STUTTGART. Der Streit um den Datenschutz an Schulen wird immer absurder. Neueste Spitze: Der Hauptpersonalrat (HPR) Gymnasien im Kultusministerium von Baden-Württemberg verweigert dem Einsatz des Lernmanagementsystems itslearning die Zustimmung – der aber vom Datenschutzbeauftragten des Landes ausdrücklich empfohlen wird. Die Begründung des HPR: unzureichender Datenschutz. Weil der Datenschutzbeauftragte Schulen, die Microsoft nutzen, unlängst mit Prüfverfahren gedroht hat, ist das Chaos jetzt groß. Der Philologenverband warnt unterdessen vor russischen U-Booten.
„Wir bitten um Mitteilung konkreter Umsetzungsschritte und eines verbindlichen Zeitplans, wie Sie die Umstellung von MS 365 (bzw. MS Teams als Teil von MS 365) zu einem anderen datenschutzkonformen Produkt vornehmen werden“, so heißt es in einem auf den 26. April datierten Brief des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten Stefan Brink an eine Schulleitung, die News4teachers vorliegt. Frist: bis 8. Juni. Insgesamt 40 solcher Schreiben sollen an Schulen im Land verschickt worden sein.
„Sofern Sie am Einsatz von MS 365 festhalten, teilen Sie uns daher bitte mit, wie Sie alle Verarbeitungen zu Zwecken des Anbieters unterbinden, inkl. Messungen, welche dies eindeutig nachweisen“, so schreibt Brink. Als „Alternative“ werden von ihm ausdrücklich die Plattform itslearning sowie die Open-Source-Software Moodle genannt.
„Pauschale Aussagen über die rechtskonforme Nutzbarkeit von Produkten sind kaum möglich”
Heißt konkret: Die betroffenen Schulleitungen sollen beweisen, dass Microsoft Schülerdaten grundsätzlich nicht missbräuchlich im Sinne der europäischen Datenschutzverordnung nutzen könnte – ein Ansinnen, das gar nicht realisierbar ist und für kein anderes digitales Produkt verlangt wird. Die Beteuerung des Konzerns, selbstverständlich den Datenschutz zu achten, interessiert den Datenschutzbeauftragten wenig. Der droht den Schulen mit Konsequenzen, sollten sie nicht reagieren: „Wir behalten uns vor, gegebenenfalls nach pflichtgemäßem Ermessen, ein Verfahren entsprechend §25 Absatz 4 des Landesdatenschutzgesetzes einzuleiten“, so heißt es in dem Schreiben.
Offensichtlich mag das grün geführte Kultusministerium keinen Grundsatzstreit mit dem Datenschutzbeauftragten ausfechten. Obwohl es in einem Schreiben an die Schulleitungen im Land, das auf den 11. Mai datiert ist und News4teachers ebenfalls vorliegt, betont: „Pauschale Aussagen über die rechtskonforme Nutzbarkeit von Produkten sind kaum möglich, eine pauschale Untersagung oder Freigabe der Nutzung in allen erdenklichen Formen – wie dies in der öffentlichen Diskussion häufig verkürzt dargestellt wird – ist daher nicht möglich.“ Anders ausgedrückt: Der Datenschutzbeauftragte überschreitet womöglich seine Befugnisse, wenn er so tut, als könne er Schulen MS365 grundsätzlich verbieten.
Trotzdem empfiehlt das Ministerium den Schulen einen Umstieg – vor allem eben auf itslearning, das vom Land gratis bereitgestellt wird. Kleine Einschränkung: „Es ist jedoch aktuell anzumerken, dass eine Zustimmung für die Nutzung von itslearning für Gymnasien vom Hauptpersonalrat der Gymnasien noch nicht vorliegt. Dazu stehen wir mit dem Gremium im Austausch.“
Doch die wird wohl nicht kommen – aufgrund von Datenschutz-Bedenken. Cord Santelmann, Referent für IT und Medien beim Philologenverband Baden-Württemberg, begründet das gegenüber der „Rhein-Neckar-Zeitung“ so: Er sehe bei itslearning grundsätzliche Probleme. So verarbeite die Software Daten über US-Firmen. Wie alle amerikanischen Unternehmen unterliegen diese US-Gesetzen, wonach auf Anfragen von US-Behörden personenbezogene Daten herauszugeben sind. Daher sei ihm unklar, wie itslearning unter EU-Datenschutzrecht genutzt werden könne.
