BERLIN. Angesichts des Lehrkräftemangels will eine Grundschule in Prenzlauer Berg neue Wege gehen. Nach einem Konzept der Schulleitung soll der Unterricht eine halbe Stunde später beginnen, die Schulstunden sollen um fünf auf 40 Minuten verkürzt werden, wie die «Berliner Morgenpost» berichtet. Die GEW hatte zuvor Verständnis dafür geäußert, wenn Schulen ihr Angebot einschränken müssen – allerdings auf eine Konsequenz hingewiesen: Der gleiche Inhalt lasse sich dann nicht vermitteln.
Durch die Kürzung der Stunden soll sich das Unterrichtsangebot an der Grundschule am Kollwitzplatz insgesamt auch bei knappen Lehrkräfteressourcen aufrechterhalten lassen. «Die Umsetzung des Konzepts ist fürs kommende Schuljahr geplant und wird durch eine Evaluierung zum Ende der beiden Halbjahre begleitet», zitiert die Zeitung aus einem Brief der Schulleitung an die Eltern.
Der reguläre Unterrichtsbeginn soll dabei auf 8.30 Uhr verschoben werden. Denn zur ersten Stunde seien die Personalprobleme gravierender, weil viele in Teilzeit beschäftigte Lehrkräfte ihre eigenen Kinder zu dieser frühen Uhrzeit noch nicht in Betreuung geben könnten. Beschlossene Sache ist das neue Konzept allerdings noch nicht: Die Gesamtkonferenz und die Schulkonferenz müssen noch zustimmen. Die Bildungsverwaltung teilte der «Berliner Morgenpost» mit, die Schulen könnten per Schulkonferenzbeschluss die Anfangsschulzeit selbst bestimmen.
„Wir sind in einer absoluten Krisensituation. Es braucht ein kluges und transparentes Vorgehen.”
In Anbetracht der kritischen Personallage ist es aus Sicht der Bildungsgewerkschaft nachvollziehbar, wenn über eine Kürzung der regulären Unterrichtsstunden nachgedacht wird, so erklärte die GEW bereits vor zwei Wochen. Dabei ging es allerdings um eine Reduzierung der Stundentafel, nicht um eine Kürzung der Unterrichtsstunden. „Wir sind in einer absoluten Krisensituation. Es braucht ein kluges und transparentes Vorgehen. Um tragfähige Lösungen zu entwickeln, sollten die Vertretungen von Schüler*innen, Eltern und Pädagog*innen auf jeden Fall einbezogen werden“, so der Landesvorsitzende Tom Erdmann.
Mit einer Reduzierung des Unterrichtsangebotes müsste allerdings eine Absenkung der Leistungsanforderungen und ein Umdenken bei den schulischen Inhalten einhergehen. „Einfach so weitermachen geht nicht. Wenn es weniger Unterricht gibt, können am Ende nicht dieselben Leistungen abgefragt werden“, erklärte Erdmann.
Der Gewerkschafter gab zudem zu bedenken, dass bei der Reduzierung des Angebots die Konsequenzen vorab bedacht werden müssten: „In den Grundschulen und den sonderpädagogischen Förderzentren stellt sich sofort die Frage nach der Betreuung. Das darf auf keinen Fall zu Lasten der Kolleg*innen gehen. Für die Betreuung müsste dann mehr Personal eingestellt werden.“ Wie dies bei dem massiven Fachkräftemangel, den es auch unter Erzieher*innen gibt, gelingen kann, sei unklar. Die Grundschule in Prenzlauer Berg scheint dafür ja eine Lösung gefunden zu haben: einfach später anfangen.
Bei einer Unterrichtsverkürzung auf je 40 Minuten könnte Raum für drei weitere Schulstunden entstehen – pro Lehrkraft
Der Lehrermangel insbesondere in Grundschulen betrifft viele Bundesländer – so auch Sachsen-Anhalt. Dort wird ebenfalls bereits über eine Kürzung von Unterrichtsstunden diskutiert. Die schwarz-rot-gelbe Koalition will Schulen bei der Unterrichtsgestaltung durch Modellversuche „mehr Freiheiten“ ermöglichen. So soll es beispielsweise erlaubt werden, von der klassischen 45-Minuten-Unterrichtsstunde abzuweichen. Entsprechende Pläne wurden unlängst im Landtag vorgestellt. Damit ist nun das Bildungsministerium am Zug. Die Ansätze sollen an ausgewählten Schulen getestet und nach dem Schuljahr 2022/2023 ausgewertet werden.
Aktuell unterrichten Lehrerinnen und Lehrer an weiterführenden Schulen in Sachsen-Anhalt 25 Wochenstunden. Bei einer Unterrichtsverkürzung auf je 40 Minuten könnte nach den Überlegungen der Koalition durch die eingesparte Zeit Raum für drei weitere Schulstunden entstehen. Diese könnten dann für Klassenleiterstunden oder Vertretungsstunden genutzt werden. News4teachers / mit Material der dpa
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