WIESBADEN. Iglu, die IQB-Studie, der Lehrkräftemangel… Die schlechten Nachrichten aus der Bildung nehmen schier kein Ende. Das bekommen auch die Privatschulen zu spüren, die sich einem Nachfrageboom gegenübersehen. Sind freie Schulen eine unliebsame Konkurrenz für das staatliche Schulsystem? Oder können sie – andersherum – helfen, Lösungen aus der Bildungskrise heraus zu finden? News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek gab beim parlamentarischen Abend des Verbands Deutscher Privatschulen (VDP) Hessen und weiterer Verbände des freien Schulwesens vor rund 200 Schulträgern, Schulleitungen und Politikern (darunter dem hessischen Kultusminister Alexander Lorz) eine klare Antwort. Wir dokumentieren seine Rede im Folgenden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen, die mir als Journalist untergekommen ist – die Geschichte von Mimoun, einem 14-jährigen Jungen, der in die achte Klasse einer Privatschule in Nordrhein-Westfalen geht. Den Namen des Schülers habe ich natürlich zu seinem Schutz geändert. Für die Privatschule müssen die Eltern monatlich mehr als 1.500 Euro aufwenden. Klar, denkt man sich, reiche Leute, denen das Angebot des staatlichen Schulsystems für ihr Kind nicht gut genug war. Das ist aber falsch. Es handelt sich keineswegs um eine reiche Familie, sondern um eine, die sich das Schulgeld abringen muss. Urlaub ist für diese Familie kaum drin. Warum machen die das also?
Mimoun ist ein Pflegekind. Davon gibt es mehr als 200.000 in Deutschland, das ist also keine ganz kleine Gruppe. Mimoun kam schon als Baby zu seiner Familie, war aber da schon traumatisiert. Er war zwei Mal seiner Hauptbezugsperson entrissen worden, zunächst seiner leiblichen Mutter, dann einer Notfallpflegemutter. Seine feste Pflegefamilie war also seine dritte Station. Der Junge entwickelte sich etwas zeitverzögert, fing etwas später an zu laufen, zu sprechen und Rad zu fahren als andere Kinder. Er entwickelte sich aber gut. Als er sechs Jahre alt war, wurde er eingeschult – und zwar in eine staatliche Grundschule. Damit fingen die Probleme an.
Denn in der Klasse waren 30 Kinder, sozial sehr gemischt – ein ländlicher Standort in der Peripherie einer Großstadt. Kinder aus sehr bildungsnahen Elternhäusern saßen neben Flüchtlingskindern, Kinder aus zerbrochenen Familien neben ADHS-Kindern. Die Klassenlehrerin fühlte sich überfordert. Kurz vor Ende des ersten Schuljahrs informierte sie die Eltern: Mimoun lernt nicht. Er säße still im Unterricht – ohne sich zu beteiligen. Was denn bloß los sei, wollten die Eltern wissen? Achselzucken bei der Lehrerin. Die örtliche Schulpsychologin wurde von den Eltern zur Begutachtung gebeten. Sie begleitete einen Vormittag lang den Unterricht, um festzustellen: Mimoun lernt nicht. Die Empfehlung lautete schlicht: Förderschule Lernen. Abgang Schulpsychologin.
Mimouns Eltern wollten allerdings wissen, was denn die Ursache des Nicht-Lernens sein könnte. Von der Schule kam kein weiteres Hilfs- oder Beratungsangebot. Auf eigenen Antrieb hin brachten sie Mimoun zu einem Kinderarzt. Ergebnis: keine körperlichen Auffälligkeiten. Zu einem Psychologen. Ergebnis: ein IQ im guten Normalbereich. Zu einer Logopädin. Ergebnis: keine sprachlichen Auffälligkeiten. Und schließlich zu einem sozialpädiatrischen Zentrum. Dort kam man der Sache auf die Spur: Dyskalkulie, so lautete das Ergebnis der Untersuchungen.