Der Einwand ist tatsächlich pikant, weil der Datenschutzbeauftragte Brink im Fall Microsoft genau diesen Sachverhalt problematisiert – bei itslearning aber nicht. Brink habe dem landesweiten Einsatz von itslearning schon zugestimmt, obwohl er selbst noch „datenschutzrechtliche Bedenken“ sah, wie er in seinem Jahresbericht 2021 selbst schrieb, berichtet das Blatt. Unter anderem würden bei dem Programm Daten in Drittstaaten verarbeitet, obwohl dies vertraglich ausgeschlossen sei. Doch er halte es „angesichts der aktuellen pandemischen Situation auch für vertretbar, den Dienst schon jetzt auszurollen, wenn die Probleme sodann zügig in Angriff genommen würden“, so wird Brink zitiert – offenbar mit zweierlei Maß messend. Diese Probleme, so habe er bestätigt, seien bei itslearning nach wie vor aktuell.
„Wie die Vergangenheit gezeigt hat, haben die von Ihnen empfohlenen Produkte und Plattformen gänzlich versagt”
Der Vertreter des Philologenverbands empfiehlt den Schulen nun „Moodle“ als „sichere und geeignete Open-Source-Alternative“. Eine derzeit laufende Petition von Lehrern, Eltern und Schülern hält dem allerdings entgegen: „Wie die Vergangenheit gezeigt hat, haben die von Ihnen empfohlenen Produkte und Plattformen gänzlich versagt. Selbst das Kultusministerium hat empfohlen, die favorisierten Landesprodukte nicht flächendeckend zum Videostreaming zu nutzen, da schlicht und ergreifend die Kapazitäten fehlen.“ Sie fürchtet, die Schulen würden durch die ideologisierte Datenschutzdebatte „in die Steinzeit“ zurückgeworfen – und fordert pragmatische Lösungen im Umgang mit US-Software wie Microsoft.
Die mag allerdings der baden-württembergische Philologenverband nicht sehen. Er hege grundsätzliche Bedenken gegen die Nutzung digitaler Infrastruktur mit Übersee-Datenverkehr, so zitiert die „Rhein-Neckar-Zeitung“ den IT-Referenten Santelmann. Die Präsidentschaft von Donald Trump und dessen Umgang mit dem chinesischen IT-Unternehmen Huawei habe gezeigt, wie riskant Abhängigkeit sei. Auch seien transatlantische Kabel angreifbar – etwa durch russische U-Boote. Er finde: „Der Staat sollte die systemrelevante digitale Infrastruktur dauerhaft sicher verfügbar halten. Eigentlich geht das nur, wenn er sie selbst betreibt.“
Mal abgesehen davon, dass staatliche Kontrolle von sensiblen Daten keinen Missbrauch ausschließt (im Gegenteil, wie autoritäre Regime weltweit vormachen): Das wird viel Geduld erfordern. Baden-Württemberg ist schon einmal mit der Entwicklung einer eigenen Lernplattform namens „ella“ gescheitert; das Projekt wurde eingestellt. Nordrhein-Westfalen doktert an seiner Lösung „logineo“ seit elf Jahren herum. Das System ist erst seit Kurzem verfügbar, gilt aber schon jetzt als technisch veraltet – und kann die allermeisten Schülerinnen und Schüler immer noch nicht einbeziehen, wie News4teachers unlängst berichtete. News4teachers
