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Gräfenauschule, ein Jahr nach den Schlagzeilen – Schulleiterin: “Nicht viel verändert”

LUDWIGSHAFEN. Die Gräfenauschule in Ludwigshafen geriet vor knapp einem Jahr bundesweit ins Rampenlicht, weil viele Erstklässler das Jahr wiederholen mussten. Wie geht es der Schule heute – haben die Schlagzeilen etwas verändert? Ein Besuch.

Kinder, die hier aufwachsen, haben in der Regel keine guten Startbedingungen: Wohnblock in Ludwigshafen-Hemshof. Foto: Immanuel Giel / Wikimedia Commons (Gemeinfrei)

Fröhlich bemalte Wände und Kinderlachen – wie in einer landesweit bekannten Problemschule sieht es hier eigentlich nicht aus. «Darf ich dir eine Katze malen?», fragt ein Mädchen in Klasse 1c ihren Nachbarn. Bunte Turnbeutel hängen in der Ecke, draußen scheint eine grelle Wintersonne. Der Unterricht beginnt – in der Gräfenauschule in Ludwigshafen, die vor einem Jahr überregional für Aufsehen sorgte. Am Standort Hemshof, der als sozialer Brennpunkt gilt, mussten gleich 39 der 126 Erstklässler das Jahr wiederholen (News4teachers berichtete).

«Ich habe 32 Stunden an sie vergeben können, das Personal musste ich selbst suchen»

Zwölf Monate später ist manches anders – und vieles gleich. «Es hat sich nicht viel verändert, zumindest hinsichtlich des Unterrichts nicht», sagt Rektorin Barbara Mächtle. Gräfenau sei nun Stammschule für sogenannte Feuerwehrlehrkräfte – also Lehrkräfte für dringende Fälle. «Ich habe 32 Stunden an sie vergeben können, das Personal musste ich selbst suchen. Es sind in der Regel keine ausgebildeten Lehrkräfte, wie bei anderen Schulen in Ludwigshafen auch.»

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Zuletzt begleiteten Studenten der Universität Landau im Projekt «First Class» die Schulanfänger sechs Wochen lang. Das sei gut aufgenommen worden, sagt Mächtle. «Das war sowohl für Kinder als auch für die Lehrkräfte eine Entlastung und förderte das Ankommen in der Schule.» Unter anderem sei intensiv an den Sprachkenntnissen gearbeitet worden. «Nun kennen die Kinder weitgehend die deutsche Bezeichnung für ihre Bücher und Hefte und den Inhalt des Mäppchens.»

Die Ludwigshafener Bürgermeisterin Jutta Steinruck trat aus der SPD aus – und begründete das auch damit, dass die Grundschule Gräfenau von Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) im Stich gelassen werde (News4teachers berichtete).

Mangelnde Sprachkenntnisse sind ein Problem. Oft sprechen die Kinder schlecht Deutsch oder kommen aus bildungsfernen Familien. «Auch erschweren oft fehlende Vorläuferfähigkeiten den Schulanfang», sagt die Rektorin. «Es geht ja nicht nur darum, eine Schere richtig zu halten, sondern auch darum, sich in der Gruppe richtig zu verhalten.»

Viele Kinder waren nur kurz in einem Kindergarten – oder gar nicht. «Viele sagen, die Eltern sollen mal machen, aber die geben meist ihr Bestes. Ich habe Kinder, die waren zwei Jahre auf der Flucht. Da war nicht viel mit Schule», sagt Mächtle. «Viele Kinder brauchen das erste Schuljahr, um überhaupt erst einmal eine Struktur zu erlernen.»

An diesem Tag in Klasse 1c mit normalerweise 21 Kindern sitzt die Lehrerin mit Mädchen und Jungs im Kreis. Die Kinder sollen sagen, wie es ihnen geht. «Mir gehts gut, weil mein Papa Geburtstag hat», sagt ein Junge. «Mir gehts schlecht, weil meine Mama krank ist», sagt ein Mädchen. Schnell wird klar, dass Lehrkräfte auch hier mehr sind als bloße Vermittler von Stoff. Sie sind Vertrauenspersonen außerhalb der familiären Enge. «Was wünscht ihr euch?», fragt die Lehrerin. Sie fordert auf, ohne Druck zu machen und lobt, ohne zu übertreiben.

«Die Stadt unterstützt, wo es möglich ist, doch angesichts des angespannten Haushaltes ist das natürlich schwierig»

Als die Probleme in der zweitgrößten Stadt in Rheinland-Pfalz vor einem Jahr publik wurden, begannen auch Gespräche mit der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), dem Landesbildungsministerium und der Stadtverwaltung. «Die Stadt unterstützt, wo es möglich ist, doch angesichts des angespannten Haushaltes ist das natürlich schwierig», sagt Mächtle. Die Landesregierung suche momentan das Gespräch mit den Schulen und Eltern. «Inwieweit das positive Auswirkungen auf die Schulen und deren personelle Versorgung hat, bleibt abzuwarten.»

Die Gräfenauschule sei kein Einzelfall, sagen Fachleute und verweisen auch auf die schlechten Ergebnisse deutscher Schülerinnen und Schüler bei der jüngsten Pisa-Studie. «In Ludwigshafen werden die Missstände im Schulsystem wie unter dem Brennglas sichtbar», meinte der Vorsitzende des Landesverbands Bildung und Erziehung (VBE), Lars Lamowski, vor einem Jahr. Von der «Spitze des Eisbergs» sprach der Grundschulleiter. «Unter der Decke schlummern viele Ludwigshafens.» (News4teachers berichtete.)

Klasse 1c macht Pause, die Kinder lärmen auf dem Schulhof. Werden die Wiederholerkinder es diesmal schaffen? «Vielen hat die Wiederholung geholfen, so dass sie mit einem stabilen Basiswissen in die zweite Klasse kommen», sagt die Rektorin. «Bei einigen Kindern zeichnet sich aber ab, dass es mit einer Wiederholung nicht getan ist. Hier soll ein sonderpädagogischer Förderbedarf geprüft werden.»

Ob erneut viele die Klasse wiederholen müssen – da will die Rektorin sich nicht festlegen. Aber auch diesmal müssten viele Kinder erst die notwendigen Sprachkenntnisse und Vorläuferfähigkeiten lernen.

Mittlerweile ist die Pause vorbei, der Unterricht geht weiter. Deutschland müsse Bildung endlich als Gesamtaufgabe verstehen, sagt Mächtle. Letztlich gehe es auch um den Zusammenhalt in einer Gesellschaft. «In der ganzen Welt suchen wir nach zukünftigen Fachkräften für Deutschland», sagt die Rektorin, «und hier sitzen sie. Wir müssen ihnen nur die Chance geben, ihr Potenzial zu zeigen.» Von Wolfgang Jung, dpa

Traumatisierte, kaum Deutsch sprechende Schüler, überforderte Lehrer, frustrierte Schulleitungen: Unterrichten im Brennpunkt

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