“Man braucht halt ein bisschen mehr Geduld. Und vielleicht ein bisschen mehr Nestwärme. Die hat aber das staatliche Schulsystem nicht, jedenfalls nicht immer”
Es kristallisierte sich heraus: Mimoun hatte von Anfang an im Mathematikunterricht nichts verstanden, weil ihm die Grundlagen wie Größen- oder Mengenverhältnisse fehlten – und hatte so in der Schule keinerlei Selbstvertrauen entwickeln können, sodass er sich auch in allen anderen Fächern innerlich zurückzog.
Nun muss man wissen, dass Dyskalkulie und Lese-Rechtschreibschwäche typische Probleme von vielen Pflegekindern sind. Die Erfahrungen, die sie in ihren ersten Lebensjahren haben machen müssen, führen in der Regel zu Bindungsstörungen – und Bindungsstörungen sind eine schlechte Grundlage fürs Lernen.
Kinder, denen das Urvertrauen fehlt, haben meist andere, naheliegendere Probleme als Zahlen und Buchstaben. Das macht sie aber deshalb nicht zu Menschen mit einer Lernbehinderung, für die das Niveau dauerhaft gedrosselt werden müsste. Man braucht halt ein bisschen mehr Geduld. Und vielleicht ein bisschen mehr Nestwärme. Die hat aber das staatliche Schulsystem nicht, jedenfalls nicht immer.
Mimoun wechselte nach der Diagnose die Schule. Er ging allerdings nicht auf eine Förderschule, wohin er gedrängt worden war. Sondern seine Eltern meldeten ihn an einer zehn Kilometer entfernten Grundschule an, einer staatlichen, die sich (ohne wirklich mehr Personal dafür zu haben) als inklusive Grundschule verstand.
Zusätzlich bekam Mimoun 45 Minuten Mathe-Förderung in der Woche bei einem privaten Mathematisch-Lerntherapeutischen Institut, das ihm erstmal die Grundlagen des Rechnens anschaulich machte. Und das vermeintliche Wunder geschah: Der Junge fand Anschluss an den Unterricht, entwickelte Selbstbewusstsein und Lernfreude – und bekam mit Abschluss der vierten Klasse eine solide Empfehlung für die Realschule.
Wohlgemerkt: ein Kind, das von seiner ersten Grundschule bereits aufgegeben worden war. Und das auf einer Förderschule mit heruntergedimmtem Niveau gelandet wäre – faktisch ohne Aussicht auf einen regulären Schulabschluss –, wenn seine Eltern beispielsweise Migranten gewesen wären, die schon aus sprachlichen Gründen im deutschen Zuständigkeitsdschungel nicht zurechtgekommen wären.
Ende gut – alles gut? Keineswegs. Denn der Junge kam dann tatsächlich auf die Realschule im Ort – und die Probleme begannen von Neuem. Ich erspare Ihnen die weiteren Details. Nur so viel: ein Klassenlehrer, der drei Fächer einschließlich Mathematik unterrichtete, aber als Seiteneinsteiger keine pädagogische Qualifikation hatte und auch kein Interesse, eine solche zu erwerben. Der die Diagnoseberichte und die Erfahrungsberichte zu Mimoun nicht mal entgegennehmen wollte. Der Kinder drangsalierte und herabwürdigte, ohne dass die Schulleitung eingeschritten wäre.
Und dann kam Corona – und der Klassenlehrer wurde monatelang nicht mehr in der Schule gesehen. Vertretungslehrkräfte gab es aber praktisch auch nicht.
Die Eltern zogen schließlich die Reißleine und meldeten Mimoun an der Privatschule an. Dort gibt es keinen Unterrichtsausfall. Dort gibt es Klassen von sechs bis acht Kindern. Dort gibt es Ganztags-Unterricht – und zwar morgens die harten Fächer, nachmittags Projekte und Sport.
