ESSEN. Studierende könnten verstärkt in Schulen zum Einsatz kommen, um Lehrkräfte zu entlasten – dies empfiehlt die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK in ihrem Gutachten zur Bekämpfung des Lehrermangels. Wie das gelingen kann, zeigt die Bildungsinitiative RuhrFutur aus Nordrhein-Westfalen: Deren Projekt students@school bringt dort Studentinnen und Studenten in die schulische Praxis. Dabei profitieren alle Seiten, wie eine Evaluation des Projekts belegt.

Die Herausforderungen in den Schulen sind gewaltig – wie unlängst die IQB-Bildungstrends aufgezeigt haben, die im Abstand von fünf Jahren die Kompetenzen von Viertklässlerinnen und Viertklässlern repräsentativ untersuchen.
Ergebnisse: Die Kinder haben zunehmende Rechtschreib-, Lese- und Matheprobleme und sind im Vergleich zu Viertklässlern vor zehn Jahren deutlich zurückgefallen. Im Vergleich zur letzten Erhebung 2016 entsprechen die Kompetenzrückgänge im Lesen etwa einem Drittel, in Rechtschreibung und Mathematik einem Viertel eines Schuljahres, heißt es in der Untersuchung. Verglichen mit 2011 sind es sogar Rückstände von rund einem halben Schuljahr. Der Studie zufolge erreichen signifikant weniger Grundschüler in den Fächern Deutsch und Mathematik im Vergleich zu den letzten Erhebungen in den Jahren 2011 und 2016 die KMK-Bildungsstandards. Beispiel Rechtschreibung: Fast jeder dritte Grundschüler in der vierten Klasse macht so viele Rechtschreibfehler, dass er die definierten Mindestanforderungen nicht erreicht.
Auf der anderen Seite drückt die Personalnot in den Schulen. „Der Lehrkräftemangel verschärft die Situation. In manchen Regionen ist die Unterrichtsversorgung nicht mehr sichergestellt und die Qualität des Unterrichts leidet“, so erklärte kürzlich die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz in einem Gutachten. „Angesichts des aktuell hohen Bedarfs an Lehrkräften, der durch die Integration der geflüchteten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine noch einmal deutlich verschärft wurde, kann auf eine Rekrutierung von Vertretungslehrkräften gegenwärtig nicht verzichtet werden“, so heißt es darin. Eine der Empfehlungen: „Lehramtsstudierende können durchaus bestimmte Aufgaben von Lehrkräften übernehmen, wenn sie ausreichend qualifiziert sind und begleitet werden.“
„Eine feste Ansprechperson an den Schulen, die Integration ins Kollegium sowie die vorbereitende Qualifizierung sind wichtige Voraussetzungen für den wirksamen Einsatz von Lernbegleitern“
Wie das in der Praxis funktionieren kann, zeigt ein bereits seit 2021 laufendes Projekt aus Nordrhein-Westfalen: students@school. Das war seinerzeit gestartet worden, um den Lernrückständen durch die Corona-Krise etwas entgegenzusetzen. „Wir von RuhrFutur haben deshalb das Programm students@school, gefördert durch das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Landesprogramms ‚Ankommen und Aufholen für Schülerinnen und Schüler‘, ins Leben gerufen. Der Fokus liegt auf dem Erwerb und Ausbau sprachlicher und mathematischer Basiskompetenzen. Wir vermitteln qualifizierte Studierende an Schulen in Nordrhein-Westfalen und unterstützen mit ihrer Hilfe die Schüler*innen und Lehrkräfte von der ersten bis zur sechsten Jahrgangsstufe“, so erklärt Julia Heer, Sprecherin der Initiative.
Die Studierenden sind für mindestens sechs Monate an der jeweiligen Schule tätig, zwischen sechs und 19 Stunden in der Woche. Als Lernbegleiter unterstützen sie im Unterricht, fördern einzelne Schüler individuell oder in Kleingruppen. Die Entscheidung über den konkreten Einsatz der Studierenden – Vertretungsunterricht und Aufsichtstätigkeiten sind dabei ausgenommen – trifft die Schule. Die Lehrkräfte gestalten dabei weiterhin primär den Unterricht und beziehen die Studierenden bedarfsgerecht ein. Im Fokus steht die Stärkung der sprachlichen und mathematischen Basiskompetenzen der Kinder. Für Ihren Einsatz erhalten die Studentinnen und Studenten eine bezahlte, 20-stündige digitale Weiterbildung, die aus fünf Modulen besteht und eine Vergütung von 15 Euro pro Stunde.
