FULDA. Eine Kita-Belegschaft kündigt an, zum Muttertag und zum Vatertag keine gemeinsame “stereotype” Bastelaktion mehr anbieten zu wollen, weil das vielen Familien nicht mehr gerecht werde – und sehen sich dadurch einer beispiellosen Hass-Welle ausgesetzt. Angetrieben wurde die zunächst von der “Bild”-Zeitung”. Und dann von zwei prominenten Politikern, die die Einrichtung öffentlich identifizierbar machten. Ist solche Hetze eigentlich strafbar?
Ex-CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz hat seinen Parteifreund Tilman Kuban scharf dafür kritisiert, die Belegschaft einer hessischen Kita an den Pranger gestellt zu haben. „In kulturkämpferischem Eifer hatte @TilmanKuban auf Twitter die Kita kritisiert und ihre Anschrift mitgeteilt. Absolutes No Go“, twitterte Polenz. Hintergrund: Die Kita war von der „Bild“-Zeitung (ohne Namensnennung) für einen Elternbrief als „knallhart woke“ gebrandmarkt worden, in dem die Fachkräfte angekündigt hatten, keine gemeinsame Bastelaktion mehr für den Mutter- und den Vatertag anbieten zu wollen (News4teachers berichtete).
Der Hannoveraner Bundestagsabgeordnete Kuban, ehemaliger Bundesvorsitzender der Jungen Union, hatte daraufhin das Kita-Schreiben zunächst mit Kontaktdaten veröffentlicht, später diese Angaben aber geschwärzt, „zum Schutz der Kinder und der Einrichtung“, wie er schrieb. Allerdings hatten laut „Frankfurter Rundschau“ zu diesem Zeitpunkt schon „einige große digitale Medien des ultrarechten Spektrums“ den Post von Kuban mit der Adresse der Kita weitergereicht. Auch Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) verbreitete das Schreiben auf Sozialen Medien. Zwar waren in seinem Post die Kontaktdaten der Kita nicht vollständig zu erkennen, zu sehen waren aber Ort und Stadtteil – in dem sich nur ein einziger Kindergarten befindet.
„Tilman Kuban, legen Sie unverzüglich Ihr Mandat nieder und bitten Sie bei der Kindertagesstätte und den Kindern um Verzeihung“
Die Folgen: Die Mitarbeiterinnen sind einer Flut von Drohungen ausgesetzt. Ein Sprecher des Bistums Fulda sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur, es habe „zahlreiche emotionsgeladene Telefonate“ gegeben. In Kommentarspalten und sozialen Medien sammeln sich Hassbekundungen gegen die Kindertagesstätte. Auf dem Kita-Gelände wurden zwei Gartenhütten von Unbekannten beschädigt.
Der ehemalige Berliner SPD-Politiker Christopher Lauer hat unterdessen eine Online-Petition gestartet, die Kuban zum Rücktritt auffordert (und bereits von mehr als 3.000 Menschen unterzeichnet wurde). „Tilman Kuban hetzte über den Kurznachrichtendienst Twitter den rechten Mob auf einen Kindergarten (!). Dieser sieht sich nun durch Rechtsextreme bedroht“, so heißt es darin. „Dieses Verhalten ist eines Bundestagsabgeordneten absolut unwürdig. Das muss auch nicht wortreich begründet oder erklärt werden. Wer kleinste Kinder zur Zielscheibe von Hass und Hetze macht, hat einfach einige ganz wesentliche Dinge nicht verstanden und definitiv den Schuss nicht gehört. Daher: Tilman Kuban, legen Sie unverzüglich Ihr Mandat nieder und bitten Sie bei der Kindertagesstätte und den Kindern um Verzeihung.“
Kuban erklärte gegenüber der „Frankfurter Rundschau“ lediglich: „Es geht nicht darum jemanden persönlich anzugreifen, denn auch Erzieherinnen und Erzieher machen einen tollen Job“” Dass Kinder nicht mehr für ihre Eltern basteln sollen, halte er aber für „eine unglaubliche Entwicklung“. Die Behauptung ist falsch: Die Kita hatte lediglich mitgeteilt, keine gemeinsame „stereotype“ Bastelaktion für den Vater- und Muttertag mehr anbieten zu wollen, weil viele Kinder der Einrichtung nicht im klassischen Familienmodell lebten – dass Kinder nicht mehr für ihre Eltern basteln sollen, davon war nie die Rede.
Parteifreund Polenz versah derweil den Post eines anderen Twitter-Nutzers mit drei Ausrufezeichen, in dem von einem „üblen Auswuchs des Populismus“ die Rede war – und die Frage gestellt wurde, warum CDU-Chef Friedrich Merz so etwas zulasse oder sogar befördere.
„In dem Moment, wo ich den Text, den Screenshot des Bildes teile, muss mir bewusst sein, dass der Hass der Anhänger sich genau gegen diesen Kindergarten richtet“
Der Würzburger IT-Anwalt Chan-jo Jun, der sich mit seinem Kampf gegen Hasskriminalität im Internet einen Namen gemacht hat, zeigt sich gegenüber dem Bayerischen Rundfunk entsetzt darüber, dass etablierte Politiker hier Menschen an den Pranger stellen – und einem Netzpöbel ausliefern. „Das Besondere an diesem Fall ist, dass das Opfer hier ein Kindergarten ist, und zwar das Team des Kindergartens und die Kinder und die Eltern dieser Kinder.” Diese Konstellation sei besonders sensibel – zumal es stets „die zweite Reihe der Empörten“ gibt, die mit Hassnachrichten reagierten.
Jun kritisierte Kuban und Aiwanger. „In dem Moment, wo ich den Text, den Screenshot des Bildes teile, muss mir bewusst sein, dass der Hass der Anhänger sich genau gegen diesen Kindergarten richtet.“ Der Anwalt betont: „Das hätten sie vorher erkennen müssen.“ Aus juristischer Sicht sei das Vorgehen vermutlich nicht strafbar, sei also nicht nach Paragraph 126a als Verbreitung von personenbezogenen Daten zu werten. „Gleichwohl haben sie natürlich starke Emotionen, man könnte auch sagen Hass, ausgelöst oder angefeuert. Aber das ist – im Augenblick jedenfalls – noch nicht verboten.“
Die Aktion der Politiker hat allerdings auch eine Gegengewegung in den sozialen Medien ausgelöst. Tausende Mensch solidarisieren sich öffentlich mit den Beschäftigten. Eine Erzieherin schrieb auf Twitter an Kuban: „Wir basteln übrigens auch nicht, aus diesen und noch anderen Gründen. Brauchen Sie die Adresse meiner Kita?“ News4teachers