Die Schule weist eine bemerkenswerte Schülerschaft auf: Die Hälfte kommt tatsächlich aus wohlhabenden Familien – die andere Hälfte wird entweder vom Jugendamt finanziert. Oder kommt, wie Mimoun, aus Mittelschicht-Familien, die keine andere Wahl mehr sahen, als ihr Kind aus dem Regelschulsystem abzumelden und das Schulgeld irgendwie aufzubringen. Viele Autistinnen und Autisten sind darunter.
Mimoun macht sich gut: Seine Noten – sogar in Mathematik – liegen im Zweier und Dreier-Bereich. Zu erwarten ist, dass er einen ordentlichen mittleren Abschluss schafft und dann einen guten Ausbildungsplatz findet, vielleicht sogar weiter in Richtung Fachabitur oder Abitur gehen kann.
Aber eben nicht, weil das staatliche Schulsystem ihn dorthin gebracht hätte.
Womit wir bei der Politik wären. Die Iglu-Studie hat in der vergangenen Woche einmal mehr ergeben, dass 25 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler in Deutschland nicht so lesen können, dass sie damit auch nur eine halbwegs erfolgreiche Bildungskarriere vor sich sehen. Betroffen sind vor allem Kinder aus Migrantenfamilien und Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien – also Kinder, deren Eltern nicht das leisten können, was das staatliche Schulsystem von ihnen erwartet.
“Angesichts der Fülle der Probleme überrascht es nicht, dass Iglu nicht mal mehr einen Schock auslöst wie seinerzeit die PISA-Studie: Die Öffentlichkeit hat sich längst an schlechte Nachrichten aus der Bildung gewöhnt”
Damit sind wir exakt wieder dort angekommen, wo die Bildungspolitik in Deutschland vor 22 Jahren gestartet war: beim PISA-Schock nämlich, der 2001 bei Veröffentlichung der Studie durch genau den gleichen Befund ausgelöst worden war.
Das ist, meine Damen und Herren, die Bilanz von zwei Jahrzehnten Bildungspolitik in Deutschland:
- G8 eingeführt – und wieder abgewickelt.
- Die Inklusion – vor die Wand gefahren.
- Integration – immer noch eine Aufgabe, die Schulen nebenbei zu erledigen haben.
- Die soziale Schere im Bildungswesen – kein bisschen geschlossen.
Als wäre das nicht schon schlimm genug, sind jetzt noch zwei neue gravierende Probleme hinzugekommen:
- die Krise des Dualen Ausbildungssystems
- und natürlich der Lehrkräfte- und Kita-Fachkräftemangel.
Angesichts der Fülle der Probleme überrascht es nicht, dass Iglu nicht mal mehr einen Schock auslöst wie seinerzeit die PISA-Studie: Die Öffentlichkeit hat sich längst an schlechte Nachrichten aus der Bildung gewöhnt.
Das macht es für die Betroffenen nur leider nicht besser. Und für unsere Gesellschaft auch nicht.
Es ist eine Binsenweisheit, dass Deutschland vom Know-how seiner Unternehmen lebt – und damit von der Qualität seiner Bildung und Ausbildung. So stellt das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung fest: „Hohe Bildungsleistungen der Bevölkerung sind wohl der wichtigste Faktor für das langfristige Produktivitätswachstum von Volkswirtschaften. Dies gilt gerade auch für nachhaltiges Wachstum, das die natürlichen Ressourcen schont. Durch hohe Bildungsleistungen lassen sich nicht nur die Herausforderungen der alternden Gesellschaft besser meistern. Ein herausragendes Bildungsfundament ist auch die Grundlage dafür, durch Innovationen etwa im Bereich der Digitalisierung internationale Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsdynamik zu sichern.“
Kurz zusammengefasst: Es gibt kein besseres Investment für Deutschland als das in Bildung – nirgends ist die Rendite höher.
