IFFEZHEIM. Wie wäre es? Sie fühlen sich ausgeglichen und gehen jeden Tag gerne zur Schule. Weder Korrekturen noch Konferenzen, die Kritik emotionsgeladener Eltern oder das Geläster der Nachbarin über den „Halbtagsjob mit viel zu langen Ferien“ bringen Sie aus dem Konzept. Mit stoischer Ruhe trinken Sie Ihren Kaffee, organisieren noch den familiären Alltag, pflegen die erkrankten Eltern und setzen sich am Abend konzentriert an die letzten Korrekturen der Abschlussklassen. Wie wäre das? Ist es ein Wunschdenken? Ein unerfüllbarer Traum? Trotz aller Herausforderungen im Lehrerberuf: Es gibt Wege aus dem Dauerstress – sagt unser Gastautor, der Schulleiter und Gesundheitsexperte Carsten Bangert.
Zufrieden und selbstbestimmt durch den Schulalltag – Wege aus dem Dauerstress
von Carsten Bangert
Immer noch und immer wieder zählen Lehrkräfte zu den Berufsgruppen mit sehr hohen Burnout-Raten und Anträgen auf Dienstunfähigkeit. Corona hat diesen Zustand nicht verbessert. Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen hat in den vergangenen Jahren zumindest dazu geführt, dass das Thema „Lehrergesundheit“ mittlerweile auf der Agenda der Kultusbehörden einen festen Platz einnimmt. Zurecht!
Carsten Bangert arbeitet als Schulleiter, Autor und Referent. Er beschäftigt sich seit 20 Jahren mit der Gesundheitsförderung von Lehrkräften. Bekannt wurde er durch das Buch “Wenn Lehrer nicht mehr leben wollen – Depressionen verstehen, vorbeugen, überwinden”, das man mittlerweile nur noch über seinen Online-Shop beziehen kann.
Der Experte für Gesundheitsförderung und Selbstmanagement hat sein Wissen jüngst in dem voll-digitalen Online-Video-Kurs “Atempause für Lehrerinnen und Lehrer” zusammengefasst. Interessierte erhalten weitere Informationen und das kostenlose Info-Video “Warum eine Atempause für Lehrer/innen wichtig ist!” unter: https://aktiv.carsten-bangert.de/.
Die Bilanz ist allerdings noch immer ernüchternd:
- Nur 17 % aller Lehrer/innen in Deutschland gelten als gesund.
- 31 % leiden bereits unter Burnout, einem umfassenden Erschöpfungssyndrom oder Depressionen.
- Mindestens 29 % sind akut gefährdet, in einen ähnlichen Zustand zu gelangen.
Von einer Million Lehrkräften in Deutschland, Österreich und der Schweiz sind also etwa 600.000 in einem besorgniserregenden Zustand! Die wenigsten von ihnen nehmen allerdings professionelle Hilfe in Anspruch.
Was benötigen diese Personen, damit es ihnen in der Schule wieder besser geht?
Wenn wir die wenigen gesunden und erfolgreichen Lehrkräfte nach ihren konkreten Bedürfnissen fragen, dann sind es oft jene Anliegen, die ich als die „5 A” – Die Grundbedürfnisse erfolgreicher Lehrkräfte zusammengefasst habe (Bangert, 2020, S. 118):
- Anerkennung und Wertschätzung ihrer Arbeit
- Autonomie im Handeln und die damit verbundene Verantwortung
- Anspruchsvolle Aufgaben und damit die Möglichkeit zu persönlichem Wachstum
- Austausch mit Vorgesetzten, um notwendige Fragen zeitnah zu klären
- Adäquates Arbeitsumfeld, sprich: vernünftige Arbeitsbedingungen, eine angemessene Ausstattung und unterstützende Kolleg/innen
Möchte man das Wohlbefinden der Lehrkräfte verbessern, geht es also zum einen darum, die Rahmen- und Arbeitsbedingungen zu optimieren. Immanente Baustellen in unserem Schulsystem gibt es mehr als genug. Die Aufgabenfülle, die an die Schulen derzeit übertragen wird, ist mehr als fragwürdig. Es ist also notwendig, den bildungspolitischen Kampf um gesündere Arbeitsbedingungen konsequent fortzuführen.
Zum anderen ist es aber wichtig, dass wir Lehrer/innen an uns selbst denken. In meiner Arbeit zur Gesundheitsförderung lag der Fokus bisher weniger auf Bildungspolitik. Ich konzentriere mich bei meiner Arbeit auf die Menschen selbst – ihr Erleben und Verhalten. Dabei beschäftige ich mich seit mehr als 20 Jahren mit der Frage, wie Lehrkräfte konkret mit ihren Beanspruchungen in der Schule gesundheitsförderlicher umgehen können, ohne dabei ihr Engagement und ihre Wirksamkeit spürbar einzuschränken.
Wenn wir also davon ausgehen, dass es neben dem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen (Verhältnismanagement) auch darum gehen muss, an uns selbst zu arbeiten (Verhaltensmanagement), drängt sich folgende Frage auf:
Was können wir selbst tun?
