BERLIN. Der Ukraine-Krieg, damit ist zu rechnen, wird eine große Zahl von Flüchtlingen nach Deutschland bringen. Einmal mehr stehen die Schulen im Blickpunkt: Sie werden mit vielen Kindern umgehen müssen, die praktisch kein Deutsch sprechen. Die Erfahrungen aus der Flüchtlingskrise von 2015 sollen helfen, die Herausforderung zu meistern. Berlins Regierende Bürgermeisterin Giffey spricht mit Blick auf die damaligen Willkommensklassen von einem Erfolgsmodell.
Thüringen will laut Bildungsminister Helmut Holter (Linke) geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine möglichst rasch Deutsch-Intensivkurse anbieten. Wenn die ukrainischen Flüchtlinge einen Aufenthaltsstatus bekommen, setze damit auch die Schulpflicht und ein Recht auf Bildung ein, sagte Holter am Mittwoch. «Da brauchen wir natürlich als erstes an den Schulen Deutsch-Intensivkurse, damit die Kinder und Jugendlichen überhaupt am Unterricht teilnehmen können», betonte der Linke-Politiker.
Dazu habe man Erfahrungen vor allem in den Jahren 2015/2016 gesammelt, als eine große Anzahl an Flüchtlingen nach Deutschland kam. Bisher hätten sich noch nicht viele ukrainische Familien gemeldet, aber das könne sich noch ändern. «Die Schulen müssen sich jetzt darauf einstellen, eine Willkommenskultur entwickeln und entsprechende Angebote für das Erlernen der deutschen Sprache vorbereiten», sagte Holter. Man wolle die Schulen dazu noch näher informieren, derzeit liefen die Vorbereitungen.
Ukrainische Flüchtlinge können sich zunächst 90 Tage in der EU aufhalten, ohne einen Asylantrag stellen zu müssen. Allerdings gibt es Pläne der EU, den Kriegsflüchtlingen unkompliziert einen deutlich längeren Aufenthalt zu ermöglichen. Dazu wollen die EU-Innenminister am Donnerstag beraten. Kommt es zu einer Einigung, könnten die Flüchtlinge in Deutschland schon bald einen Aufenthaltsstatus bekommen. Laut Holter sei damit auch die Schulpflicht für die Kinder verbunden.
«Wir brauchen die Lehrkräfte dafür, die müssen möglichst auch, wenn es irgend geht, Muttersprachler sein»
Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hält sogenannte Willkommensklassen für aus der Ukraine geflüchtete Kinder und Jugendliche für wünschenswert. Allerdings lasse sich das nicht kurzfristig umsetzen. «Das braucht ein bisschen Zeit an Vorbereitung», sagte Giffey. Es sei aber nicht realistisch, schon in der nächsten Woche «ein Set an Willkommensklassen» zu haben. «Wir brauchen die Lehrkräfte dafür, die müssen möglichst auch, wenn es irgend geht, Muttersprachler sein.»
«Wir haben die Verpflichtung, die Kinder sehr zeitnah in Schule zu bringen», sagte die SPD-Politikerin. Das solle zunächst in den vorhandenen Klassen passieren. «Wenn in jeder Klasse ein zusätzlicher Stuhl steht für ein Kind mit entsprechender Ausstattung, ist das zu verkraften», sagte Giffey. «Das machen wir, das bereiten wir vor.» Die Willkommensklassen seien eine Perspektive für die Zeit danach.
«Wenn es dann mehr werden und wenn es sich alles ein bisschen sortiert, ist natürlich das Thema Willkommensklassen ein Format, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht haben», so die Regierende Bürgermeisterin. «Und das wird auch vorbereitet.» Giffey wies darauf hin, die eigenen Klassen für Geflüchtete aus Syrien seien nach 2015 ein Erfolgsmodell gewesen. «Ich stehe nach wie vor zu diesem Konzept.»
Eine Studie aus Berlin, die die praktische Arbeit mit Flüchtlingskindern an Berliner Grundschulen untersuchte, nährte seinerzeit allerdings Zweifel, ob es tatsächlich in solchen Sondergruppen gelingt, Kindern die deutsche Sprache zu vermitteln, wie News4teachers berichtete. Die Wissenschaftler sprachen sich für eine Integration der Kinder und Jugendlichen in den Regelklassen aus.
«Ein Schulbesuch gibt den Geflüchteten in dieser schweren Zeit auch ein Stück Alltagsstruktur und Normalität»
Auch Nordrhein-Westfalen will geflüchteten Kindern aus der Ukraine schnellstmöglich einen Schulbesuch ermöglichen. Angesichts der russischen Invasion bereite das Schulministerium in enger Abstimmung mit den Schulträgern alles Notwendige vor, hieß es am Dienstag auf Anfrage. «Mit großer Besorgnis blicken wir auf den Krieg in der Ukraine, der tausende Ukrainerinnen und Ukrainer zur Flucht zwingt», sagte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP). Darunter seien viele Kinder und Jugendliche. «Nordrhein-Westfalen steht zu seiner Verantwortung und heißt die Menschen, die sich bei uns vor dem Krieg in Sicherheit bringen, willkommen.»
NRW habe eine gute schulische Integrationsinfrastruktur, so dass Kinder und Jugendliche «schnell und flexibel» in den Schulen aufgenommen werden könnten, sagte die Ministerin. «Ein Schulbesuch eröffnet den Geflüchteten nicht nur Kontakt zu Gleichaltrigen, sondern gibt ihnen in dieser schweren Zeit auch ein Stück Alltagsstruktur und Normalität und damit das Gefühl von Sicherheit zurück.» Wie das konkret aussehen soll, dazu gibt es aber bislang keine Informationen.
Ihr sei bewusst, betonte Gebauer, dass die Schulen und die Schulträger derzeit bereits durch die Corona-Pandemie besondere Herausforderungen zu bewältigen hätten. «Wir werden daher nichts unversucht lassen, um zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung unserer Schulen auf den Weg zu bringen.» Schon jetzt unterstütze das Ministerium Lehrkräfte gezielt im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine und habe ihnen eine digitale Materialsammlung zukommen lassen.
Der russische Einmarsch führe in großen Teilen der Schulgemeinde zu Unsicherheiten und Ängsten und werfe für alle Beteiligten schwer zu beantwortende Fragen auf, hieß es in einer Schul-Mail aus Düsseldorf. Im Umgang mit dem Ukraine-Krieg gehe es vor allem darum, verantwortungsvoll mit den Ängsten von Kindern und Jugendlichen umzugehen und den Schulfrieden auch bei etwaigen Konflikten zwischen Schülerinnen und Schülern zu sichern. News4teachers / mit Material der dpa
„Der Lehrplan ist nicht zu schaffen“: Wenn Schüler kaum Deutsch sprechen
