Website-Icon News4teachers

“Schule wie vor 100 Jahren”: Was ein Elternvertreter auf der Bildungsdemo der Politik ins Stammbuch schrieb

FRANKFURT AM MAIN. In dieser Woche haben insgesamt rund 30.000 Menschen bundesweit gegen den Bildungsnotstand in Deutschland demonstriert (News4teachers berichtete). Den Auftakt machten am vergangenen Mittwoch – dem Weltkindertag – mehrere Protestaktionen in Hessen, darunter in Frankfurt am Main. Einer der Sprecher auf der Kundgebung dort war der Vorsitzende des hessischen Landeselternbeirats, Volkmar Heitmann. Wir dokumentieren seine Rede im Folgenden.

Insgesamt knapp 30.000 Menschen sind in dieser Woche nach Veranstalterangaben für bessere Bildung auf die Straße gegangen. Foto: Schule muss anders

“Heute ist Welt-Kindertag. Es geht um die Rechte unserer Kinder. Um die Rechte aller unserer Kinder! Deswegen stehen wir hier! Deswegen stehe ich hier als Elternvertreter! Unsere Kinder haben ein Recht auf Bildung. Alle Kinder! Laut europäischer Statistikbehörde Eurostat haben wir eine Schulabbrecherquote von über 11 Prozent.

Und das betrifft hauptsächlich die Kinder aus finanzschwächeren Familien. Und die Schere der Bildungsgerechtigkeit klafft immer weiter auseinander: Gute Bildung hängt immer stärker vom Geldbeutel und vom Bildungstand der Eltern ab. Das ist beschämend für ein eigentlich wohlhabendes Land wie Deutschland!

Anzeige

Das gilt auch für die Inklusion: Jeder Mensch hat ein Recht auf Inklusion, also darauf, ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu sein. Inklusion ist ein Menschenrecht – und damit selbstverständlich auch ein Kinderrecht! Die Bilanz fällt miserabel aus – laut Prüfungsbericht der Vereinten Nationen. Und das gilt ganz besonders für den Bereich der schulischen Inklusion.

“Die menschengemachte Klimakatastrophe wird an den hessischen Schulen immer noch weitgehend ignoriert”

Der Unterricht läuft häufig ab wie vor 100 Jahren. Warum müssen unsere Kinder in der 6. Klasse lernen, was ein „präponales Temporaladverbial“ ist? Das wird dann sogar noch per Vergleichsarbeit überprüft. Und wird nie wieder gebraucht! Reines Bulimie-Lernen! Warum lernen unsere Kinder immer noch nicht, wie man der größten Bedrohung entgegentreten kann, der die Menschheit jemals gegenüberstand? Die menschengemachte Klimakatastrophe wird an den hessischen Schulen immer noch weitgehend ignoriert. Seit 40 Jahren sollte das eigentlich Schulstoff sein!

Warum lernen unsere Kinder nur in Ausnahmefällen, den immer stärker grassierenden Populismus zu entlarven? Inzwischen gibt es praktisch keine politische Partei mehr, die im Wahlkampf nicht auf Populismus setzt. So geht unsere Demokratie vor die Hunde.

Wir müssen unsere Kinder befähigen, ein Bewusstsein für ihre Selbstwirksamkeit zu entwickeln. Auch dafür ist die Schule eigentlich da! Ohne Bewusstsein der Selbstwirksamkeit keine Demokratie!

“Wo bleiben die Lüftungsanlagen, die saubere Luft mit ausreichend Sauerstoff in die Klassenräume bringen?”

Kinder haben auch ein Recht auf Gesundheit. Die nächste Grippe-, RSV- und Coronawelle rollt bereits auf uns zu. Unsere Kinder stecken sich dann nicht nur in der Schule an, es wird auch noch mehr Unterricht ausfallen, als jetzt schon! Wo bleibt die Prävention?

Längst nicht mehr alle Schulen haben gefüllte Seifenspender. Wo bleiben die Lüftungsanlagen, die saubere Luft mit ausreichend Sauerstoff in die Klassenräume bringen? Lüftungsanlagen sind übrigens nichts Neues: Vor 150 Jahren waren sie Pflicht bei jedem Schulneubau. Damals wurde der Präventionsgedanke noch gelebt. Damals war die Gesundheit unserer Kinder ganz offenbar mehr wert als sie es heute ist.

Mit Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung könnten wir zudem 70 – 80 Prozent Heizenergie sparen. Ohne Lüftungsanlagen heizen wir weiter buchstäblich zum Fenster hinaus! Das ist ein energiepolitischer Wahnsinn, der uns noch teuer zu stehen kommen wird!

Zu guter Letzt noch ein Appell an alle Eltern schulpflichtiger Kinder: In den nächsten Wochen stehen in Hessen Wahlen an. Sie als Eltern haben es in der Hand, dass die Bildung unserer Kinder mehr Gewicht bekommt. Aber lassen Sie sich auch hier nicht durch schöne Worte blenden: Gute Bildung kostet Geld, viel Geld. Fragen Sie Ihre Abgeordneten-Kandidat:innen, wie sie das finanzieren wollen.

Eine Verbesserung ließe sich übrigens fast kostenlos umsetzen: Ein großes Problem unseres Bildungswesens ist die föderale Struktur, unsere kleinteilige Bildungslandschaft. Das föderale System hat gute historische Gründe, aber eben auch viele Nachteile. Es fördert die organisierte Verantwortungslosigkeit. Das „Schwarze-Peter“-Spiel. Daher brauchen wir ein Werkzeug, mit dem wir die tiefen Gräben zwischen den einzelnen Verantwortungsbereichen überbrücken können: Wir brauchen endlich runde Tische im gesamten Bildungssystem. Runde Tische, an denen alle Teile des Schulsystems zusammenkommen und gemeinsam Entscheidungen fällen können oder müssen – im Sinne des Gesamtsystems.

Wir benötigen Entscheidungen, die weniger auf partei-ideologischen Moden, sondern stärker auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen. Auch über die Wahlen hinaus. Sie haben aber die Möglichkeit, mitzureden: Das Erziehungsrecht ist eines der höchsten Güter der Verfassung. Als Eltern schulpflichtiger Kinder geben Sie einen Teil Ihres Erziehungsrechts am Schultor ab. Dafür gibt Ihnen die Hessische Verfassung ein Mitbestimmungsrecht. Nutzen Sie es!

Nicht alleine die Schulleitung trifft die wichtigsten Entscheidungen an einer Schule. Dafür ist die Schulkonferenz zuständig. Die setzt sich aus gewählten Vertreter:innen von Schüler:innen, Lehrkräften und Eltern zusammen. Die Mitbestimmung fängt schon bei den jetzt kommenden Elternabenden an: Sehen Sie das nicht als lästiges Übel! Die Elternabende sind keine Veranstaltungen der Schule, sondern es sind Ihre!

Falls Sie nicht selbst ein Amt übernehmen mögen, unterstützen Sie die gewählten Eltern bei Ihrer Arbeit. Schule ist keine Sache „von oben“. Es ist auch Ihre Sache! News4teachers

Aktualisierung, 26.9.2023: In einer früheren Version hatten wir den Voramen des Vorsitzenden des hessischen Landeselternbeirats falsch geschrieben. Sein richtiger Name ist Volkmar Heitmann. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten um Entschuldigung.

„Bildungswende jetzt!“: Zig-Tausende demonstrieren bundesweit für bessere Schulen

Die mobile Version verlassen