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Debatte um Kopfnoten kocht wieder hoch: Wie sinnvoll sind Zensuren für Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung?

DRESDEN. Kopfnoten sind umstritten – so umstritten, dass sie in manchen Bundesländern abgeschafft und dann wieder eingeführt wurden. In Sachsen werden nach wie vor Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung benotet. Doch damit könnte bald Schluss sein. Eine Kommission zur Zukunft der Schulen hat die Abschaffung empfohlen. Das stößt auf Widerspruch.

Kopfnoten? Haben offenbar keinen Einfluss auf das Verhalten von Schülern – werden aber immer wieder heiß diskutiert. Foto: Shutterstock

An den Kopfnoten auf Schulzeugnissen scheiden sich seit langem die Geister – nun stehen sie erneut in der Diskussion. Eine Expertenkommission hat in Sachsen jüngst ihre Abschaffung empfohlen. Stattdessen soll das Lern- und Sozialverhalten der Schüler über ein «individuelles Worturteil» sowie gemeinsame Zielvereinbarungen bewertet werden. Bei Schülervertretern und in der Wissenschaft stößt das auf Zustimmung, dagegen wollen Vertreter von Wirtschaft und Lehrern am bisherigen System festhalten.

«Kopfnoten geben ein Schema vor, das Persönlichkeiten in regelkonform und nicht regelkonform einsortiert»

Kritik an Kopfnoten kommt von Schülerseite. Dabei gehe es nicht um Leistungen und Erfolge, sondern um Facetten der Persönlichkeit, sagte Lilly Härtig, Vorsitzende des Landesschülerrates. Und jeder Schüler sei anders. «Kopfnoten werden dem nicht gerecht, sie geben ein Schema vor, das Persönlichkeiten in regelkonform und nicht regelkonform einsortiert.» Auch sei die Bewertung sehr subjektiv und in vielerlei Hinsicht anfällig für «Willkür der Lehrkraft».

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Individuelle, schriftliche Rückmeldungen für die Schüler seien da weitaus sinnvoller, betonte Härtig. «Diese sind aussagefähiger. Gleichzeitig zwingen sie Lehrkräfte dazu, sich zu erklären, denn ein schriftliches Feedback kann besser nachvollzogen und gegebenenfalls diskutiert werden als eine Zahl ohne nähere Begründung.»

Ähnlich kritisch geht die Leipziger Pädagogik-Professorin Maria Hallitzky mit Kopfnoten ins Gericht. Sie hätten keine erziehende, sondern nur eine urteilende Funktion, die den Schülern einen Stempel aufdrücke, den sie im schlechtesten Fall nicht wieder loswürden, sagte sie jüngst im Interview der «Leipziger Volkszeitung». Hinzu komme, dass Lehrer unterschiedliche Erwartungen an das Verhalten von Schülerinnen und Schülern stellen würden.

Über die Kopfnoten wird in Sachsen immer wieder diskutiert – auch Gerichte haben sich damit schon kontrovers beschäftigt (News4teachers berichtete). «Sie sind zwar nicht das Nonplusultra, machen aber Sinn», sagte der Vorsitzende des Sächsischen Lehrerverbandes, Michael Jung. Sie böten Orientierung und würden schon jetzt durch ein kurzes Worturteil ergänzt. Bei rein wörtlichen Beurteilungen sieht er nicht nur enormen Mehraufwand vor allem für Klassenleiter. «Das wird auch Larifari.» Denn die Gefahr sei groß, dass dann auf mehrdeutige Floskeln und Wortschablonen zurückgegriffen werde – ähnlich wie das aus Arbeitszeugnissen bekannt sei. «Da muss man fragen, ob das das Ziel sein soll.»

Diese Gefahr sieht auch Kultusminister Christian Piwarz (CDU), der sich in der Vergangenheit für Kopfnoten ausgesprochen hatte. Die Vorschläge der Expertenkommission will er nicht bewerten und verweist auf den anstehenden Praxischeck mit verschiedenen Regionalforen. Die Frage sei, wie es sinnvoll gelingen könne, andere Bewertungsmaßstäbe zu etablieren. Die dürften einerseits Lehrer nicht zusätzlich belasten, anderseits dürfe es nicht wie bei Arbeitszeugnissen zu einer reinen «Formelsprache» kommen. «Damit wäre dem eigentlichen Anliegen überhaupt nicht gedient», hatte Piwarz bei der Vorstellung der Empfehlungen jüngst erklärt.

«Kopfnoten sollten beibehalten werden», mahnte der Sprecher der Geschäftsführung des Sächsischen Handwerkstages, Andreas Brzezinski. Sie gäben Ausbildungsbetrieben und künftigen Arbeitgebern kurz und knapp einen ersten Hinweis, wie es um die soziale Kompetenz eines Bewerbers bestellt sei. Der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Chemnitz, Christoph Neuberg, sieht sie ebenfalls als wichtigen Indikator bei Bewerbungen um eine Lehrstelle. «Sie vermitteln einen kleinen Eindruck über das bisherige Sozialverhalten, ob Bewerberin oder Bewerber beispielsweise geeignet sind für einen Dienstleistungsjob oder für die Schichtarbeit.»

Eine Studie des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung hatte 2019 allerdings ergeben: Verhaltensnoten für Schülerinnen und Schüler sind bedeutungslos für den Bildungserfolg und den Einstieg ins Berufsleben (News4teachers berichtete). „Weder bei Schulleistungen, Charaktereigenschaften oder der Erwerbstätigkeit können wir bedeutsame Unterschiede für Schulkinder mit und ohne Verhaltensnoten nachweisen. Diese ‚Kopfnoten‘ scheinen sich also weder positiv noch negativ auf die Entwicklung der Schüler*innen auszuwirken“, sagt ifo-Forscher Florian Schoner seinerzeit.

„Unsere Ergebnisse zur ‚Kopfnoten‘-Reform legen nahe, dass sich die politischen Bemühungen auf andere Bereiche konzentrieren sollten“

Die Studie illustriere, dass über manche Bildungsreformen zwar in der Öffentlichkeit heftig debattiert wird, sie aber keinen messbaren Unterschied für die betroffenen Schülerinnen und Schüler erzeugen. „Aus politischer Sicht ist das sehr aufschlussreich“, sagte ifo-Forscherin Larissa Zierow mit Blick auf die Debatten um Kopfnoten in vielen Bundesländern. „Die Wissenschaft benötigt messbare Beweise, um zu klären, ob viel diskutierte Reformen überhaupt Folgen haben. Unsere Ergebnisse zur ‚Kopfnoten‘-Reform legen nahe, dass sich die politischen Bemühungen auf andere Bereiche konzentrieren sollten, um die Qualität des Bildungssystems zu erhöhen.“

Anders ausgedrückt: Viel Lärm um nichts. News4teachers / mit Material der dpa

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