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Rekordhoch: Noch nie wurden so viele Ausbildungen abgebrochen wie heute – fast 30 Prozent! Streit um die Ursachen

BONN. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) verzeichnet einen historischen Anstieg von 29,5 Prozent bei vorzeitigen Lösungen dualer Ausbildungsverträge. Dabei spielen laut den Expertinnen und Experten sowohl die Ausbildungsmarktlage als auch individuelle Herausforderungen eine Rolle.

Nicht immer verläuft die Ausbildung reibungslos. Die Vertragslösungsquote in der dualen Berufsausbildung hat einen neuen Höchststand erreicht (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Die Lösungsquote bei den dualen Ausbildungsverträgen ist bundesweit im Jahr 2022 auf 29,5 Prozent gestiegen, was einem neuen Höchststand entspricht (der zuvor bei 26,9 Prozent im Jahr 2019 gelegen hatte). Das meldet das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB), Ressortforschungseinrichtung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung in einem aktuellen Bericht. Auf Basis der Daten der Berufsbildungsstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder berechnet das BIBB jährlich die Vertragslösungsquote. Im Berichtsjahr 2022 wurden demnach insgesamt 155.325 duale Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Quote um 2,8 Prozentpunkte.

Die Lösungsquote gibt an, wie viele der begonnenen Verträge vorzeitig gelöst wurden, und sei keine Abbruchquote, betonen die Autorinnen und Autoren um Alexandra Uhly und Frank Neises vom BIBB, denn viele Auszubildende schlössen nach einer Vertragslösung erneut einen Ausbildungsvertrag im dualen System ab. Ein Großteil der Vertragslösungen stelle keine gänzlichen Austritte aus dem dualen System dar.

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Gut ein Drittel der Vertragslösungen erfolgte in der Probezeit, ein weiteres Drittel danach aber noch im ersten Ausbildungsjahr. Weitere knapp 23 Prozent erfolgten im zweiten Ausbildungsjahr. Spätere Vertragslösungen kommen eher seltener vor. Rund 10 Prozent der Vertragslösungen 2022 erfolgten 25 Monate nach Antritt des Ausbildungsverhältnisses oder später.

Die Unterschiede in den Auflösungsquoten zwischen Regionen, unterschiedlichen Personengruppen, Zuständigkeitsbereichen und zwischen den Berufen sind laut dem Bericht über die Jahre weitgehend stabil. Die Lösungsquote der Auszubildenden ohne deutschen Pass (2022: 39,7 %) liegt dabei deutlich über der Quote der deutschen Auszubildenden (28,2 %). Starken Einfluss hatte der Schulabschluss. Je höher der Schulabschluss, umso geringer die Lösungsquote. Mehr als 42 Prozent der Ausbildungsverträge derjenigen mit maximal Hauptschulabschluss wurden vorzeitig gelöst, bei den Verträgen der Studienberechtigten waren es nur 18 Prozent.

Der Anstieg der Lösungsquoten zeigte sich 2022 nahezu synchron bei allen Personengruppen von Auszubildenden (Männer, Frauen, Deutsche, Ausländerinnen und Ausländer, den Auszubildenden aller allgemeinbildender Schulabschlüsse), ebenso wie in allen Zuständigkeitsbereichen (Handwerk, Industrie und Handel, Öffentlicher Dienst, Landwirtschaft, Freie Berufe und Hauswirtschaft). Mit Ausnahme Berlins, Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns, wo die Lösungsquote zuvor schon relativ hoch gewesen sei, waren alle Bundesländer vom Anstieg betroffen.

Die Berufsbildungsstatistik erhebt nicht, welche Form der Vertragslösung vorliegt oder auf wessen Initiative der Vertrag vorzeitig beendet wurde. Auch der Verbleib nach einer Vertragslösung (neuer Ausbildungsvertrag im dualen System, Studium, andere Berufsausbildung, Arbeitslosigkeit oder ähnliches) werde nicht personenindividuell erfasst. Dennoch ermöglicht es die Datenbasis den BIBB-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihrer ersten Analyse mögliche Ursachen für den Anstieg der Lösungsquote zu diskutieren und Maßnahmen zu beschreiben, die vor und während der Ausbildung helfen können, das Vertragslösungsrisiko zu senken.

