DÜSSELDORF. In der kommenden Woche tagt die KMK. Die Signale weisen – mal wieder – in Richtung weiterer Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen. Ist die Pandemie für die Schulen praktisch erledigt? Ist ein Ende in Sicht? Der Leiter einer Gesamtschule im nordrhein-westfälischen Kierspe berichtete jetzt dem Stadtrat vom aktuellen Stand des Infektionsgeschehens in seiner Einrichtung – und widerlegt damit eindrucksvoll das Bild, das die Kultusminister zu zeichnen versuchen.
Vor drei Wochen wies die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien, den Vorwurf einer „Politik der Durchseuchung“ an den Schulen zurück. „Wir setzen immer noch auf strikte Hygiene-Maßnahmen, auf Testpflicht, auf Masken. Der Vorwurf ist schlicht falsch“, sagte die CDU-Politikerin. Obwohl aufgrund knapper PCR-Testkapazitäten längst nicht mehr alle Infektionen unter Schülerinnen und Schülern erfasst werden, die Kinder-Inzidenzen aber nach wie vor extrem hoch liegen – laut RKI aktuell bei 2.412 etwa bei den Grundschülern –, streichen nach und nach immer mehr Bundesländer die Maskenpflicht im Unterricht (ab Montag: Mecklenburg-Vorpommern und Hessen) und dünnen die Schnelltests aus.
Jetzt also doch eine Politik der Durchseuchung? „Wir müssen raus aus einer Kultur der Angst an den Schulen“, meinte Prien zuletzt.
Die Gesamtschule hat sich seit Weihnachten zu einem Corona-Hotspot entwickelt
Kultur der Angst an den Schulen? Was sie damit genau meint, konkretisierte Prien nicht. Der Leiter einer Gesamtschule im nordrhein-westfälischen Kierspe gab im Stadtrat nun einen Bericht zu Protokoll, der deutlich andere Bilder zeichnet: das einer vergessenen Pandemie nämlich – und: eines Kampfes für die Schülerinnen und Schüler nämlich, für den es von der Politik praktisch keine Unterstützung gibt.
Die Menschen – und damit auch die Schüler – seien pandemiemüde, so zitiert das Lokalmedium come-on.de den Pädagogen. Das merke man jeden Tag, würde die Situation seines Kollegiums aber nicht vereinfachen. Obwohl die Schule sich seit Weihnachten zu einem Corona-Hotspot entwickelt habe, verschlechterten die vom Land NRW vorgegebenen neuen Regeln fürs Schnelltesten die Situation noch einmal deutlich.
Heißt: „Wir dürfen jetzt nur noch die ungeimpften und nichtgenesenen Schüler testen. Das erfordert dann noch einmal größeren Verwaltungsaufwand. Und das an einer Schule, die in einer Stadt mit vielen Impfverweigerern liegt und selbst nur eine Impfquote von 36 Prozent hat, wobei diese ansteigt, je älter die Schüler sind und in der Oberstufe mittlerweile 70 Prozent beträgt.“ Er spricht in diesem Zusammenhang von seiner Gesamtschule als „größtem Testzentrum weit und breit“.
Seit den Weihnachtsferien habe die Schule – mit ihren insgesamt 1.350 Schülerinnen und Schülern – im Mittel rund 100 akut infizierte Kinder und Jugendliche verzeichnet. An manchen Tagen seien 40 Neuinfizierte hinzugekommen. Viele Schüler hätten sich mittlerweile das zweite oder sogar dritte Mal angesteckt. Und auch wenn das Gesundheitsamt schon lange die Nachverfolgung der Fälle aufgegeben habe, sei man in der Schule den Weg weitergegangen, Sitznachbarn von Infizierten zu ermitteln, um Infektionsketten – „so weit das möglich ist“ – zu durchbrechen.
„Kommen die Lehrer dann wieder, hören sie sich bei weitem nicht gesund an“
Welch drastische Auswirkungen das heftige Infektionsgeschehen auch für das Kollegium hat, macht der Schulleiter anhand von zwei Zahlen deutlich. So hätten sich von März 2020 bis Dezember 2021 gerade einmal zwei Lehrer der Schule infiziert – in der Zeit von den Weihnachtsferien bis jetzt seien es dagegen 20 gewesen. „Und der angeblich so milde Verlauf führt zu Ausfallzeiten von rund drei Wochen. Kommen die Lehrer dann wieder, hören sie sich bei weitem nicht gesund an“, berichtet er.
Die Zahl der dauererkrankten Kolleginnen und Kollegen steige und die Zahl derjenigen, die aufgrund der psychischen Belastung durch die Pandemie aus dem Beruf aussteigen wollten, nehme zu. Doch auch ohne solche krankheitsbedingten Ausfälle sei der Lehrermangel mehr als spürbar. Als Beispiel nennt der Direktor die schwangeren Pädagoginnen, die nicht mehr in Präsenz unterrichten könnten und deshalb digital in die Klassen geschaltet würden. „Aber auch dann brauchen wir Lehrer, die in den Klassen die Aufsicht führen“, so der Schulleiter. Bitten um Unterstützung? Seien wirkungslos verhallt.
„Wir haben mittlerweile alle die Erfahrung gemacht, dass Briefe ans Schulministerium ohne Reaktion bleiben“, sagt er und ergänzt: „Ich erwarte mittlerweile auch keine Unterstützung von der Politik mehr.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach warnt unterdessen vor steigenden Corona-Infektionszahlen im Sommer. Er hält die Beibehaltung von Schutzmöglichkeiten über den 20. März hinaus für erforderlich. «Wir müssen mit einer Sommerwelle rechnen», sagt der SPD-Politiker im Interview mit den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Sowohl die Delta- als auch die Omikron-Variante des Virus seien so infektiös, dass es selbst bei gutem Wetter durch viele Kontakte und den nachlassenden Impfschutz wieder zu steigenden Infektionszahlen kommen könnte, wenn es gar keine Einschränkungen mehr gäbe. Darauf müsse das Infektionsschutzgesetz ausgerichtet werden. Ab dem 20. März sollen die meisten Corona-Auflagen wegfallen.
Der Gesundheitsminister hält es für möglich, dass das Coronavirus noch mehrere Jahrzehnte bleiben wird: „Ich bin ziemlich sicher, dass wir eine Herbstwelle bekommen. Und auch danach wird uns Corona noch lange beschäftigen – ein Jahrzehnt oder mehr.“ Er verweist darauf, dass das HIV-Virus vor 40 Jahren aufgetaucht sei ´- und „und es ist immer noch da“. Lauterbach sagt: „Wir müssen immer wieder mit Corona-Varianten rechnen, und auch gefährliche Varianten können dabei sein.“
Das klingt deutlich anders als Priens Satz: „Wir müssen raus aus einer Kultur der Angst an den Schulen.“ News4teachers / mit Material der dpa
