WIESBADEN. Ist Montessori das bessere pädagogische Konzept? Vor zwölf Jahren quittierte die Biologie- und Erdkundelehrerin Brigitte Johannsen ihren Dienst an einem staatlichen Gymnasium und ist seither als Schulleiterin an der Montessori-Schule im hessischen Mühlheim tätig – an der Schule, die sie einst mitgegründet und die auch ihre beiden Söhne besucht haben. Ihren Wechsel zu einer Privatschule hat die heute 60-Jährige nie bereut. Warum – das verriet sie im Interview mit News4teachers.
News4teachers: Was hat Sie dazu bewogen, von einer staatlichen Schule an eine Montessori-Einrichtung zu wechseln?
Brigitte Johannsen: Eigentlich hatte ich mich damals an meiner Schule gar nicht so unwohl gefühlt, ich hatte ja meine Freiräume. Mit den Jahren verjüngte sich das Kollegium, und es kamen viele junge Lehrkräfte, die wieder frischen Wind in die Schule brachten. Wir nutzten unsere Möglichkeiten und setzten viel Neues im Unterricht um.
Was mich aber am meisten am Staatsdienst gestört hat, war die große Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die ich unterrichten musste. Als Nebenfachlehrerin für Biologie und Erdkunde hatte ich am Schuljahresanfang manchmal 180 neue Schüler. Das war sehr unbefriedigend für mich. Natürlich habe ich mich sehr bemüht, jedem Kind gerecht zu werden, und ich glaube nicht, dass meine Schüler das Gefühl hatten, sie seien nur eine Nummer für mich. Trotzdem konnte ich nicht die Beziehung zu jedem Kind aufbauen, die für gutes Lernen notwendig ist. Denn Lernen hat eben ganz viel auch mit der Beziehung zwischen Kind und Lehrkraft zu tun.
Auch das Lernkonzept der staatlichen Schule hat mir nicht gefallen. Ich hätte mir mehr Unterrichtsstunden in einer Gruppe gewünscht und eine größere Nähe zu den Schülerinnen und Schülern. In der pädagogischen Arbeit wollte ich eine größere Flexibilität und mehr Teamarbeit. Deshalb hat mich die völlig andere Konzeption der Montessori-Schulen mit ihrem fächerübergreifenden Unterricht in altersgemischten Gruppen sehr angesprochen. Das viel größere gestalterische Moment an der Montessori-Schule fand ich sehr reizvoll. Und das ist es für mich auch heute noch.
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News4teachers: Was schätzen Sie daran besonders?
Brigitte Johannsen: Die streckenweise anderen Curricula an der Montessori-Schule lassen viel mehr Flexibilität in der Stundenplanung und Gestaltungsspielraum zu, als ich es von früher her kenne. Ich unterrichte Gesellschaftslehre und Naturwissenschaften, und es ist für mich zum Beispiel völlig unproblematisch, eine Exkursion zu planen. Dann geht es nicht um die Frage, ob, sondern nur, wann. Es ist einfach für alle im Team klar: Wenn man Römer durchnimmt, dann geht man einen Tag auf die Saalburg. Durch den hohen Umfang an Freiarbeit und den fächerübergreifenden Unterricht sind wir alle sehr beweglich. Damals, an meiner alten Schule, habe ich es als superanstrengend wahrgenommen, sich mit den Fachkollegen abzusprechen und die Klasse für einen Tag loszueisen. Das heißt nicht, dass die Kolleginnen und Kollegen nicht willens waren. Das Problem steckt im System. Der ganze Schulalltag ist auf Prüfungsmomente abgestimmt. Da wird es wirklich schwierig, dazwischen zu stoßen und zu sagen: „Ich will jetzt aber mal einen Tag mit den Schülern weg.“
News4teachers: Haben sich Ihre Erwartungen durch den Schulwechsel erfüllt?
Brigitte Johannsen: Auf jeden Fall! Ich würde nicht wieder zurückgehen. Dafür habe ich meinen Beamtenstatus aufgegeben und habe es nicht bereut. Heute unterrichte ich insgesamt nur 31 Kinder an einer Schule mit gerade 145 Schülerinnen und Schülern. Da kann ich zu jedem Kind eine ganz andere Beziehung aufbauen und viel besser pädagogisch arbeiten. An meiner jetzigen Schule ist Teamarbeit gefragt. Oft unterrichten wir mit zwei Lehrkräften in Doppelsteckung. Das erlebe ich als sehr bereichernd. So können wir leichter einzelne oder mehrere Schüler aus der Gruppe nehmen und gesondert fördern. Oder ich gehe mit einem Kind raus, wenn es sich nicht an die Regeln halten kann, was in Inklusionsklassen immer wieder mal vorkommt. Wenn Sie dann allein in der Klasse sind, wissen Sie oft gar nicht so richtig, was Sie machen sollen, weil Sie ja die Aufsichtspflicht über alle haben. Im Team können wir schnell darauf reagieren. Die Möglichkeit des Teamteachings war für mich auch eine Intention, die Schule zu wechseln.
