WIESBADEN. In Deutschland herrscht Lehrkräftemangel. Schon im vergangenen Schuljahr blieben bundesweit geschätzt 15.000 Lehrerstellen insbesondere an Grundschulen unbesetzt. Die KMK hat gerade erst eine Kommission damit beauftragt, den eigentlich bereits seit Jahren bekannten Umstand zu analysieren – da kommt die Flüchtlingswelle aus der Ukraine auf die Schulen zu. In seiner Not schreibt Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) nun Lehrkräfte in Teilzeit an, ihre Arbeitszeit aufzustocken. Das Problem: Viele davon haben ihr Stundendeputat verringert, um den immensen Belastungen in Vollzeit zu entkommen. Fraglich also, ob Lorz mit seiner Initiative erfolgreich sein wird.
„Ich wende mich heute persönlich an Sie, um Ihre Unterstützung zu erbitten. In den vergangenen Tagen und Wochen sind täglich zum Teil mehr Schutzsuchende aus der Ukraine nach Hessen gekommen als auf dem Höhepunkt der großen Fluchtbewegung in den Jahren 2015 und 2016. Aktuell können wir noch nicht genau abschätzen, wie viele ukrainische Kinder und Jugendliche in den folgenden Tagen und Wochen in unsere Schulen aufgenommen werden. Dennoch wollen wir diese Herausforderung meistern“, so schreibt Lorz (der Brief liegt News4teachers vor).
Und weiter: „Als Teil der Gesellschaft tragen wir gerade in der Schule Verantwortung für die vielfach traumatisierten Kinder und Jugendlichen aus Kriegsgebieten wie der Ukraine und anderswo und empfinden es nicht nur als unsere berufliche Aufgabe, sondern als humanitäre Verpflichtung, ihnen mit unseren Möglichkeiten Sicherheit, Halt und die Chance einer persönlichen Weiterentwicklung zu geben. Als Lehrkraft tun Sie dies bereits vielerorts täglich mit einem hohen professionellen und auch menschlich persönlichen Einsatz, wofür ich Ihnen sehr herzlich danken möchte.“
Lorz erwartet einen “mitten im Schuljahr auf uns zukommenden Ansturm von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern”
Der Kultusminister betont: „Um diesem mitten im Schuljahr auf uns zukommenden Ansturm von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern gerecht werden zu können, bedarf es einer Vielzahl weiterer Lehrkräfte nicht nur in unserem Land, sondern auch in allen übrigen Ländern in Deutschland.“ – und lobt sich selbst: „Ich bin froh, dass wir in Hessen auf ein bereits etabliertes und sich auch in Krisenzeiten bewährtes Gesamtsprachförderkonzept bauen können und nicht erst neue Strukturen schaffen müssen. Zudem ermöglicht das Land Hessen durch die Bereitstellung finanzieller Mittel die Einstellung von Lehrinnen und Lehrern zur Bewältigung der neuen Herausforderung.“
Dann lässt er die Katze aus dem Sack: „Als bereits im Schuldienst tätige Lehrkraft bitte ich Sie heute herzlich darum, über eine Aufstockung Ihrer Teilzeit nachzudenken. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns in dem Bemühen, den schutzsuchenden Kindern und Jugendlichen zu helfen, durch Ihren zusätzlichen Einsatz unterstützen würden. Bei Interesse können Sie entweder im Rahmen unseres Sprachförderkonzeptes unterrichten oder im Zuge einer Stundenaufstockung eine schulinterne Umorganisation ermöglichen, damit andere Lehrkräfte diesen Unterricht übernehmen können.“
Sollte der Empfänger des Briefes dem Ersuchen nachkommen wollen, soll er sich „möglichst umgehend“ mit seiner Schulleitung in Verbindung zu setzen. Diese werde sich in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Schulamt um alles Weitere kümmern.
Worauf Lorz in seinem Schreiben nicht eingeht: Die GEW Hessen hatte die Besoldung von Grundschullehrkräften zwischen den Bundesländern analysiert und dabei festgestellt, dass Hessen inzwischen bei der Besoldung deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. News4teachers