BERLIN. Die Kita-Fachkräfteverbände aus den Bundesländern haben zum zehnjährigen Bestehen des Rechtsanspruchs von Eltern auf Kita-Betreuung für ihr Kind Bilanz gezogen – sie sehen „keinen Grund zum Feiern“. Im Gegenteil: Die Verbände warnenin ihrer Stellungnahme davor, dass Kitas angesichts des sich dramatisch zuspitzenden Personalmangels zu „Verwahranstalten“ verkommen. Angemahnt werden bundesweit geltende Qualitätsstandards für die Einrichtungen. Und entsprechende Ressourcen.
Vor genau zehn Jahren trat in Deutschland der Rechtsanspruch auf Betreuung in einer Kita oder Kindertagespflege in Kraft. Seit August 2013 hat jedes Kind ab einem Jahr ein Recht auf Betreuung, frühkindliche Bildung und individuelle Förderung. Es sei allen Beteiligten klar gewesen, dass die Umsetzung dieses Rechtsanspruches große Anstrengungen und erhebliche finanzielle Mittel benötigen würde, um Kitas quantitativ und qualitativ adäquat auszubauen, heißt es.
Bereits 2013 bestanden Zweifel an der Umsetzbarkeit. So stellte die GEW damals fest, dass versäumt worden sei, „rechtzeitig mit dem Ausbau und vor allem mit der Ausbildung des zusätzlich benötigten Fachpersonals zu beginnen. In der Eile, in der in den vergangenen Monaten auf den letzten Drücker Einrichtungen gebaut und eröffnet wurden, ist viel zu wenig auf pädagogische Qualität geachtet worden. Um zu vermeiden, dass Eltern einen Platz vor Gericht einklagen, schafft man Masse statt Klasse.“
Auch die Bertelsmann Stiftung erklärte in ihrem damaligen Ländermonitor: „Ob im August 2013 tatsächlich alle Bedarfe gedeckt werden können, bleibt abzuwarten. Aus dem Blick gerät allerdings zuweilen, dass die Herausforderungen in den nächsten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehen bleiben werden – ausgehend von den Teilhabequoten der unter Dreijährigen in den ostdeutschen Bundesländern erscheint es plausibel, dass der Bedarf auch in den westdeutschen Bundesländern in den nächsten Jahren weiter steigen wird. Neben den damit verbundenen finanziellen Anforderungen stellt sich insbesondere die Frage, ob genügend pädagogisches Personal vorhanden ist, das zudem über die erforderlichen Qualifikationsprofile verfügt. Zu wenig steht explizit die Qualität der Bildungs- und Betreuungsformen auf der politischen Agenda, d. h., wie frühkindliche Bildungssysteme ausgestaltet werden müssen, um allen Kindern förderliche Bildungs- und Entwicklungsbedingungen in den Kitas bieten zu können.“
Beide Statements – so meinen die Kita-Fachkräfteverbände jetzt – könnte man genauso aktuell im Jahr 2023 abdrucken. Tatsächlich sei bis heute in der Fläche keine kindgerechte Bildungs- und Betreuungsqualität gewährleistet. „Die damaligen Befürchtungen waren berechtigt. Bund, Länder und Kommunen haben nicht die nötigen finanziellen Mittel bereitgestellt, und es mangelt nach 10 Jahren weiterhin an Kita-Plätzen, Fachkräften und kindgerechten Rahmenbedingungen.“
„Wenn wir uns als Gesellschaft einig sind, dass Kinder das Wichtigste sind, was wir haben, muss frühkindliche Bildung und eine kindgerechte Betreuung, auch wenn es um die Finanzierung geht, an erster Stelle stehen“
Dabei seien die Parameter für eine gute Kita-Qualität unstrittig. „Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern ein großes Umsetzungsproblem.“ Die Kita-Fachkräfteverbände fordern Bund, Länder und Kommunen auf, „endlich deutschlandweit eine Kita-Qualität nach wissenschaftlichen Mindestanforderungen gesetzlich festzuschreiben und zu finanzieren“ – und zwar für jedes Kind, egal in welchem Bundesland es lebt. Solange im föderalen System die finanzielle Verantwortung zwischen Bund, Ländern und Kommunen aber hin und her geschoben werde, könne die Kita-Krise auch in den kommenden zehn Jahren nicht gelöst werden.
