mit dem jeweiligen Schulamt, Distanzunterricht erfolgen. Für Schüler der gymnasialen Qualifikationsphase gilt auf jeden Fall Präsenzunterricht – egal, wie die Lage vor Ort sich darstellt. News4teachers

Hat die KMK dem Bundestag Erkenntnisse über Schulschließungen verschwiegen, damit der ein Verbot beschließt?

 

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