“Je günstiger die Ausbildungsmarktlage aus Sicht der Jugendlichen, umso höher fällt die Lösungsquote aus”

Wenig hilfreich sei es, einfach direkte Fragen nach den Gründen zu betrachten. Würden Betriebe befragt, hätten diese in vorausgegangene Studien vor allem Gründe genannt, die in der Verantwortung der Jugendlichen liegen, wie eine mangelhafte Berufsorientierung, eine mangelnde Leistungsbereitschaft (Fehlzeiten, unzureichende Identifikation mit dem Betrieb, mangelndes Durchhaltevermögen) sowie mangelnde Leistungsfähigkeit (unzureichende Leistung im Betrieb, Überforderung) der Auszubildenden.

Jugendliche bzw. (ehemalige) Auszubildende dagegen äußerten überwiegend betriebliche Gründe wie Kommunikationsprobleme beziehungsweise Konflikte mit Ausbilderinnen und Ausbildern oder Vorgesetzten und eine mangelhafte Ausbildungsqualität (Beschäftigung statt Ausbildung, mangelnde Vermittlung von Ausbildungsinhalten). Außerdem nannten sie besonders Arbeitsbedingungen wie unbezahlte Überstunden, ungünstige Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen. Berufsbezogene Gründe wurden vor allem von denjenigen genannt, die angaben, dass sie ihren Wunschberuf nicht realisieren konnten oder andere Vorstellungen vom Beruf hatten.

Insgesamt zeige die Analyse laut Uhly und Neises: Je günstiger die Ausbildungsmarktlage aus Sicht der Jugendlichen, umso höher fällt die Lösungsquote aus. Es liege daher die Annahme nahe, dass Auszubildende bei auftretenden Problemen im Ausbildungsverhältnis eher ihre Ausbildungsentscheidung revidieren und einen Wechsel vornehmen, wenn sie aufgrund der für sie aktuell günstigen Marktlage relativ einfach einen alternativen Ausbildungsplatz finden können. Aufgrund des momentanen Mangels an Bewerberinnen und Bewerbern seien möglicherweise Betriebe auch eher bereit, sich zu öffnen und Auszubildende einzustellen, die sie für weniger geeignet halten. Dies könnte in der Folge häufiger zu Problemen im Ausbildungsverlauf und einer vorzeitigen Beendigung des Ausbildungsverhältnisses führen.

Die Ursachen für vorzeitige Vertragslösungen in der dualen Berufsausbildung seien jedoch vielfältig und können sich im Einzelfall deutlich unterscheiden. Sie können im Bereich revidierter Berufswahlentscheidungen oder in den Anforderungen und der Attraktivität des Berufs liegen, im Ausbildungsverhalten von Auszubildenden oder Ausbilderinnen und Ausbildern, wie auch in Konflikten zwischen Ausbildungspersonal und Auszubildenden. Neben der Ausbildungsmarktlage können zudem weitere Rahmenbedingungen wie etwa die betrieblichen Ausbildungsbedingungen das Vertragslösungsgeschehen beeinflussen.

Um vorzeitige Vertragslösungen zu verhindern, sind aus Sicht der Forscherinnen und Forscher besonders Unterstützungsangebote für Jugendliche wichtig. Auch die berufsbildenden Schulen könnten dabei ein wichtiger Partner sein, sowohl während als auch vor der Ausbildung, wie etwa das hessische Programm „QuABB – Qualifizierte Ausbildungsbegleitung in Betrieb und Berufsschule“ zeige, bei dem hauptamtliche Beratungsfachkräfte Auszubildende, ausbildende Betriebe und Berufsschulen begleiten, wenn Schwierigkeiten in der dualen Ausbildung auftauchen. Sowohl bei der beruflichen Orientierung als auch nach Ausbildungsaufnahme könnten auch die Jugendberufsagenturen vor Ort die jungen Erwachsenen beraten oder bei Bedarf Unterstützung zur Begleitung des Ausbildungsverhältnisses organisieren. Auch die Ausbildungsberatung der Kammern unterstütze bei Fragen rund um das Ausbildungsverhältnis.

Bei Problemen könnten Unternehmen zudem ihre Möglichkeiten nutzen, sich zu einem attraktiveren Ausbildungsort weiter zu entwickeln, indem sie versuchen, ihre Ausbildungsqualität zu erhöhen. Nach Ausbildungsbeginn sei es wichtig, die betriebliche und berufliche Sozialisation im Betrieb zu stärken und bei Herausforderungen Hilfe von außen hinzuzuziehen. Auch die Möglichkeiten der Ausbildung im Verbund mehrerer Betriebe oder auch – bei Bedarf – die Ausbildung in Teilzeit könnten bedacht werden. (zab, pm)

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