Doof nur, dass der Staat diese Binsenweisheit offensichtlich nicht versteht. Bildungsausgaben werden als Konsumausgaben betrachtet – mit der Folge, dass sie unter die Schuldenbremse fallen. Im Ergebnis sehen wir ein krass unterfinanziertes Bildungssystem, aus dem viele Kinder und Jugendliche hervorgehen, die kaum eine Chance haben, sich zu ordentlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern zu entwickeln – sondern, im Gegenteil, in den lebenslangen Bezug von Transferleistungen zu fallen drohen.
Das nennt man: Sparen am falschen Ende – nämlich an den Zukunftschancen unseres Landes.
Die Lage wäre noch viel schlimmer, so lautet meine These, wenn es die Privatschulen nicht gäbe.
Mimoun ist ein gutes Beispiel: Seine Eltern wenden in fünf Jahren insgesamt etwa 90.000 Euro dafür auf, ihn zu einem mittleren Abschluss zu führen.
Wenn er eine Ausbildung macht, kann er als Fachkraft ein Lebenseinkommen von knapp zwei Millionen Euro erwarten. Der Staat bekommt dann von Mimoun Steuern und Abgaben in Höhe von 900.000 Euro – also etwa zehn Mal mehr, als seine Eltern in seine Bildung zusätzlich investiert haben. Andersherum müsste der Staat für Mimoun, wenn er in der Schule scheitern würde, rund eine halbe Million Euro für lebenslange Sozialkosten aufwenden.
Sie sehen also: Bildung rechnet sich, auch für den Staat. Trotzdem verlassen alljährlich 50.000 Jugendliche das staatliche Schulsystem ohne Abschluss. Diese 50.000 jungen Menschen kosten den Staat an Sozialabgaben und an entgangenen Steuern hochgerechnet 70 Milliarden Euro – wie viel sinnvoller wäre es, einen Bruchteil davon zusätzlich ins Bildungssystem zu investieren?
Und die Zahl wäre höher, wenn es Privatschulen nicht gäbe. Kinder wie Mimoun gibt es nämlich etliche – auch solche, die ihre Privatschule vom Jugendamt bezahlt bekommen.
Die Jugendämter finanzieren nämlich vielen Kindern und Jugendlichen, die vom Schulabbruch bedroht sind, den Besuch einer freien Schule, wohlwissend, dass diese Klientel an staatlichen Schulen nicht immer angemessen gefördert werden kann. Wie viele das sind, ist unklar. Es gibt keine bundesweite Statistik darüber.
Fälle, bei denen Gerichte Ansprüche anerkannten, betrafen Hochbegabung ebenso wie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen urteilte bereits 2013: „Der Vorrang des öffentlichen Schulwesens entfällt, wenn die ergänzende Hilfe nach dem SGB VIII nicht ausreicht, um die von der Schule nicht abgedeckte Bedarfslücke rechtlich und tatsächlich zu schließen.“
Nochmal langsam: Privatschulen decken eine Bedarfslücke, die das öffentliche Schulwesen nicht abdeckt – haben Richter festgehalten.
Nun wäre es schön, wenn sich die Bildungspolitik auch mal entsprechend ehrlich machen würde – und bekennen würde, dass das staatliche Schulsystem es nicht schafft und niemals schaffen wird, alle Schülerinnen und Schüler bedarfsgerecht zu fördern. Dass die Privatschulen benötigt werden – nicht nur als vom Grundgesetz gebotenes Nice-to-have, weil es halt Eltern mit bestimmten Weltanschauungen zu bedienen gilt. Sondern auch als Ausputzer und Spezialisten, um in besonderen Fällen den originären Bildungsauftrag des Staates zu erfüllen.
