BERLIN. Der Fernseh-Satiriker Jan Böhmermann hat in seiner Sendung «ZDF Magazin Royale» die Waldorfschulen angegriffen. Der deutsche Staat unterstütze diese jährlich mit mehr als einer halben Milliarde Euro, ohne genau zu wissen, was in den Einrichtungen passiere. Waldorf-Ausbilder und Lehrer hätten Kontakte in die Szene der Corona-Leugner. Gewalttätigen Lehrern werde es zudem offenbar erleichtert, unentdeckt zu bleiben. Der Bund der Freien Waldorfschulen hat zu den Vorwürfen Stellung bezogen.
Böhmermann stützt sich in seiner Berichterstattung auf gemeinsame Recherchen mit dem Online-Magazin «Krautreporter». Das berichtet unter anderem darüber, dass die Ausbildung zur Waldorf-Lehrkraft esoterisch geprägt sei. So werde vermittelt, mit „Engeln zusammen zu arbeiten“, die Seele des Kindes „zu sehen“ oder aus dem Verhältnis von Kopf zu Rumpf Schlussfolgerungen über das sogenannte Temperament eines Kindes zu ziehen. „An einigen Ausbildungsinstituten der Waldorfpädagogik gehören Inhalte wie diese zum Alltag“, so heißt es. Grundlage der Recherche seien Modulhandbücher und Seminarbeschreibungen von angehenden Waldorf-Lehrkräften.
„Das Ergebnis: Viele der angebotenen Seminare basieren auch heute noch auf der esoterischen Lehre von Rudolf Steiner. Seine über 100 Jahre alten Texte gehören in einigen Seminaren zur Standardliteratur. Und: Einzelne Ausbilder:innen behaupten, dass sie mit Naturgeistern und Bäumen sprechen könnten oder empfehlen Eurythmie gegen Corona. Was uns besonders erschreckt hat: Für einige Lehrkräfte ist die Ausbildung an einer anthroposophischen Hochschule nicht nur eine Zusatzausbildung, sondern die einzige pädagogische und fachliche Ausbildung, die sie haben.“
„Das System Waldorf kann es gewalttätigen Lehrkräften offenbar erleichtern, unentdeckt zu bleiben”
Weitere Vorwürfe: Übergriffe durch Lehrkräfte blieben an Waldorfschulen teils über Jahre unentdeckt. Journalisten, Autoren und Wissenschaftler, die sich kritisch mit Waldorf beschäftigen, würden eingeschüchtert – bis hin zu juristischen Unterlassungsforderungen, die notfalls auch vor Gericht getragen würden.
„Vor einem halben Jahr, als wir mit unserer Recherche zu Waldorfschulen begannen, hatten wir Klischees im Kopf: von tanzenden Kindern, die werken, gärtnern und Theater spielen. Heute wissen wir: Hinter Waldorfschulen steckt viel mehr“, so schreibt «Krautreporter». „Das System Waldorf kann es gewalttätigen Lehrkräften offenbar erleichtern, unentdeckt zu bleiben. Waldorf-Ausbilder und -Lehrer haben Kontakte in die Corona-Leugner-Szene. Kritische Journalist:innen werden öffentlich eingeschüchtert und notfalls verklagt. Und der deutsche Staat unterstützt das System Waldorf jährlich mit mehr als einer halben Milliarde Euro – ohne genau zu wissen, was in den Schulen passiert.“
„Waldorfschulen verstehen sich nicht als ein geschlossenes System. Wir bekennen uns selbstverständlich zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, die uns den Betrieb als Schulen in freier Trägerschaft erst möglich macht“, schreibt Nele Auschra, Vorstandsmitglied des Bunds der Freien Waldorfschulen, in einer im Internet veröffentlichten Stellungnahme.
Waldorfschulen engagierten sich für eine offene Gesellschaft und gegen politischen Extremismus, Rassismus und Diskriminierung – nach innen und nach außen. „Zum Thema Gewaltprävention an Schulen haben wir eine Vorreiterrolle eingenommen und unsere Schulen verpflichtet, ein sogenanntes Schutzkonzept zu erarbeiten. Das Thema Schulsozialarbeit liegt uns ebenfalls sehr am Herzen – auch wenn es unsere Schulen in freier Trägerschaft vor eine besondere Herausforderung stellt, da es kaum finanzielle Unterstützung gibt.“
Weiter heißt es darin: Es führen verschiedene Wege zur (Waldorf-)Lehrkraft (das ist an staatlichen Schulen nicht anders, insbes. in Zeiten des Lehrkräfte-Mangels). Es gibt staatlich akkreditierte BA/MA-Waldorflehrer:in-Studiengänge, sowie Vollzeit- oder Teilzeit (berufsbegleitende) Zertifikate für Menschen mit abgeschlossener fachlicher und/oder pädagogischer Ausbildung.“ Besonders stolz sei man darauf, „dass sich auch unsere Schüler:innen und Eltern überdurchschnittlich für unsere Schulen engagieren. Auf Schul-, Landes- und Bundesebene gibt es aktive Vertretungen.“ Der Verband betont, „dass wir jederzeit und gerne zur Beantwortung von Fragen und für Hintergrundgespräche und Interviews zur Verfügung stehen. Auf der Grundlage der freien Meinungsbildung wehren wir uns jedoch gegen die Verbreitung von falschen Tatsachenbehauptungen.“
„In Waldorfschulen haben Reichsbürger, Neue Rechte oder Anhänger von Verschwörungsideologien nichts zu suchen“
Allerdings räumt der Bund der Freien Waldorfschulen in einer weiteren aktuellen Stellungnahme ein, „wir haben in einigen wenigen Fällen feststellen müssen, dass Vertreter rechter oder diskriminierender Ideologien versuchen, sich Macht- und Mehrheitspositionen in Waldorf-Schulgemeinschaften zu erarbeiten“. Durch ihre vielfältige Pädagogik, die Eltern-Lehrer-Trägerschaft und den Ansatz der demokratischen Teilhabe schienenWaldorfschulen besondere Anknüpfungspunkte für manche Rechte zu bieten. Vorstandsmitglied Auschra stellt klar: „In Waldorfschulen haben Reichsbürger, Neue Rechte oder Anhänger von Verschwörungsideologien nichts zu suchen.“
Und weiter: „Mit diesen Herausforderungen sehen sich nicht nur Waldorfschulen konfrontiert. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, weshalb auch wir in allen 253 Waldorfschulen aufmerksam sein müssen“, fordert die Verbandssprecherin. „Waldorfschulen stehen seit ihrer Gründung vor über hundert Jahren weltweit für eine freie, gerechte und demokratische Gesellschaft. Diese Werte zu verteidigen, erfordert Wachheit und klare Haltung.“
Waldorfschulen sind Privatschulen. Nach Verbandsangaben gibt es mehr als 250 Waldorfschulen in Deutschland – sie haben sich zum Bund der Freien Waldorfschulen zusammengeschlossen. Demnach besuchen rund 90.500 Schüler in Deutschland eine Waldorfschule. Die klassischen Fächer wie Mathe oder Deutsch unterrichtet in diesen Schulen bis zur achten Klasse ein einziger Lehrer. Es gibt kein Sitzenbleiben und keine Noten – außer bei den staatlichen Abschlussprüfungen. News4teachers / mit Material der dpa
Weltfremd? Von wegen: Warum Waldorfschulen wichtig bleiben – ein Gastbeitrag