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Jugendpolitik in Deutschland: Debatte um Dienstpflicht kocht wieder hoch (und bei den Freiwilligendiensten wird gespart)

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BERLIN. Was kann es bringen, vor allem junge Menschen zu sozialer Arbeit zu verpflichten? Aus der SPD kommt ein neuer Vorstoß für eine Dienstpflicht. Bei den Freiwilligendiensten dürfte derweil gekürzt werden.

Hauptsache billig? (Symbolbild). Foto: Shutterstock

Sollen die Menschen in Deutschland per Dienstpflicht zu mehr sozialem Engagement und stärkerem Miteinander gedrängt werden? Der SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese knüpfte nun an einen Vorstoß von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an und machte sich für einen sozialen Pflichtdienst stark. Es dauerte nur wenige Stunden, bis Wieses eigene Fraktionsführung dem Vorschlag eine Absage erteilte. Aus der CSU kam der Hinweis, die Regierung möge besser Kürzungspläne bei den bestehenden Freiwilligendiensten zurücknehmen. Doch es gibt auch Fürsprecher für eine Dienstpflicht.

Mögliche Dienstpflicht:

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«Ich wünsche mir, dass wir eine Debatte über eine soziale Pflichtzeit führen.» Diesen Anstoß gab Steinmeier vor gut einem Jahr per Interview. «Es geht um die Frage, ob es unserem Land nicht guttun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen.» Wiese griff dies nun auf und sagte der  «Rheinischen Post», die «richtigerweise angestoßene Debatte müssen wir nach der Sommerpause weiterführen». Denn: «Wir brauchen wieder mehr Respekt im Umgang und ein stärkeres Miteinander im Land.» Beides schwinde «im täglichen Umgang und digital, in Freibädern, beim Nichtbilden von Rettungsgassen, im Alltag oder bei AfD-Trollen im Internet». Mindestens drei Monate sollte so ein Dienst dauern.

Keine Dienst-Pläne:

Doch wer nun gemeint hat, bei der SPD lägen womöglich entsprechende Pläne in der Schublade, irrte. «Wir planen keinen Pflichtdienst in der SPD-Bundestagsfraktion und in der SPD», stellte die Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast rasch klar. Mast sprach von einem «persönlichen Debattenbeitrag» Wieses. Kritikerinnen und Kritiker der Idee argumentieren unter anderem, dass es gerade bei jungen Menschen oft viel Engagement gebe – etwa für den Klimaschutz. Ihnen nach den Corona-Jahren mit ihren Vorschriften und Verboten nun mit einem Pflichtjahr zu kommen, ist aus ihrer Sicht das falsche Signal. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte: «Alle Argumente zu einem Pflichtdienst sind ausgetauscht – wir als FDP lehnen solch einen Eingriff in das Leben junger Menschen entschieden ab.»

Pflichtzeit als Türöffner für Sozialberufe:

Doch Steinmeier und Wiese stehen nicht alleine. So sagte die Pflegebevollmächtigte der Regierung, Claudia Moll (SPD): «Eine soziale Pflichtzeit kann uns als Gesellschaft nicht schaden, wenn jeder eine Idee davon bekommt, was soziales Engagement bedeutet.» Die Debatte sei aktueller denn je. So könne eine mögliche Pflichtzeit auch die Chance sein, mehr junge Menschen für soziale Tätigkeitsfelder zu gewinnen. Und die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), lobte es auf Twitter als «sehr gut», dass die Debatte vorangehe. Bereits Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte im Februar deutlich gemacht, er sehe gute Argumente für eine Dienstpflicht zur Stärkung von Katastrophenschutz, Bundeswehr und Rettungsdiensten. Die CDU-Opposition hatte sich schon im September auf einem Parteitag für die Einführung eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs ausgesprochen.

Sozialverbände skeptisch:

Keine Unterstützung für eine Dienstpflicht kommt von den Sozialverbänden. «Das Ziel, gesellschaftliches Miteinander und Respekt zu fördern, teilen wir ausdrücklich. Gesellschaftliches Engagement sollte aber nicht erzwungen werden», sagte die Vorsitzende des Sozialverband Deutschland, Michaela Engelmeier, der dpa. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, hält es zudem für unverhältnismäßig, dafür «kostspielige bürokratische Strukturen und ein neues Kreiswehrersatzamt» aufzubauen. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, plädiert in der «Rheinischen Post» stattdessen dafür, die bestehenden Freiwilligendienste auszubauen.

Kürzung bei Freiwilligendiensten geplant:

Doch die zuständige Familienministerin Lisa Paus (Grüne) stellte Anfang Juli angesichts des Spardrucks im Bundeshaushalt 2024 klar: «Für einen Ausbau der Freiwilligendienste stehen (…) keine Mittel zur Verfügung.» Stattdessen komme zu bereits geplanten Einsparungen fürs kommende Jahr eine weitere Absenkung der Mittel für 2025 hinzu. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Ralph Edelhäußer nannte es in den Zeitungen der «Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft» «das völlig falsche Signal», die Mittel binnen zwei Jahren wie angekündigt um 113 Millionen Euro kürzen zu wollen. Laut Edelhäußer müssten Bundesfreiwilligendienst (BFD), Soziales und Ökologisches Jahr (FSJ/FÖJ) sowie die internationalen Jugendfreiwilligendienste vielmehr von derzeit insgesamt etwa 115 000 Stellen um weitere 100 000 aufgestockt werden. SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Mast verwies auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen. Sie hoffe, Kürzungen könnten abgefedert werden.

Die Freiwilligendienste:

Für ein FSJ und ein FÖJ kommen neben sozialen und Umwelt- auch Kultureinrichtungen in Frage. Man muss hierfür jünger als 27 Jahre sein und die Schulpflicht erfüllt haben. Ein FSJ oder FÖJ dauert mindestens 6 und höchstens 18 Monate in Vollzeit, meist aber 12 Monate. Bewerben kann man sich etwa direkt bei den Einrichtungen, die man über Stellenfinder im Internet finden kann. Keine Altersgrenze gibt es hingegen beim BFD. Gehalt wird bei den Freiwilligendiensten nicht gezahlt, aber ein Taschengeld von zuletzt höchstens 423 Euro im Monat. Von Basil Wegener, dpa

Debatte um soziales Pflichtjahr: Verpflichtet doch Senioren! – ein Kommentar

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