BERLIN. Millionen Menschen fliehen vor dem Krieg in der Ukraine. Hunderttausende von ihnen kommen auch in Deutschland an – darunter viele Kinder. In Vielem ähnelt die Situation für die Kitas und Schulen der Lage im Jahr 2015, als binnen eines Jahres rund eine Million Menschen vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland flüchtete. Erneut steigt auf die Schnelle der Bedarf an Personal und Räumen in den Bildungseinrichtungen. Manches aber ist auch anders.
Die ersten Flüchtlingskinder sind in den Schulen angekommen. Stand Donnerstagmorgen wurden laut Sächsischem Kultusministerium 361 Schüler aus der Ukraine den öffentlichen Schulen im Freistaat zugewiesen. «Diese Zahl muss man allerdings mit Vorsicht genießen, weil viele noch keinen Antrag gestellt haben. Was wir an den Schulen sehen, ist die Spitze des Eisbergs», betont Kultusminister Christian Piwarz (CDU). «Für den ersten Anlauf können wir die Schülerinnen und Schüler auf die bestehenden Klassen verteilen und müssen keine zusätzlichen Klassen einrichten.»
Normalerweise würden die Kinder über die jeweiligen Schulleitungen angemeldet. Die Zuordnung allerdings sei relativ unkompliziert, weil die Ukraine ein Bildungsland sei und es eine große Vergleichbarkeit zu den deutschen Klassenstufen gebe.
Das sächsische Kultusministerium sieht darin durchaus Unterschiede zur Flüchtlingskrise in 2015. Auf ukrainischer Seite sei das Interesse groß daran, dass die geflüchteten Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, sagt Piwarz. «Aus der Ukraine ist die Forderung groß, dass die Kinder hier in ihrer Heimatsprache unterrichtet werden und auch einen ukrainischen Schulabschluss erhalten können.»
“Sollten die Zahlen der angestellten Fachkräfte schnell steigen, könnten wir gegebenenfalls noch mehr Kapazitäten schaffen”
Daher setze das Ministerium den Anteil der Integration erst einmal niedrig an. «Denkbar ist zum Beispiel, dass die Kinder vormittags in Deutsch als Zweitsprache unterrichtet werden und am Nachmittag auf Ukrainisch – von Kräften hier vor Ort oder per Video-Unterricht aus der Ukraine», sagt Piwarz. Zunächst will die Landesregierung für den muttersprachlichen Unterricht 100 Lehrkräfte und 100 Assistenzkräfte einstellen. Die ersten von ihnen sollen bereits am kommenden Montag ihre Arbeit aufnehmen, kündigt der Kultusminister an. «Wir werden sehen, wie sich die Stellen jetzt füllen. Sollten die Zahlen der angestellten Fachkräfte schnell steigen, könnten wir gegebenenfalls noch mehr Kapazitäten schaffen.»
Auch wenn die ukrainischen Schülerinnen und Schüler zunächst in ihrer Muttersprache unterrichtet werden – niemand weiß, wie lange der Krieg dauert. Der Platzmangel in den Schulen ist ohnehin bereits eine Herausforderung, die der Aufgabe von 2015 entspricht. Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) bringt bereits die Anmietung von Containern ins Gespräch. Wenn zusätzliche Räume für den Unterricht benötigt würden, müsse man zunächst prüfen, ob es im jeweiligen Ort Möglichkeiten zur Nutzung von Räumen gebe, sagt Holter. «Wenn es sie nicht mehr gibt, wird man auf Container zurückgreifen müssen.» So weit sei man aber noch nicht, stellt Holter klar.