Offenbar ein Erfolgsmodell. „Die bisherigen Ergebnisse können sich sehen lassen“, sagt Julia Heer. „Dabei sprechen die Zahlen eine ebenso deutliche Sprache wie die Lehrkräfte und Studierenden, wenn sie aus ihrem Schulalltag berichten.“ Im ersten Jahr von students@school erhielten mehr als 30.000 Schülerinnen und Schüler an 340 Schulen in Nordrhein-Westfalen Unterstützung durch students@school. Rund 560 Lernbegleiterinnen und Lernbegleiter waren im Einsatz, zwei Drittel davon an Grundschulen. Knapp die Hälfte der Studierenden arbeiteten an Schulen mit Sozialindex 4 oder höher, gelten also als sozial besonders belastet. „Sie sind also genau dort, wo Unterstützung notwendig ist“, sagt Heer.
Die Schulen und Studierenden bewerteten das Programm mehrheitlich als gut bis sehr gut, betont sie – und kann das durch eine Evaluation des Programms vom vergangenen Oktober belegen. Im Rahmen der Befragung beurteilte die große Mehrheit der teilnehmenden Studierenden das Programm als „sehr gut bis gut“ (92 Prozent), ebenso der Großteil der Vertreterinnen der teilnehmenden Schulen (94 Prozent). Die Studierenden, die überwiegend unterrichtsbegleitend eingesetzt wurden und vor allem in den Fächern Mathematik und Deutsch unterstützten, gaben mehrheitlich an, dass sie eine gute Beziehung zu den betreuten Schülerinnen aufbauen konnten (bei 63,2 Prozent traf dies „voll und ganz“ zu). Insgesamt 86 Prozent bestätigten, dass sie die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen konnten, Lernlücken nach den Corona-Schulschließungen zu mindern.
Auch die Lehrkräfte gaben an, dass die Schülerinnen von der Lernbegleitung profitiert haben (95 Prozent Zustimmung) und Lernlücken durch die Unterstützung der Studierenden reduziert oder geschlossen werden konnten (76 Prozent). So bestätigen 99 Prozent, dass die Schülerinnen und Schüler die sprachlichen oder mathematischen Basiskompetenzen ausbauen konnten. Die Mehrheit der Befragten befand, dass sich auch das selbstgesteuerte Lernen verbessert hätten. Dass die Schülerinnen und Schüler ihre emotionalen bzw. psychosozialen Kompetenzen durch den Einsatz der Lernbegleiter auf- bzw. ausbauen konnten, fanden 86 Prozent der befragten Lehrkräfte. „Die Ziele des Programms wurden damit in hohem Maße erfüllt“, betont RuhrFutur-Sprecherin Julia Heer.
Sie erklärt: „Eine feste Ansprechperson an den Schulen, die Integration ins Kollegium sowie die vorbereitende Qualifizierung sind wichtige Voraussetzungen für den wirksamen Einsatz von Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern“. Auch das sei gegeben gewesen: 73 Prozent der Studierenden geben an, dass eine Ansprechperson sie begleitet hat. Dies decke sich mit der Perspektive der Schulen: 80 Prozent bestätigten, dass die Studierenden „sehr gut bis gut“ an der Schule integriert waren.
„Die Kinder gewinnen durch das Programm eine zusätzliche Bezugsperson, die für sie im Schulalltag ansprechbar ist und sie beim Lernen begleitet“
Alles in allem gaben 96 Prozent der Studentinnen und Studenten an, wertvolle Praxiserfahrungen gesammelt zu haben. Rund 95 Prozent nahmen neue Fähigkeiten und Kenntnisse aus dem Projekt mit. Auch im Hinblick auf die berufliche Orientierung und Motivation zeigt die Teilnahme am Programm Effekte: Bei 85 Prozent hat students@school den Wunsch als Lehrkraft tätig zu sein bestärkt. 87 Prozent sind sich mittlerweile sicher, nach ihrem Studium als Lehrkraft arbeiten zu wollen.
Fazit: Alle profitieren – wie auch Alma Tamborini, Schulleiterin der einbezogenen Nordmarkt-Grundschule in Dortmund, bestätigt: „Die Kinder gewinnen durch das Programm eine zusätzliche Bezugsperson, die für sie im Schulalltag ansprechbar ist und sie beim Lernen begleitet. Die Lehrerinnen und Lehrer erhalten Unterstützung im Unterricht und können sich gezielter auch einzelnen Kindern zuwenden.“ News4teachers
Weitere Informationen zum Projekt: https://students-at-school.de/