News4teachers: Was ist für Sie ein zentrales Element der Montessori-Pädagogik?
Brigitte Johannsen: Wir schauen auf die Stärken der Schülerinnen und Schüler – und weniger auf ihre Schwächen, das ist etwas ganz Montessorianisches. Im Gespräch mit den Kindern fragen wir: „Was gelingt dir schon? Dann wiederhol doch das.“ Natürlich sehen wir auch die Schwächen, sie stehen bei uns aber nicht im Fokus. Unser Anliegen ist es, die Schüler in ihrer Kompetenz zu stärken und in ihrer Fähigkeit, selbst für sich die Bedingungen herzustellen, mit denen das Lernen gelingt. So tragen wir letztendlich auch dazu bei, Schwächen zu überwinden. Wir helfen also den Schülerinnen und Schülern, es selbst zu tun. Und das ist der zentrale Ansatz von Maria Montessori. Dabei arbeiten wir vom ersten Tag an mit Strukturierungshilfen und unterstützen die Kinder bei der Organisation ihrer Lernarbeit – bis sie unsere Hilfe nicht mehr brauchen. Die ganze Schule ist darauf angelegt, dass sich die Lehrkräfte Stück für Stück überflüssig machen. Und am Ende bereiten sich die Jugendlichen eigenständig auf die Prüfungen vor, soweit es ihnen möglich ist. Genau dieser pädagogische Erfolg ist der große Treiber der Pädagogen an unseren Schulen. Wenn sie sehen, ich bin wirksam, und das, was ich mache, führt zu einem Erfolg, ist das natürlich sehr befriedigend. Deswegen bin ich gerne an der Schule.
News4teachers: Welches Feedback geben Ihnen die Schülerinnen und Schüler?
Brigitte Johannsen: Also darüber tauschen wir uns eigentlich mit den Schülern nicht im großen Umfang aus. Wir fragen sie nicht: „Findet ihr die Schule toll?“ Es gab aber eine große Feedback-Studie, die Montessori Deutschland mit Absolventen von Montessori-Schulen durchgeführt hat. Auch Ehemalige unserer Schule wurden befragt. Und die meisten haben ihre Schulzeit als sehr positiv bewertet. Es ist wirklich ein großes Kompliment, wenn Schüler sagen: „Ich habe mich in meiner Schule gesehen und fair behandelt gefühlt, und ich bin auf das Leben vorbereitet worden.“ Viele Absolventen staatlicher Schulen würden ihre Schulzeit vielleicht ähnlich gut beurteilen, aber ich denke, nicht in einem solch hohen Anteil. Natürlich gibt es auch unter unseren Schülern Differenzen. Wir leben hier ja nicht auf einer Insel der Glückseligkeit.
Was uns hier an der Schule auffällt, ist der insgesamt sehr angenehme Umgang unserer Schüler mit den Lehrern. Dies haben uns auch Schulen bestätigt, die unsere Absolventen später aufgenommen haben. Natürlich gilt das nicht in jedem Fall. Ich denke, das doch meistens gute Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern liegt auch daran, dass wir die Kinder schon von der ersten Klasse an unterrichten und sie über einen langen Zeitraum erleben. Wir können unsere Schüler viel besser kennenlernen. Und wenn Sie wirklich mit den Schülern im Gespräch sind, dann fühlen sie sich automatisch gesehen. So haben wir eine ganz andere Basis der Reflexion.
News4teachers: Wenn Sie Kultusministerin wären, was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Brigitte Johannsen: Ich finde, in Deutschland wird Schule oft schlecht geredet. Dumm, wie mancher tut, sind die Kinder nicht, wenn sie aus der Schule kommen. An der staatlichen Schule habe ich ganz viele wirklich nette Kollegen kennengelernt, die sehr bemüht und sehr fähig waren. Man müsste den Unterricht vielmehr systemisch ändern, nicht vom Lehrplan her. Es braucht eine andere Sicht auf das Kind und Möglichkeiten, die Unterrichtsstunden flexibler zu gestalten.
Bei der Gesetzgebung sollte man die privaten und die reformpädagogischen Schulen mehr im Blick haben. Jetzt werden oft nur die staatlichen Schulen berücksichtigt, gerade auch auf kommunaler Ebene. Private Schulen werden zwar nach ihrer Meinung gefragt und sollen immer wieder Stellungnahmen abgeben, aber wenn es ums Geld geht, fallen sie schnell hinten runter, wie jetzt beim Ausbau des Ganztags.
Ich würde mir wünschen, dass es in Deutschland viel mehr Privatschulen gäbe und der Besuch kostenlos wäre. Die Privatschulen sollten richtig ins staatliche System integriert sein, wie zum Beispiel in den Niederlanden, wo etwa 70 Prozent der Schulen in privater Hand sind. Das würde mehr Vielfalt ermöglichen. Und dann könnten wir unheimlich viel bewegen. News4teachers