Die Bertelsmann Stiftung beschreibt als wichtige Gradmesser für „gute“ Kitas: erstens, genügend pädagogisches Personal, gut qualifizierte Teams sowie kleine Kindergruppen. Die Gruppengröße enspreche in vielen Kitas nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen, heißt es. Gruppen für jüngere Kinder sollten nicht mehr als zwölf Kinder umfassen, für die Älteren nicht mehr als 18. „Zu große Gruppen bedeuten für die Kinder und das Fachpersonal übermäßigen Stress, etwa durch Lautstärke. Dies kann dazu führen, dass pädagogische Aktivitäten, die für die kindgerechte Entwicklung wichtig sind, nicht ausreichend durchgeführt werden.“
Die Verbände stellen nun fest: „Kitas sind in einer modernen Gesellschaft mit einem gleichberechtigten Berufsleben beider Elternteile systemrelevant. Das Wirtschaftsland Deutschland ist auf eine funktionierende Kita-Betreuung sowie gute frühkindliche Bildung mehr denn je angewiesen. Viele Kita-Kinder verbringen unter der Woche mehr Zeit in der Kita als zuhause. Wenn Kitas zu Verwahranstalten verkommen, verschenken wir unglaublich viel Talente und Potentiale. Wir brauchen auch in Zukunft gut gebildete, belastbare junge Menschen, welche die Herausforderungen der Zukunft meistern können. Kinder sind auf entwicklungsförderliche Bedingungen in ihren Einrichtungenangewiesen. Die Mindestanforderungen an eine gute pädagogische Qualität wurden vor Jahren definiert und sind in Wissenschaft und Fachpraxis unstrittig. Etabliert wurden diese Mindeststandards bisher in keinem Bundesland.“
Für Kinder und Kita-Fachkräfte sei die Kita-Welt nicht in Ordnung. „Wir können unserem gesetzlichen Auftrag, Kinder bedürfnisorientiert zu betreuen, sie zu bilden und zu fördern, nur sehr eingeschränkt nachkommen“, sagt die Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Bayern, Veronika Lindner. „Viele Kinder auf engem Raum mit wenig Personal verhindern eine gute pädagogische Qualität.“ Dem stimmt Melanie Krause, Vorsitzende des Kita-Fachkräfteverbands Niedersachsen/Bremen zu: „Jedes Jahr schicken wir schweren Herzens Kinder mit sprachlichen, motorischen Defiziten oder Verhaltensauffälligkeiten in die Schule, weil wir in den Kitas nicht genug Zeit und Raum haben, uns den Kindern so zuzuwenden und sie in ihrer Entwicklung zu begleiten, wie das notwendig wäre.“
Die Kita-Fachkräfteverbände sind sich einig, dass Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit unter den aktuellen Rahmenbedingungen auf der Strecke bleiben. Die ersten Lebensjahre seien entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Hier würden die Grundlagen der Bildungsbiografie gelegt, Talente gefördert oder viel Potential brachliegen gelassen. „Wir brauchen endlich ein Kita-Qualitätsgesetz, das seinen Namen zu Recht trägt. Dafür müssen Bund, Länder und Kommunen gemeinsam festlegen, wer zu welchen Teilen einen kindgerechten Kita-Alltag für unsere Jüngsten finanziert“, so fordern die Verbände. „Wenn wir uns als Gesellschaft einig sind, dass Kinder das Wichtigste sind, was wir haben, muss frühkindliche Bildung und eine kindgerechte Betreuung, auch wenn es um die Finanzierung geht, an erster Stelle stehen. Kindgerechte Kitas sind keine Frage des Schicksals, sondern des politischen Willens.“ News4teachers / mit Material der dpa