Ich lade Sie dazu ein, den Blick auf folgende drei Aspekte der Zufriedenheit zu richten:
- Dankbarkeit
- Vorstellungskraft
- Aktivität
Dabei schlage ich vor, dass Sie die folgenden Übungen konkret durchführen, auch wenn sie Ihnen vielleicht etwas eigenartig erscheinen. In der Praxis haben sie sich als äußerst hilfreich erwiesen. Lesen Sie den folgenden Text also unbedingt zu Ende und steigen Sie nicht vorzeitig aus, wenn Sie an wirksamen Impulsen für mehr Gesundheit und Zufriedenheit interessiert sind.
Keine Sorge: In meinem Beitrag wird es nicht nur darum gehen, dankbarer zu sein oder sich eine bessere Zukunft vorzustellen. Viele Lehrkräfte wissen bereits sehr gut, was sie tun sollten. Die Umsetzung im Alltag gelingt allerdings meist nicht dauerhaft. Aus genau diesem Grund biete ich hier einen anderen Zugang an:
- Dankbarkeit
Zunächst geht es darum, den Blick auf das Positive zu lenken:
Viel zu oft sind unsere Gedanken von Mangel, Angst und Unvermögen geprägt. Viel zu oft denken wir an das, was wir nicht haben, nicht können oder machen uns die Dinge bewusst, die uns nicht gelingen mögen. Das ist menschlich, aber nicht wirklich stimmungsaufhellend.
Ersetzen Sie die Gedanken des Mangels, der Angst und des Unvermögens mit Gedanken des Dankes. Wie sagte einst Sir John Templeton: “Das beste Mittel, um Angst zu überwinden, ist tiefe Dankbarkeit.”
Im Folgenden stelle ich Ihnen eine Frage, die Sie am besten schriftlich (!) beantworten. Nutzen Sie die Kraft des geschriebenen Wortes für sich.
Wofür sind Sie dankbar?
Hören Sie auf Ihr Herz. Vielleicht sind Sie dankbar für Ihr Umfeld, Ihr Wissen, Ihren sicheren Arbeitsplatz, die wertvollen Beziehungen in der Schule, die Tatsache, dass Sie Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung begleiten dürfen?
Was ist es genau, das Sie wirklich mit Dankbarkeit erfüllt?
In diesem Zustand der Fülle und Dankbarkeit verweilen Sie bitte, während Sie sich den Fragestellungen des nächsten Themas widmen:
- Vorstellungskraft
Nun geht es darum, Ihr Unterbewusstsein zu nutzen – die Kraft der Imagination:
- Stellen Sie sich genau vor, wie Sie sich Ihr Leben (in der Schule und neben der Schule) wünschen.
- Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn Ihnen all das gelänge.
- Fokussieren Sie sich auf diesen idealen Zustand. Fragen Sie sich dabei nicht, wie es Ihnen gelingen kann, diesen Zustand zu erreichen. Darum geht es zunächst nicht. Stellen Sie sich nur Ihren idealen Zustand vor!
Am besten schließen Sie die Augen, während Sie sich die ein oder andere der folgenden Fragen stellen.
Wichtig: Es geht um Ihren Idealzustand, nicht um Ihre aktuelle Situation!
- Wie gehen Sie morgens aus dem Haus?
- Wie kommen Sie in der Schule an?
- Welchen Menschen begegnen Ihnen dort?
- Wie gehen Sie mit diesen Menschen um?
- Wie gehen diese Menschen mit Ihnen um?
- Wie gestalten Sie Ihren Unterricht?
- Wie gehen Sie mit Kritik, wie mit einem/r disziplinlosen Schüler/in um?
- Wie erleben Sie die Pausen?
- Wie empfinden Sie die Phasen der Korrekturen oder Unterrichtsvorbereitungen?
- Wie gestalten Sie Ihre Freizeit, die Feierabende, Wochenenden, Ihre Ferien?
Konzentrieren Sie sich voll und ganz auf Ihr Vorstellungsvermögen. Betrachten Sie diesen idealen Zustand vor Ihrem geistigen Auge.
Wie fühlt sich dieser Zustand für Sie an?
Wenn Sie mögen, können Sie Ihrem Unterbewusstsein noch folgende Fragestellungen mitgeben:
- Was muss ich tun, um diese Ziele zu erreichen?
- Worauf muss ich mich konzentrieren?
- Alles, an das ich glaube ist … .
- Was werde ich als ersten Schritt zum Ziel konkret unternehmen?
Machen Sie diese Übung regelmäßig und immer wieder und lassen Sie Ihr Unterbewusstsein für sich arbeiten. Es wird Ihnen eine Antwort auf Ihre Fragen geben. Davon bin ich überzeugt!
Wenn Sie sich im Klaren darüber sind, was Sie wirklich wollen, ist bereits ein großer Schritt getan. Um Ihr Ziel zu erreichen, genügt es jedoch nicht, sich die Ziele bloß bewusst zu machen. Es braucht mehr. Es braucht Handlung – Aktivität.
