VECHTA. Erziehungswissenschaftler Benjamin Möbus warnt davor, dass manche PC-Spiele Jugendlichen rechtsextreme Botschaften vermitteln – Queer-Feindlichkeit und Antisemitismus inklusive. Er fordert eine kritische Medienbildung in Schulen sowie einen konsequenten Bann rechtsextremer Akteure von Gamingplattformen.
Bei vielen Menschen hat offenbar der Bericht zu einem konspirativen Geheimtreffen in Potsdam das sprichwörtliche Fass zum Überlaufen gebracht. Hunderttausende Menschen gehen seither in ganz Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße und adressieren dabei vornehmlich die AfD. Doch auch auf anderen Gebieten treiben Interessierte die Popularisierung rechtsextremer Ideologie voran. Musik ist diesbezüglich ein oft instrumentalisiertes Medium. Aber auch Computerspiele können zu der Verbreitung rechtsextremer Ideologie beitragen.
Ein solches Computerspiel ist etwa dem Erziehungswissenschaftler Benjamin Möbus zufolge „Heimat Defender: Rebellion“. Möbus, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Vechta, hat jüngst die im Spiel transportierten Feindbilder und die dahinterstehende Ideologie untersucht. Das Computerspiel, welches 2020 veröffentlicht wurde, ist ein sogenanntes 2D-Jump’n‘Run-Game, welches nach Aussagen des Entwicklers dezidiert für propagandistische Zwecke der rechtsextremen, vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung entwickelt worden sei.
Das Szenario in „Heimat Defender: Rebellion“ folgt laut Möbus dem bekannten propagandistischen Drehbuch aus der rechtsextremen Szene: Die Spielwelt zeige ein – aus Perspektive der Identitären Bewegung – dystopisches Deutschland im Jahr 2084.
„Eine machtbesessene und korrupte politische, kulturelle und ökonomische Elite – unter anderem bestehend aus Zerrbildern von Politikerinnen und Politikern wie Angela Merkel, rechtsextremismuskritischen Satirikerinnen und Satirikern wie Jan Böhmermann und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie Matthias Quent – versucht die deutsche Bevölkerung durch sogenannte ‚Schuldenergie‘ zu identitätslosen Konsumentinnen und Konsumenten zu erziehen“, erklärt Möbus; Migration hat in der Spielwelt zu bürgerkriegsartigen Zuständen geführt und die Straßen werden von Aktivistinnen und Aktivisten der LGBTQ+-Bewegung gewaltsam terrorisiert. „Dies alles wird von einem geheimen Strippenzieher verantwortet und kontrolliert, der an den jüdischen Investor George Soros, welcher im Zentrum zahlreicher antisemitischer Verschwörungstheorien steht, erinnern soll“, fasst der Wissenschaftler zusammen.
Ziel dieser Eliten ist es, laut der Erzählung des Spiels, sich an den Bürgerinnen und Bürgern ökonomisch zu bereichern und diese politisch zu kontrollieren. Allerdings gelingt es einer kleinen Gruppe an politischen „Aktivsten“, die mit der Identitären Bewegung assoziiert werden, gewaltsam diese Elite zu stürzen und die Bürgerinnen und Bürger von „Unterdrückung“ und „Ausbeutung“ zu befreien. Unter den Spielfiguren, die von Seiten der Spielerinnen und Spieler aktiv gesteuert werden, befindet sich auch der rechtsextreme Vordenker der Identitären Bewegung Martin Sellner, der laut Recherchen Teil des Geheimtreffens in Potsdam war.
Zielgruppe dieser Propaganda seien vor allem Jugendliche und junge Erwachsene, was insofern auch die Institution Schule in die Pflicht nehme, der Förderung der kritischen Medienbildung einen höheren Stellenwert zukommen zu lassen. „Abseits dessen erscheint weiterhin“, so der Erziehungswissenschaftler, „ein ,deplatforming‘ rechtsextremer Akteure ein sinnvolles Vorgehen – also das konsequente Ausschließen von Rechtsextremen von zum Beispiel Gamingplattformen, sodass es ihnen erschwert wird, die rechtsextreme Propaganda dort zu popularisieren.“
Darüber hinaus seien die Dekonstruktion und das Sichtbarmachen rechtsextremer Narrative, Ideologien und Propagandastrategien sinnvoll, sodass sich die Entwickler nicht hinter Andeutungen, (vermeintlich) satirischer Überspitzung und dem Deckmantel der Kunstfreiheit verstecken könnten.
Genau dies gelte es auch bei „Heimat Defender: Rebellion“ aufzudecken: „Besonders bei diesem Spiel ist, dass es auf den ersten Blick nur schwerlich als rechtextreme Propaganda erkennbar ist. Das macht es aus meiner Perspektive auch so gefährlich. Ästhetisch und hinsichtlich des Gameplays orientiert sich das Computerspiel an den besonders populären 8-Bit-Retro-Spielen, die an die Popkultur der 80er-Jahre erinnern.“ Dabei seien viele der rechtsextremen Motive – welche die Identitäre Bewegung verbreiten möchte und die im Spiel lediglich angedeutet sind – (vermeintlich) satirisch verzerrt oder als sogenannte ‚dog whistles‘ nur von Szeneinsidern der rechtsextremen Szene erkennbar. Gerade Jugendliche, die das Spiel kostenlos im Internet finden, sollen so niedrigschwellig mit der Ideologie der Identitären Bewegung in Kontakt kommen“, warnt Möbus.
Die Entwicklung und Produktion eines solchen Spiels „ist zeitaufwendig und kostet Geld, welches im Rahmen der Propagandastrategie der Identitären Bewegung auch anderweitig hätte verwendet werden können“, erklärt Möbus. „Dass im Februar der Nachfolger erscheinen soll, impliziert, dass das Spiel durchaus ein propagandistischer Erfolg gewesen sein muss. Inwiefern es tatsächlich Verbreitung finden konnte, lässt sich allerdings nicht unabhängig überprüfen. Es geht aber auch nicht nur darum, dass möglichst viele Spielerinnen und Spieler gewonnen werden; propagandistisch ist es schon ein Erfolg, dass sich die Identitäre Bewegung durch die Entwicklung eines solchen Computerspiels szeneintern als besonders innovativ und jugendnah inszenieren kann.“ (zab, pm)
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