AMÖNEBURG. Eine Kita ist in einen von der «Bild»-Zeitung angeheizten Shit-Storm geraten, weil die Fachkräfte die üblichen Muttertags- und Vatertagsgeschenke nicht mehr mit den Kindern basteln wollten. «Knallhart woke» sei das, so schimpfte das Springer-Blatt. Und das Team der katholischen Einrichtung musste – offensichtlich auf Anordnung des Bistums hin – zu Kreuze kriechen und sich öffentlich entschuldigen. Ein CDU-Bundestagsabgeordneter veröffentlichte gleichwohl die Adresse der Einrichtung. Seitdem fürchten die Beschäftigten um Leib und Leben.

Nach der Ankündigung, im Sinne der Diversität auf gemeinsame Basteleien zum Mutter- und Vatertag zu verzichten, hat sich eine katholische Kita im Landkreis Marburg-Biedenkopf bei den Eltern entschuldigt. Das ursprüngliche Schreiben habe für Irritationen bei der Elternschaft gesorgt, erklärte das Bistum Fulda. Angeheizt worden war die Stimmung allerdings durch die «Bild»-Zeitung. Die hatte getitelt: «Katholische Kita in Hessen knallhart woke – Keine Geschenke mehr zum Mutter- und Vatertag?»
Der aus den USA stammende Begriff «woke» bedeutet, dass Menschen sich sozialer und politischer Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen bewusst sind. Rechte Politiker haben daraus einen Kampfbegriff gemacht. «Woke» ist alles, was angeblich gegen Althergebrachtes steht: von Klimaschutz über Anti-Rassismus bis hin zum Gendern. Und natürlich auch eine moderne Familienpolitik. Stets mittendrin im Getümmel: die «Bild»-Redaktion («Politiker warnen: Woke-Wahn gefährdet unsere Sicherheit»).
«In der heutigen Zeit, in der die Diversität einen immer höheren Stellenwert erhält, möchten wir diese vorleben und keinen Menschen ausschließen»
«Die Konstellation Mutter/Vater/Kind ist nicht mehr die Norm in heutigen Familien», so wagte die Kita in ihrem Brief festzustellen. Und: Ein Vatertagsgeschenk ohne Vater in der Familie sei nicht nur ohne Wert, sondern könne die Identität eines Kindes in Frage stellen. «In der heutigen Zeit, in der die Diversität einen immer höheren Stellenwert erhält, möchten wir diese vorleben und keinen Menschen ausschließen.» Deshalb wolle man dieses Jahr auf stereotype Geschenke wie «Blumen für die Mutter oder Werkzeug für den Vater» verzichten.
Offensichtlich ein geeignetes Drama für die «Bild»-Empörungsmaschine: Das Blatt schrieb von Fassungslosigkeit und davon, dass die Einrichtung «Diversität» (Anführungsstriche im Original) vorleben wolle. Der Kita-Träger, das katholische Bistum Fulda, ruderte sofort zurück: Das Team wurde augenscheinlich genötigt, in einem zweiten Schreiben um Entschuldigung zu bitten. «Kita-Team und Elternbeirat sind nun im direkten Dialog: Man ist sich einig, dass das ursprüngliche Schreiben unglücklich und damit falsch formuliert war. In weiteren Gesprächen mit der Elternschaft sollen die Irritationen und Missverständnisse nun ausgeräumt werden», hieß es.
Der Verzicht auf gemeinsame Mutter- und Vatertagsbasteleien war nach Angaben des Bistums Fulda in einer Teamsitzung beschlossen worden. «Eine missverständlich und damit falsch formulierte Begründung ließ bei einigen Adressaten offenbar Zweifel am Familienbild der Kita aufkommen», so das Bistum. Die Kita und das Bistum bedauerten die «Irritationen und Missverständnisse», die durch das Schreiben entstanden seien. «Gemeinsam stellen sie klar, dass die Kita auch weiterhin ein katholisches Profil hat und sich für das christliche Familienbild einsetzen wird, das die Rolle von Vater und Mutter mit einbezieht. Gleichzeitig werden andere Lebensmodelle und Realitäten nicht ausgeschlossen.»
Nachdem #Kuban die Adresse einer Kita in meinem Landkreis veröffentlichte, brach die Hölle über sie herein:
Kinder sind verängstigt, die Erzieherinnen werden beleidigt und bedroht!
Nun kam raus, dass die Glasscheibe der Gartenhütte zerstört wurde!
So geht das nicht weiter!! 1/2— Liban Farah (@LibanFa) May 10, 2023
Nachtrag: Wie der «Spiegel» berichtet, hat sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilman Kuban, ehemaliger Bundesvorsitzender der Jungen Union, auf Twitter über die Aktion der Kita empört («Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt») und deren Anschrift veröffentlicht. Die hessische CDU zündelte mit weiteren Tweets. Ergebnis: Im Netz häufen sich Hassbekundungen und Anfeindungen gegen die Mitarbeitenden des Kindergartens. Die Glasscheibe des Gartenhäuschens der Einrichtung wurde eingeschmissen. «Kinder sind verängstigt, die Erzieherinnen werden beleidigt und bedroht!», so heißt es. News4teachers / mit Material der dpa
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