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Warum es mehr Finanzbildung braucht – und wieso Lindner und Stark-Watzinger trotzdem zu kurz springen

Ein Kommentar von Volker Jürgens.

BERLIN. Die Bundesbildungsministerin und der Bundesfinanzminister, beide von der FDP, haben einen gemeinsamen Vorstoß für mehr Finanzbildung unternommen. Klingt gut. Irritierend dabei ist allerdings, dass sie neu entwickeln lassen wollen, was es schon gibt – aber kein Wort zu den Schulen verlieren.

Finanzbildung? Ja, bitte. Aber mit etwas mehr Substanz, als es das Papier aus dem Haus von Bundesfinanzminister Christian Lindner vorsieht. Foto: Shutterstock / photocosmos 1

„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern und Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“ Mit diesem Tweet löste die Schülerin Naina vor acht Jahren eine bundesweite Bildungsdebatte aus. Die Frage, die daraufhin hitzig diskutiert wurde, lautete: Wird an Schulen zu wenig praktisches Wissen gelehrt?

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Nainas Kommentare im sozialen Netzwerk Twitter. Screenshot
Nainas Kommentar im sozialen Netzwerk Twitter sorgte 2015 bundesweit für Wirbel. Screenshot

Viele Politikerinnen und Politiker – von der damaligen Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bis zum Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) – waren dafür, mehr Alltagskompetenzen zu vermitteln und „Ökonomische Bildung“ in den Lehrplänen stärker zu verankern. Lehrerverbände wehrten sich vehement, weil sie nicht wussten, wo sie den zusätzlichen Stoff denn noch unterbringen sollten. Der Streit verschwand dann leider so schnell aus den Schlagzeilen, wie er in den Medien aufgekommen war. Konsequenzen für den Schulbetrieb? Keine.

Bis jetzt. Vor wenigen Tagen haben die aktuelle Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) und ihr Parteivorsitzender Christian Lindner eine Initiative vorgestellt, die Finanzbildung in Deutschland zu stärken. „Wir brauchen Lernangebote zur Finanziellen Bildung, die über Verbraucherinformationen hinausgehen und die Menschen in die Lage versetzen, Wissen über finanzielle und wirtschaftliche Zusammenhänge zu erwerben und im Alltag anzuwenden. Den eigenen Handyvertrag zu verstehen, gehört genauso dazu, wie die Altersvorsorge früh in die Hand zu nehmen“, erklärt Stark-Watzinger – will also genau das anbieten, was die Schülerin Naina seinerzeit im Unterricht vermisst hatte.

„Besonders anfällig für Konsum auf Pump scheinen junge Menschen bei Markenkleidung und Statussymbolen zu sein”

Beim Bundesfinanzminister klingt das getragener: „Finanzielle Bildung ist ein Instrument zur Selbstermächtigung. Zur vollen gesellschaftlichen und ökonomischen Teilhabe gehört es, dass jede und jeder individuell für sich kompetente finanzielle Entscheidungen treffen kann – von Versicherungs- und Vorsorgeentscheidungen bis hin zur Frage, ob und mit welchem Risiko Kapitalmarktchancen genutzt werden“, sagt Lindner.

Eins vorweg: Die beiden Liberalen haben Recht, wenn sie der Finanzbildung mehr Raum geben möchten. 58 Prozent der Schülerinnen und Schüler befassen sich nur selten oder fast nie mit Finanzen und Geld. Ihnen sind entsprechende Themen zu kompliziert (42 Prozent) oder sie haben gar kein Interesse daran (39 Prozent), wie eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Forsa im Auftrag von Union Investment im Juli 2021 ergab.

Die Folgen sind fatal: Jeder fünfte Jugendliche in Deutschland hat bereits Schulden, so zeigte unlängst eine Studie der Jugendforscher Simon Schnetzer und Prof. Klaus Hurrelmann auf – eine „erschreckende Erkenntnis”, wie es heißt. Offenbar nutzen immer mehr Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, auf Rechnung zu bestellen und die Kosten zu verdrängen. „Besonders anfällig für Konsum auf Pump scheinen junge Menschen bei Markenkleidung und anderen Identifikationsobjekten zu sein, die in ihrem Umfeld mit Anerkennung oder sozialem Status verknüpft sind”, schreiben die Jugendforscher.

„Wir werden eine Finanzbildungsstrategie für Deutschland erarbeiten, zusammen mit der OECD und unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder”

Und was wollen Stark-Watzinger und Lindner nun konkret unternehmen, um die Finanzbildung von Schülerinnen und Schülern zu stärken? Das bleibt leider nebulös. Die beiden präsentieren lediglich ein einseitiges Eckpunkte-Papier, dessen dürren Worten zu entnehmen ist: „Wir werden eine Finanzbildungsstrategie für Deutschland erarbeiten, zusammen mit der OECD und unter Einbeziehung aller relevanten Stakeholder. Diese Strategie wird die aktuell in Deutschland bestehenden Herausforderungen aufzeigen und daraus konkrete Handlungsempfehlungen ableiten.“

Und: „Wir werden eine zentrale Finanzbildungsplattform schaffen, welche Finanzbildungsangebote bündelt und für die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzerinnen und Nutzer in adressatengerechten Formaten bereitstellt.“

Seltsam nur: Eine solche Plattform gibt es bereits. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen vzbv bietet einen „Materialkompass“ an, eine Datenbank mit Unterrichtsmaterialien zur schulischen Finanzbildung, „die von unabhängigen Expert:innen auf Qualität und mögliche Einflussnahme durch Werbung überprüft werden“, wie es beim vzbv heißt. Auch andere unverdächtige Angebote zur Finanzbildung existieren längst, ob vom Schulservice der Sparkassen oder vom Schulserviceportal Jugend und Finanzen der Volksbanken und Raiffeisenbanken. An seriösen Informationen ist also kein Mangel.

Offen ist hingegen die Frage, wie die Schulen mit dem Thema überhaupt umgehen sollen. Stark-Watzingers und Lindners Papier gibt darauf keine Antwort – nicht einmal einen Hinweis. Wer ernsthaft möchte, dass Schülerinnen und Schüler sich mit einem zusätzlichen Thema im Unterricht vertieft beschäftigen, muss seinen Vorschlag aber mit Ressourcen unterfüttern, heißt: Er muss sagen, in welchem Lehrplan dafür Raum geschaffen werden soll und welche Inhalte dafür entfallen. Wer das nicht macht, produziert nur heiße Luft. Dass der Vorstoß schon wieder so endet wie Nainas Klage vor acht Jahren – letztlich wirkungslos –, wäre fast tragisch. Das würde der Bedeutung der Finanzbildung jedenfalls nicht im Geringsten gerecht.

Verbraucherzentralen: Warum Finanz- und Verbraucherbildung für Schüler so wichtig ist

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