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Von der Magie des Kinos – und dem Wert für die Bildung: Warum Film mehr als ein Lückenfüller im Schulalltag sein sollte

DÜSSELDORF. Europa besitzt einen wahren Filmkulturschatz, der viel zu wenige Menschen erreicht. Gleichzeitig sind Kinder und Jugendliche heute einer wahren Bilderflut ausgesetzt, die oft unreflektiert konsumiert wird. Gehört Filmbildung also genau wie Kunst und Musik auf die Lehrpläne? News4teachers sprach auf dem Bildungsevent edu:regio in Düsseldorf mit Marion Döring, Vorständin der Wim Wenders Stiftung – und langjährige Chefin der European Film Academy -,  über die Magie des Kinos und den Wert von Film für die Bildung. Das Video vom Interview ist nun erschienen. 

Ein Film zur Belohnung vor den Schulferien oder zur Veranschaulichung eines Themas? Das ist schön und richtig, sagt Marion Döring. Es schade sicher nicht, sich „Shakespeare in love“ im Englischunterricht anzusehen, damit die Lektüre ein bisschen unterhaltsamer wird. Das Anliegen der Wim Wenders Stiftung, die letztes Jahr das Filmbildungsprojekt „Eine europäische Schule des Sehens“ ins Leben gerufen hat, sei allerdings ein ganz anderes, so Döring.

Schülerinnen und Schüler schauen gerne Filme – aber auch die richtigen? (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Vor 35 Jahren war sie bei der Gründung der European Film Academy dabei, über 20 Jahre lang hat sie die Geschäfte der Akademie geleitet, die jährlich den renommierten Europäischen Filmpreis vergibt. Seit 2021 kümmert sich Marion Döring als Vorständin um die Belange der Wim Wenders Stiftung. Die Stiftung hatte Wim Wenders vor 10 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Donata gegründet, um sein Schaffenswerk privaten Interessen zu entziehen. Über 50 seiner Filme befinden sich inzwischen im Besitz der Stiftung, wo sie restauriert und digitalisiert werden, und können so der Allgemeinheit wieder zur Verfügung gestellt werden. Ebenso ist das umfangreiche Archiv des über 30-fach ausgezeichneten Regisseurs und Filmemachers, ein Stück Weltkulturgeschichte, bei der Stiftung untergebracht. Darüber hinaus fördert die Stiftung filmischen Nachwuchs. Schulische Filmbildung kommt nun hinzu.

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Den Blick über den Horizont trainieren

Das Besondere an der „Europäischen Schule des Sehens“, sagt Döring, sei, dass Wim Wenders selbst den teilnehmenden Jugendlichen als Türöffner in die Welt des Films zur Verfügung steht. Er erklärt, welche Filme er wichtig findet, woher er seine Ideen nimmt, und hat das Programm für das Projekt zusammengestellt, dass sich an die Oberstufen an Gymnasien und Gesamtschulen beziehungsweise, Gemeinschafts- oder Stadtteilschulen richtet. Hauptsächlich geht es dabei darum, die Sprache des Films zu erlernen und gleichzeitig eine europäische filmische Erzählweise, also den Blick auf die eigene Kultur und die unserer Nachbarn, kennenzulernen.

Die teilnehmenden Schulen wählen aus einer Liste von 20 paarweise zusammengestellten Filmen drei Film-Paare aus, die dann im Laufe eines Jahres in einem Kino vor Ort gezeigt werden. Begleitet werden sie dabei durch erfahrene Filmpädagoge:innen. Die Schüler:innen diskutieren vorab das bereitgestellte Vorbereitungsmaterial in ihrer Schule und werden im Anschluss angeregt, selbst kleine Filme zu drehen, in denen sie ihre Sicht auf die Welt filmisch erzählen.

Film als Kulturerfahrung abseits von Sehgewohnheiten

Das nach dem Filmemacher benannte Wim-Wenders-Gymnasium in dessen Geburtsstadt Düsseldorf ist beispielsweise mit zwei Filmen über die Anfänge der Filmgeschichte gestartet: „Die Gebrüder Skladanowsky“ (Wim Wenders, 1995) über die handwerklichen Erfinder des Films aus Berlin und „Cinema Paradiso“ (Guiseppe Tornatore, 1988), einer berührenden Geschichte über die Liebe zum Kino. Danach standen mit „Der Wolfsjunge“ (Francois Truffaut, 1970) und Systemsprenger (Nora Fingscheidt, 2019) zwei Filme über schwierige Kindheiten auf dem Programm.