In einem solchen Bekenntnis läge eine große Chance: Wenn die staatlichen Akteurinnen und Akteure die Privatschulen als Partner auf Augenhöhe betrachten würden, könnten davon alle profitieren: die Privatschulen, die von ihrem oftmals ungerechtfertigten Image als Elite-Einrichtungen wegkämen, die staatlichen Schulen, die entlastet würden – und die Kultusministerinnen und Kultusminister, die dann auch mal Erfolge zu vermelden hätten. Die Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern ja ohnehin.
Nötig wäre natürlich etwas Geld, aber daran mangelt es ja derzeit eher nicht – bei so vielen Lehrerstellen an den staatlichen Schulen, die nicht besetzt sind und deshalb nicht bezahlt werden müssen.
Leider passiert oft das Gegenteil: Privatschulen werden von den Kultusministerien nicht als Partner, sondern als unliebsame Konkurrenz aufgefasst.
Ein Beispiel: In Nordrhein-Westfalen gibt es die Web-Individualschule – eine private Online-Schule für kranke Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland. Die Abschlussprüfungen finden im Rahmen von Externenprüfungen statt. 20 Jahre lang lief das so, dass die Prüfungen an einem Ort zentral abgenommen wurden, damit die Schülerinnen und Schüler begleitet werden konnten. Sie müssen laut Schulleitung auch bei den Prüfungen von ihren Lehrkräften eng betreut werden und brauchen teilweise ganz besondere Bedingungen am Prüfungsort. Im vergangenen Jahr entschied nun das Schulministerium, dass das nicht mehr geht. Es sei organisatorisch nicht möglich, alle Prüfungen in einer einzigen Bezirksregierung durchzuführen, hieß es – was die Web-Individualschule in arge Schwierigkeiten brachte.
Die damalige Schulministerin Yvonne Gebauer kündigte an: Man wolle „im staatlichen Bildungssystem“ künftig ein digitales Alternativangebot zum regulären Schulbesuch schaffen – für jene, denen etwa wegen schwerwiegender gesundheitlicher Gründe kein Schulbesuch möglich sei. Ziel sei, Schülern „frei von kommerziellen Interessen perspektivisch eine Rückkehr in den Präsenzunterricht zu ermöglichen oder sie, wo dies nicht möglich ist, erfolgreich zu Abschlüssen zu führen.“ Wohlgemerkt: Die Schule gibt es ja längst – nur eben privat. Man hätte das bestehende Angebot ja nur unterstützen müssen, das wäre auch für den Staat viel billiger als eine eigene Fernschule aufzubauen. Die gibt es übrigens bis heute nicht.
Ein zweites Beispiel, über das News4teachers erst vorgestern berichtet hat: Eine kleine Privatschule in Lübeck wird von Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) wegen einer angeblichen Häufung von Ungereimtheiten geschlossen. Ihr wurde die Ersatzschulgenehmigung kurzerhand entzogen. Die Bild-Zeitung titelte: «Deutschlands schlimmste Schwänzer-Schule».
Der Hintergrund: Das Ministerium hat eigenen Angaben zufolge seit Beginn des Schuljahres 2022/23 immer mehr Hinweise erhalten, dass bei der Schule gravierende Defizite im Schulbetrieb bestehen könnten. Daraufhin habe es von Schul- und Rechtsaufsicht sowie dem zuständigen Schulamt im Februar und März 2023 mehrere unangekündigte örtliche Schulprüfungen gegeben. Dabei wurde demnach festgestellt, dass vor Ort regelmäßig weniger als die Hälfte der angemeldeten Schülerinnen und Schüler anwesend waren. Zudem seien regelmäßig lediglich zwei Lehrkräfte da gewesen, obwohl laut Plan mehr Pädagoginnen und Pädagogen im Dienst gewesen sein müssten.
«Diese Häufung von Ungereimtheiten hat unser Ministerium dazu veranlasst, die Genehmigung der Schule zu widerrufen», sagt Frau Prien (CDU). «Unser Schulgesetz erlaubt Privatschulen, aber wir schauen sehr genau hin. Wenn wir Hinweise bekommen, dass es nicht ordentlich läuft, schließen wir eine solche Schule.»
