MÜNCHEN. In Bayern hängt es von den Noten im Halbjahreszeugnis der Klasse 4 ab, welche Schulform ein Kind im Anschluss besuchen darf – ein Verfahren mit hohem Konfliktpotenzial. Verbände, die Grundschullehrkräfte vertreten, protestieren seit Jahren gegen den sogenannten Übertritt. Jetzt macht auch eine Elterninitiative mobil. Sie protestierte vor dem bayerischen Kultusministerium gegen die „undurchsichtige Praxis“ vieler Grundschulen, die offensichtlich Klagen befürchten.
Johanna und Markus G. sind bestürzt. Sie können nach eigenen Angaben nicht glauben, wie das Kultusministerium ihren Fall in der Grundschule im Landkreis Landshut aussitzt. Ihnen sei aufgefallen, dass in der 4. Klasse ihres Sohnes regelmäßig unangekündigte schriftliche Leistungserhebungen geschrieben wurden. Umgangssprachlich nennt man das an weiterführenden Schulen in Bayern „Exen“. In der 4. Klasse der Grundschule sind aber Exen nicht erlaubt, um Druck von den Kindern zu nehmen. Obwohl das Ehepaar G. diese Praxis bei der Schulleitung mehrmals moniert hatte, sei nichts unternommen worden.
„Wir sind empört, wie intransparent die Grundschule mit dem Fehler der unangekündigten schriftlichen Leistungserhebungen umgeht“
Schließlich hätten sich die Eltern an die die zuständigen niederbayerischen Behörden gewandt, um auf das Fehlverhalten der Schule aufmerksam zu machen. Die Beschwerden seien inhaltlich bislang unbeantwortet geblieben. Eine Reaktion gab es trotzdem: Alle Eltern der Klasse hätten sich dann die Noten der umstrittenen Exen auswählen dürfen, die sie gerne in der Wertung haben wollten. „Die Problematik der mangelnden Chancengleichheit wurde somit auch nicht gelöst. Denn die erhöhte Belastung der Schüler kann im Nachgang nicht wett gemacht werden“, meinen Johanna und Markus G.. Deshalb entschieden sie sich dazu, gemeinsam mit Ilona Zehetleitner, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat und als Sprecherin der Initiative agiert, vor dem Kultusministerium „für mehr Qualitätssicherung und für eine bessere Fehlerkultur im bayerischen Übertrittsverfahren“ zu demonstrieren. „Wir sind empört, wie intransparent die Grundschule mit dem Fehler der unangekündigten schriftlichen Leistungserhebungen umgeht“, moniert Markus G.
„Der Umgang mit Lehrerfehlern und Verfahrensfehlern ist in der 4. Klasse oft ein Problem“, berichtet Ilona Zehetleitner. Nachdem sie sieben Jahre lang intransparente und fehlerhafte Übertrittsverfahren mit vier Kindern im Landkreis Eichstätt erlebt habe, erstellte sie eine Website für Eltern mit Informationen zum Übertritt. Seitdem wenden sich Eltern an sie mit konkreten Problemen im Übertrittsverfahren.
Ein besonders kritisches Beispiel für Verfahrensfehler seien eben unangekündigte schriftliche Leistungserhebungen in der 4. Klasse. „Diese sind in der 4. Klasse nicht erlaubt, dennoch praktizieren viele Schulen in Bayern sie trotzdem und nennen sie dann ‚1×1-Test‘, ‚Kurztest‘ oder ‚Kompetenztest‘. Diese Noten sollen dann als mündliche Noten in die Bewertung mit einfließen. Tatsächlich handelt es sich aber um schriftliche Noten. Wenn man dann diese Tests mit den Proben zusammenrechnet, erhöht sich die Zahl der schriftlichen Leistungserhebungen und überschreitet den Richtwert von 18 teilweise erheblich. Wenn eine Grundschule in der 4. Klasse unangekündigte schriftliche Leistungserhebungen durchführt, stellt dies einen erheblichen Mangel im Übertrittsverfahren dar“, so Zehetleitner.
Ihrer Erfahrung nach hätte die Schule mit solchen Tests ein rechtliches Problem, weil Eltern im ohnehin umstrittenen Übertrittsverfahren dagegen klagen könnten. „Häufig versuchen Schulen deshalb, solche Fehler zu vertuschen, was die Situation oft noch verschlimmert“, sagt Zehetleitner. Nachdem in der Schule ihrer Tochter im Landkreis Eichstätt ebenso verfahren wurde, habe sie im vergangenen Jahr eine Petition an den Bayerischen Landtag gerichtet, um zu fordern, dass das Kultusministerium alle Schulen über die Rechtslage informieren solle. Dies sei nicht umgesetzt worden.
„Zu Beginn des Schuljahres wird oft nur oberflächlich erklärt, wie die Leistungsbeurteilung in der Schule stattfindet und wie sich die Noten zusammensetzen“
Bayerns Übertrittsverfahren steht seit Jahren in der Kritik. Immer wieder wird diskutiert, ob der Elternwille mehr berücksichtigt werden soll oder ob man sich weiterhin ausschließlich auf die Entscheidung der Lehrerinnen und Lehrer verlassen sollte (News4teachers berichtete). In den meisten Bundesländern dürfen die Eltern über die weitere Schullaufbahn entscheiden. „Wenn die bayerische Staatsregierung weiterhin an dem umstrittenen System festhalten möchte, dann wäre es dringend notwendig, die Transparenz im Übertrittsverfahren zu erhöhen und eine Fehlerkultur zu etablieren“, so heißt es. „Das könnte Konflikte zwischen Eltern und Lehrern reduzieren.“
Oftmals fühlten sich Eltern nicht ausreichend informiert und bemängelten, dass die Leistungsbeurteilung ihrer Kinder nicht objektiv genug sei. „Zu Beginn des Schuljahres wird oft nur oberflächlich erklärt, wie die Leistungsbeurteilung in der Schule stattfindet und wie sich die Noten zusammensetzen“, meint Zehetleitner. „Dies kann zu Frustration führen und im schlimmsten Fall die schulische Entwicklung der Kinder beeinträchtigen.“
Umso mehr, wenn Grundschulen über den Notenstand der Kinder erst spät informieren würden (was immer wieder geschehe). „Wenn Eltern dann erfahren, dass das Notenbild für das Übertrittszeugnis schlechter ist als gedacht, erzeugt das oft großen Unmut.“ Zehetleitner: „Die intransparente Vorgehensweise vieler Grundschulen ist absolut inakzeptabel und zeigt, dass das Kultusministerium dringend Maßnahmen ergreifen muss, um die Qualitätssicherung und Transparenz bei Leistungserhebungen in Grundschulen zu verbessern. Wir fordern das Kultusministerium auf, endlich zu handeln und diese Missstände zu beseitigen.“ News4teachers