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Ein Gastbeitrag von Bob Blume: “Es ist Zeit, aufzuwachen” – KI wird den Unterricht radikal verändern!

DÜSSELDORF. Bob Blume ist unter anderem Buchautor (“Zehn Dinge, die ich an Schule ändern würde”), Podcaster (“Die Schule brennt”) und ein sowohl in den sozialen Medien wie im Fernsehen präsenter Bildungsinfluencer – kurz: der wohl bekannteste Lehrer in Deutschland. In seinem folgenden Gastbeitrag auf News4teachers beschreibt er die Folgen, die Künstliche Intelligenz für den Unterricht haben wird. “Nach dem ersten Hype rund um ChatGPT fallen viele Lehrkräfte zurück in alte Muster. Dabei ist jetzt noch die Zeit, sich vorzubereiten” – meint er. 

Wie kann Lernen relevant bleiben – fragt Bob Blume. Foto: Niko Neithardt

Die Reaktionen meiner Kolleginnen und Kollegen reichten von Erstaunen über Irritation bis zu einem veritablen Schock. Kein Wunder, war dies doch auch meine erste Reaktion gewesen, als ich die die neue Video-KI aus dem Hause Heygen Labs ausprobiert hatte.

Während die Möglichkeit, einen eigenen Video-Avatar von sich selbst zu erstellen, noch als lustige, aber für die meisten unbrauchbare Spielerei durchgehen konnte, sind wir nun Zeugen einer wahrgewordenen Science-Fiction-Phantasie: Bis zu fünf Minuten lange Videos können hochgeladen und unterschiedlichste Sprachen übersetzt werden. Der Clou: Die Stimme bleibt nahezu gleich, die Lippen bewegen sich nach der Aussprache der Übersetzung. Man kann das nicht beschreiben, man muss es sehen. Es ist irre!

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Frei nach Sascha Lobo könnte man sagen: Für viele ist das der „Realitätsschock“ des Lehrerzimmers. Dabei ist das Wort sehr präzise, denn wir haben es nicht mehr mit einer Zukunftstechnologie zu tun, sondern mit der Gegenwart.

Dabei erscheint es zunächst, gerade für Lehrer-Kollegien, wichtig, mit einem Missverständnis aufzuräumen. Es geht bei KI nicht um einen Trend oder einen Hype. Und es geht auch nicht um Missionare, die alle anderen davon überzeugen sollen, dass wir nun alle Videos übersetzen lassen und KI nutzen müssen. Es geht noch nicht einmal um die nachvollziehbare Frage danach, inwiefern wir noch Sprachunterricht brauchen.

Worum es geht habe ich vor einiger Zeit in einer Frage formuliert, die wir über kurz oder lang beantworten müssen:

„Wie kann Lernen zu einem Prozess werden, der selbst als so sinnstiftend wahrgenommen wird, dass sich in seiner individuellen und dialogischen Vertiefung eine Weiterentwicklung des (jungen) Menschen im Hinblick auf kognitive, physische, persönliche und professionelle Fähigkeiten ergibt?“

Ich gebe zu: Sie ist klobig und kompliziert. Eine Verkürzung wäre: Wie kann Lernen relevant bleiben?

Wie kann Lernen relevant bleiben, wenn ich alles schreiben, übersetzen, zusammenfassen, strukturieren und sogar vortragen lassen kann.

Anstelle einer Antwort möchte ich nochmals konkret werden und in einigen Punkten beschreiben, was wir als Lehrkräfte jetzt schon, ohne uns großartig eingelesen zu haben, mit Tools wie ChatGPT oder der datenschutzkonformen Version für Schulen SchulKI  machen können.

Und es geht noch viel, viel mehr. Im Sprachunterricht brauchen wir nicht mehr nur die Texte über Schüler aus London lesen. Wir können gleich mit jemandem aus London „sprechen“ (vgl. https://bobblume.de/2023/03/25/unterricht-chatgpt-als-interaktiver-lernpartner/ ). Und mit dem richtigen Prompt (also Eingabebefehl) können wir dafür sorgen, dass der Chatbot nicht nur antwortet oder lobt, sondern sogar verbessert.

Und das alles kann entlang des Lehrplans geschehen.

Und wenn wir dann noch weiter denken, sind wir bei so präzisen Assistenten, bei adaptiven Lernbegleitern, dass wir plötzlich in der Lage sind, eine Binnendifferenzierung vgl. vorzunehmen, wie es nie zuvor möglich war. Nie zuvor! (vgl. www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/bob-blume-im-gespraech-ueber-chatgpt-in-der-schule-18904325.html)

Es ist provokant, aber ich bleibe dabei, was ich vor einiger Zeit auf X schrieb: Wer meint, ChatGPT und alle Folgemodelle seien nichts anderes als Wikipedia mit anderen Mitteln, haben sich schlicht zu wenig damit befasst und werden noch böse auf die Nase fallen.

Der Unterschied sollte klar sein: Während man die technischen Entwicklungen der letzten Jahre noch ignorieren konnte, ist das nun nicht mehr möglich. Entweder nutzt man ChatGPT und Co. im Unterricht – dann nutzen es die Schülerinnen und Schüler. Oder man tut es nicht – dann nutzen sie es auch.

Nur haben wir natürlich ein Problem. Wir alle haben gelernt, wie Unterricht auszusehen hat. Wie Unterricht funktioniert. Wir wurden bewertet nach Maßstäben, die Unterricht als präzise Abfolge von Schritten sehen, die alle Kinder zur selben Zeit tun. Und obwohl wir und nach den Lehrproben davon gelöst haben, ist doch ein Bild von Unterricht in unseren Köpfen, das sich schwer durchbrechen lässt. Ich denke: Wir müssen es durchbrechen.

Nicht weil das schick oder hip oder progressiv ist. Und auch nicht, weil ich direkte Instruktion ablehne oder denke, dass Frontalunterricht des Teufels ist. All die Bestandteile von tradiertem Unterricht können durchaus in Zukunft eine Rolle spielen.

Aber, und das ist der Punkt, wenn wir die Individualisierung nicht ernst nehmen. Wenn wir nicht ernst nehmen, dass Schülerinnen und Schüler nun überall dort KI nutzen, wo sie es können (und Hand aufs Herz: warum auch nicht!? Als hätten wir damals nicht Informationen mit Alta Vista gesucht und für unsere Referate genutzt). Wenn wir weiterhin das eigentliche Lernen in die Hausaufgabe verlagern. Wenn die Übung weiterhin zuhause geschieht. Dann outsourcen wir das Wichtigste, das wir haben: Die einzige Möglichkeit, als die neuen Technologien gemeinsam zu verstehen. Dort, wo alle die annähernd gleichen Bedingungen haben. Dort, wo man helfen kann.

Alles wird sich ändern, so oder so. Aber es wäre wünschenswert, wenn wir erkennen, dass wir die Schwelle zu einem neuen Zeitalter längst überschritten haben. Es ist Zeit, aufzuwachen! Bob Blume / News4teachers

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