Auf die Frage, ob Jugendliche heute denn eigentlich noch genügend Geduld, für solche längeren Filme aufbringen können, antwortet Marion Döring sehr bestimmt mit „Ja“. Jugendliche würden wirklich unterschätzt und seien absolut in der Lage auch anspruchsvolle, längere Filme anzuschauen. Das sehe man auch daran, welch kluge Fragen die Jugendlichen stellten. Das Interesse sei definitiv da.

„Film kann die Angst vor dem Fremden nehmen“

„In diesen anderthalb oder zwei Stunden lernt man so viel über andere Menschen und andere Gegenden, vielleicht sogar mehr, als wenn man reist“, nennt sie als einen der Gründe. „Der Film bringt uns die Menschen sehr viel näher. Auch wenn man daran denkt, dass viele Menschen flüchten müssen und zu uns kommen. Dann ist Film auch wieder das beste Medium, den Menschen zu zeigen: Wer sind denn die, die jetzt zu uns kommen? Und zwar auf eine sehr emotionale und humanistische Weise und das ist extrem wichtig und wird nicht genug geschätzt“, so Döring weiter.

Die europäische Filmkultur sei wirklich noch zu entdecken und verhältnismäßig wenig im Kino zu erleben. Dabei sei es doch so wichtig zu wissen, wer unsere Nachbarn sind und Neugier zu erzeugen auf die Kultur die uns umgibt und die auch Teil unserer Kultur in einer multikulturellen Umgebungen ist, sagt Marion Döring. Film kann die Angst vor dem Fremden nehmen, davon ist sie fest überzeugt.

Natürlich hätten sich die Sehgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten stark verändert. „Was einen so erschüttert, ist, dass wir heute alle von Bildern überflutet werden – vor allem die jungen Generationen – dass man sie aber nicht an die Hand nimmt, um ihnen das Alphabet des Sehens beizubringen. Wir lernen das Alphabet des Lesens, aber nicht das Alphabet des Sehens. Also zu verstehen, wie werden Bilder gemacht, was wollen sie von uns, wie werden wir manipuliert oder beeinflusst, wie kann ich gute von schlechten Filmen unterscheiden. Was man im Literaturunterricht in der Schule ja auch lernt“, sagt Marion Döring. „Film ist so ein wichtiges Medium in unserer heutigen Zeit, das viel mehr Menschen erreicht als irgendein anderes Medium, außer vielleicht Musik. Und das muss man doch in den Schulen richtig unterrichten!“, fordert sie.

„Ein warmer menschlicher Blick ist sehr wichtig in diesen Zeiten“

Deshalb plädiert Döring für ein Lehramtsfach Filmwissenschaft. Leider werde in Deutschland, ganz im Gegensatz zum Nachbarland Frankreich, Film immer noch eher als Unterhaltungsformat denn als Kunstform angesehen. Auch Fächer wie Kunst und Musik kämen in in den Schulen zu kurz und das sei nicht gut: „Unsere Welt braucht die Kunst und die Kultur, um sie besser zu verstehen, empathischer zu werden und die Welt ein bisschen besser zu machen“, sagt sie.

Das ginge durchaus auch humorvoll. Allerdings habe man in Europa oft Angst vor Humor. „Humour doesn’t travel“ sei ein Motto in der Filmbranche. Heißt, eine Komödie wie „Fack ju Göte“ mit speziell lokal eingefärbtem Humor, habe es schwer, weltweit im Kino gezeigt zu werden. Außerdem seien die Helden im europäischen Film oft Loser, mit denen man sich vielleicht nicht so gerne identifizieren möchte, fügt sie lächelnd hinzu. Dass es nicht immer bierernst zugehen muss, versuchten junge Filmemacher dieses Jahr auf der Berlinale unter Beweis zu stellen: Das Motto der Berlinale Talents, dem Talentförderprogramm der Internationalen Filmfestspiele, war “You Must Be Joking – Humour in Serious Times”. Vielleicht trotz oder gerade wegen des Krieges, meint Marion Döring und fügt hinzu: „Es ist sehr wichtig, dass man das Leben auch mit Humor betrachtet. Ein warmer menschlicher Blick ist sehr wichtig in diesen Zeiten.“ Sonja Mankowsky, Agentur für Bildungsjournalismus

Stars fordern: Mehr Filmbildung in die Schule! „Kino muss man so unterrichten wie Literatur. Es ist ja eine Kunstform“

 

 

 

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