Meine Frage ist nun: Warum spricht man nicht mit dem Schulträger, bevor man die Schule schließt? Das ist offenbar nicht geschehen. Die Schule weist die Vorwürfe nämlich entschieden zurück. Gegen die Schließung werden gerichtliche Schritte vorbereitet, heißt es. Denn: «Den Widerruf stützt das Ministerium auf falsche Angaben.»
Dafür, dass bei den Kontrollterminen nur die Hälfte der Schüler anwesend war, gibt es danach eine einfache Erklärung: Die Freie Dorfschule Lübeck beschule aktuell 48 Kinder in zwei Klassen. «Eine davon am Vormittag, eine am Nachmittag. Das hat das Ministerium 2018 schriftlich genehmigt.» Darüber hinaus gehöre Lernen an außerschulischen Lernorten sowie digitales Lernen mit zum – genehmigten – Konzept.
Die oppositionelle FDP-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag hat von der Landesregierung Aufklärung verlangt. Im Raum steht der Vorwurf, dass die Bildungsministerin Privatschulen als unliebsame Konkurrenz betrachtet – und gängelt. Wir werden den Fall weiterverfolgen. (News4teachers berichtet über die aktuelle Entwicklung – hier).
In Hessen, meine Damen und Herren, sieht die Situation deutlich anders aus, wie mir der VDP versichert hat – Privatschul-freundlicher. Erst im vergangenen Jahr hat die Landesregierung die Finanzierung der Privatschulen neu geregelt. Zugunsten der Privatschulen.
Eine Evaluation habe gezeigt, dass das bestehende Gesetz der Höhe der Schülerkosten nicht mehr gerecht werde, so erklärte das Kultusministerium seinerzeit. Tatsächlich werden die Privatschulen künftig an den Entwicklungen der öffentlichen Schulen partizipieren, was eine Kernforderung der Privatschulträger war.
Ich zitiere Sie mal, sehr geehrter Herr Kultusminister Lorz: „Wir bekennen uns auch weiterhin zu unseren Ersatzschulen als wichtige Partner und werden sie im Rahmen der anstehenden Novellierung der Ersatzschulfinanzierung auch künftig finanziell gut ausstatten.“
„Wichtige Partner“ – klingt gut. Im Detail ist das partnerschaftliche Verständnis auf Seiten der Schulverwaltung allerdings auch in Hessen noch ausbaufähig. So wird den Lehrkräften freier Träger die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen der Hessischen Lehrkräfteakademie regelmäßig verwehrt. Schriftlich wurde den Privatschulverbänden mitgeteilt, dass sich die Lehrkräfte von Privatschulen zwar anmelden können, wenn allerdings Lehrkräfte im hessischen Schuldienst auf der Warteliste stehen, werden diese den Platz erhalten und die Lehrkraft an Privatschulen steht wieder auf der Warteliste.
Ein weiteres Beispiel: Das jüngste Gerangel um eine Genehmigungspflicht für die Einstellung neuer Lehrkräfte, die Privatschulen zunächst auferlegt werden sollte. Die war in einem ursprünglichen Entwurf zur Neufassung des Schulgesetzes vorgesehen – keine Kleinigkeit in Zeiten des Lehrkräftemangels, in denen auch Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger in den Schuldienst händeringend gesucht werden.
Nach Einwänden der Privatschulverbände wurde die generelle Genehmigungspflicht für Lehrkräfte und Schulleitungsmitglieder wieder gestrichen und diese durch ein Anzeigeverfahren (mit Genehmigungsoption bei – noch – nicht ausreichenden Nachweisen zur pädagogischen Eignung) ersetzt. Was das konkret bedeutet, muss die künftige Praxis zeigen. Eine kleinliche Auslegung allerdings würde den Privatschulen ihre Arbeit unnötig erschweren.