“Ich gehe davon aus, dass mindestens 50 Prozent der Ankommenden Kinder und Jugendliche sind”
Container seien zwar bei den bisherigen Flüchtlingszahlen an Schulen noch kein Thema.Der Linke-Politiker rechnet allerdings mit einer großen Anzahl ukrainischer Kinder und Jugendlichen, die in den kommenden Wochen Deutschland – und Thüringen – erreichen werden. «Ich gehe davon aus, dass mindestens 50 Prozent der Ankommenden Kinder und Jugendliche sind, die dann entweder im Kindergarten oder Schulen unterkommen müssen», sagte Holter. Letztlich wisse man aber schlicht nicht, wie viele tatsächlich in Thüringen ankommen werden. Es brauche eine klare Koordinierung. Holter kündigte an, dass die Schulämter den Kindern und Jugendlichen Schulen zuweisen werden. Voraussetzung sei dafür aber, dass sich die jeweilige Familie für einen ständigen Aufenthaltsort entscheide. «Die Familien müssen bestimmen, an welchem Ort sie leben wollen», sagte Holter.
In Hamburg geht die Bildungsverwaltung davon aus, so viele Flüchtlingskinder aufnehmen zu können wie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2015/16. Schulsenator Ties Rabe (SPD) rechnet an den Schulen der Hansestadt in den kommenden Wochen mit mehreren Tausend zusätzlichen Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine. «Die Zahlen der Innenbehörde lassen vermuten, dass es bis zu 4000, vielleicht sogar noch etwas mehr Kinder im schulpflichtigen Alter gibt, die hier in Hamburg dann als ukrainische Flüchtlinge einen Schulplatz suchen», sagte Rabe am Donnerstag. «4000 plus – das ist viel.»
Aktuell sei davon jedoch noch nicht sehr viel zu merken, da auf der Prioritätenliste der vor dem Krieg geflüchteten Familien in der Aufregung nicht immer der Schulbesuch der Kinder an erster Stelle stehe. «Im Moment haben wir ungefähr 750 Schülerinnen und Schüler mit ukrainischer Herkunft, die sich jetzt hier in den letzten drei, vier Tagen in Hamburg angemeldet haben», berichtete Rabe. Tatsächlich an den Schulen angekommen sind nach jüngsten Angaben der Innenbehörde vom Dienstag bislang erst etwa 120 Kinder und Jugendliche.
Die Bildungsbehörde wird die nächsten Wochen genug zu tun haben, die bereits angemeldeten Kinder und Jugendlichen unterzubringen
Rabe betont, es gelte die Schulpflicht. «Da machen wir keine Ausnahme. Ob es sich um Flüchtlinge handelt, (…) ob es sich um Ureinwohner Hamburgs handelt – das gilt für alle.» Allerdings sei die Behörde bei Flüchtlingen insofern tolerant, als dass sich diese am Anfang erst einmal in ihrer neuen Umgebung einfinden müssten und dafür Zeit bräuchten. Außerdem werde die Behörde die nächsten Wochen schon genug zu tun haben, die bereits angemeldeten Kinder und Jugendlichen unterzubringen.
Rabe rechnet in etwa zwei, drei Wochen mit einem Höhepunkt bei den Anmeldungen. Die Anmeldewege seien auch erheblich vereinfacht worden. So könnten die Kinder entweder direkt zu den Schulen gehen oder sich online anmelden. Nach dem Peek wolle sich die Behörde aber schon «auf den Weg machen und abgleichen, ob da nicht noch eine Reihe von Kindern sind, die vielleicht mit ihren Eltern noch nicht auf die Idee gekommen sind, sich anzumelden». Dies werde anhand eines Datenabgleichs geschehen. «Das ist eine gewisse Herausforderung, aber das wollen wir machen», unterstrich der Senator.
Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingswelle 2015/16 gab es den Angaben zufolge an Hamburgs Schulen 525 sogenannte internationale Vorbereitungsklassen und Basisklassen. Derzeit seien es noch 225. Geplant seien 300 weitere Vorbereitungsklassen. Bei einer Regelbelegung von 18 Kindern ergäben dies rechnerisch 5400 zusätzliche Plätze. News4teachers / mit Material der dpa