- Aktivität
Nach dem regelmäßigen Durchführen der eben vorgestellten Imagination wird Ihnen bald bewusst sein, in welchen Bereichen Sie sich noch entwickeln können bzw. wollen.
Gehen Sie es JETZT an und verändern Sie Ihre Situation hier und heute. Aufschieben ist keine Lösung und wird in der Regel zu einem noch weniger befriedigenden Zustand führen. Warten Sie nicht bis “irgendwann”, denn “irgendwann” ist JETZT.
In dieser wichtigen Phase der Aktivität sind Impulse und Anregungen von außen hilfreich, damit Sie sich durch die Auseinandersetzung mit anderen Sichtweisen weiterentwickeln können.
Dieses Gegenüber kann ein Coach, ein/e gute/r Freund/in oder auch eine Weiterbildung sein. Ändern Sie die Perspektive! Betrachten Sie die Dinge aus einer anderen Flughöhe! Umstände lassen sich nicht so leicht ändern wie unsere Einstellung.
Demnach können wir mehr für unser Wohlbefinden tun als wir manchmal glauben.
Meine 10 Bausteine aktiven Selbstmanagements geben einen Überblick über Ihre Handlungsoptionen. Das Modell beinhaltet zahlreiche Bereiche schulischen Handelns, in denen man sich weiterbilden kann, wenn man offen für Veränderung ist:
Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Arbeit an den Bausteinen nicht alleine zu einem besseren und dauerhaften Wohlbefinden führen wird. Folgender Aspekt ist entscheidend: Die Arbeit an unserem Mindset, an unserer Haltung, unseren Einstellungen.
So entwickelte ich in den letzten Jahren ein Online-Intensiv-Seminar, in dem ich anbiete, neben den zehn Bausteinen auch am persönlichen Mindset zu arbeiten. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Mittelpunkt:
- Was ist Dir wirklich wichtig?
- Was treibt Dich an?
- Warum arbeitest Du so selten für Dich?
- Wie kann es Dir gelingen, noch effizienter zu arbeiten?
Bei Interesse erhalten Sie weitere Einblicke in meine Arbeit, indem Sie sich den kostenlosen Video-Kurs „Warum ist eine Atempause für Lehrerinnen und Lehrer so wichtig?“ auf meiner Homepage sichern (https://aktiv.carsten-bangert.de/).
Fazit: Der Kampf um bessere Arbeitsbedingungen an unseren Schulen muss auch (aber nicht nur!) wegen des notwendigen Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Lehrkräfte weitergehen. Bildung ist in Deutschland unsere wichtigste Ressource. Die Bildungspolitik hat alle Hände voll zu tun, wenn sie unsere Lehrkräfte dauerhaft gesunderhalten möchte. Gesunde Lehrkräfte sind eine wesentliche Voraussetzung für gesunde Schulen.
Gleichzeitig ist es notwendig und wichtig, dass wir Lehrkräfte immer wieder den Blick auf uns selbst richten. Wir Lehrkräfte können unser Wohlbefinden maßgeblich durch Aktives Selbstmanagement und die Arbeit an unserem Mindset verbessern.
Zahlreiche in der Praxis erprobte und wirksame Methoden liegen bereits vor. Machen Sie sich immer wieder bewusst, wofür Sie eigentlich dankbar sein können. Fokussieren Sie sich mit all Ihrer Vorstellungskraft auf Ihren gewünschten Zustand. Lassen Sie in der Zwischenzeit Ihr Unterbewusstsein für sich arbeiten. Und wenn Ihnen dieses sagt, in welchen Bereichen Sie sich weiterentwickeln sollten, hören Sie auf Ihre innere Stimme und gehen Sie Ihre Themen konsequent und zeitnah an.
Sie brauchen nicht viel, um mehr Wohlbefinden zu erleben:
Ruhe, wertvolle Denkanstöße, Zeit für eine gründliche Selbstreflexion und ein offenes Herz für die persönliche Entwicklung!
Bleiben Sie in dieser ganz besonders kräftezehrenden Zeit gesund und achten Sie gut auf sich selbst!
Ihr Carsten Bangert
Quellen:
Bangert, Carsten (2005). Mit aktivem Selbstmanagement zu mehr Gesundheit und Zufriedenheit im Lehrberuf. IN: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.). Lehrergesundheit. Tagungsbericht 141. Berlin, Dortmund, Dresden. Seite 57-74.
Bangert, Carsten (2019). Vertreib die Affen mit den Kieselsteinen. Impulse für Gesundheit und Zufriedenheit von Lehrerinnen und Lehrern. Weinheim: Beltz.
Bangert, Carsten (2020). Was gute Lehrerinnen und Lehrer ausmacht. Und was wir von ihnen lernen können. Weinheim: Beltz.
https://www.carsten-bangert.de/
https://aktiv.carsten-bangert.de/