Dabei ist doch klar, dass Privatschulen ein höchstes Interesse an der Einstellung geeigneter Lehrkräfte haben. Nicht geeignete Lehrkräfte beeinträchtigen die Qualität des Unterrichts, führen zur Unzufriedenheit der Schülerinnen und Schüler sowie der Elternhäuser und verringern damit die Nachfrage nach Schulplätzen, was wiederum einer Privatschule die Existenzgrundlage entzieht.
Ein weitergeltendes Prüfungsverfahren seitens der staatlichen Schulämter ist also überflüssig – und sollte nicht dazu führen, die womöglich unliebsame Konkurrenz auf dem eng gewordenen Lehrerarbeitsmarkt mit unfairen Mitteln auszubremsen.
Apropos Lehrkräftemangel. Der wird in den nächsten Jahren mit Wucht über die Schulen in Deutschland hereinbrechen. Schon aufgrund der demografischen Entwicklung. Meine Befürchtung ist allerdings, dass er noch deutlich schlimmer ausfällt als vorhergesagt wird. Der Grund: Das Frustrationsniveau in der Lehrerschaft ist gewaltig.
“Marode Schulgebäude, keine eingerichteten Arbeitsplätze, eine holprige Digitalisierung, kaum Spielräume bei der Gestaltung des eigenen Arbeitsumfelds – wen soll das denn anlocken?”
News4teachers ist nicht nur eine Nachrichtenseite, sondern auch ein Diskussionsforum, das vor allem von Lehrerinnen und Lehrern genutzt wird. Seit der Corona-Krise ist die Zahl der Klagen, die im Leserforum geäußert werden, geradezu explodiert – und mit jeder Vertretungsstunde, die aufgrund der Personalnot zusätzlich erteilt werden muss, mit jeder Stunde Mehrarbeit, die dadurch anfällt, steigt der Ärger weiter an.
Den bekommen natürlich auch junge Menschen mit, die sich in der Phase der Berufsorientierung befinden. In der Wirtschaft wird derzeit über die Vier-Tage-Woche diskutiert. Homeoffice ist in vielen Berufen längst normal. Im Schuldienst werden dagegen schon jetzt die Teilzeit-Möglichkeiten vielerorts eingeschränkt. Marode Schulgebäude, keine eingerichteten Arbeitsplätze, eine holprige Digitalisierung, kaum Spielräume bei der Gestaltung des eigenen Arbeitsumfelds – wen soll das denn anlocken?
Natürlich sind auch Privatschulen vom Lehrkräftemangel betroffen. Allerdings, so ist mein Eindruck, haben Sie in einem Punkt ihrem Personal deutlich mehr zu bieten als öffentliche Schulen: in der Selbstwirksamkeitserfahrung. Ich durfte als Journalist viele Pädagoginnen und Pädagogen an freien Schulen kennenlernen, die – trotz aller Belastungen und trotz häufig geringerer Entlohnung als im Staatsdienst – mit sehr viel Engagement in ihren Einrichtungen arbeiten.
- Sie tun das, anders als in vielen öffentlichen Schulen, im Team.
- Sie tun das, anders als in vielen öffentlichen Schulen, in engen Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern.
- Und sie tun das, anders als in vielen öffentlichen Schulen, mit einem hohen Maß an pädagogischer Eigenverantwortung und mit der tiefen Überzeugung, eine eminent wichtige Arbeit zu
Hier, im Kernbereich von Schule – nämlich im menschlichen Miteinander – kann das staatliche Schulwesen sich eine Menge von freien Schulen abschauen. Liebe Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitiker – schauen Sie hin, lassen Sie sich inspirieren, nutzen Sie die Kanäle, die Ihnen gerade in Hessen offenstehen. Zum Wohl der Ihnen anvertrauten Kinder.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.