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Nach Wuppertal: Sorge über Gewalt unter Schülern wächst – mehr Brutalität, bis hin zum Messereinsatz

WUPPERTAL. An einem Wuppertaler Gymnasium soll ein 17-Jähriger vier Mitschüler mit Stichwaffen attackiert und schwer verletzt haben, drei Schülerinnen erlitten einen Schock. Auch der mutmaßliche Angreifer liegt im Krankenhaus. Gegen ihn wurde Haftbefehl wegen versuchten Mordes beantragt. Kein Einzelfall? Ein Kinder- und Jugendlichen-Therapeut warnt vor zunehmender Brutalität.

Immer mehr Messerangriffe erschüttern die Schulen. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die Amoktat an einem Wuppertaler Gymnasium ist aus Sicht des Kölner Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten Christian Lüdke ein Beispiel für zunehmende Gewaltdelikte unter gleichaltrigen Jugendlichen oder jungen Erwachsenen. Zwar zeigten die polizeilichen Kriminalstatistiken keinen drastischen Anstieg bei der Gesamtzahl solcher Fälle, allerdings nehme die Brutalität und der Einsatz von Messern und anderen Waffen zu, sagte Lüdke am Freitag im «Morgenecho» von WDR 5.

Häufig gebe es schon sehr früh Indizien in der Familie, wenn ein Kind abdrifte. «Zunächst, dass Kinder entweder sehr ruhig sind, verstummen, wenig soziale Kontakte haben oder relativ früh schon sehr aggressiv sind, teilweise dann Gewalt verherrlichen», beschrieb der Trauma-Therapeut Verhaltensauffälligkeiten. Leider werde darauf häufig nicht reagiert.

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«Häufig haben solche Jugendliche Eltern, die selbst Gewalt tolerieren oder selber sehr aggressiv sind»

Tatsächlich sei schon das Elternhaus ein großer Risikofaktor bei der Entwicklung gewalttätiger Kinder, erklärte Lüdke, der auch als psychologischer Ausbilder von Spezialeinheiten der nordrhein-westfälischen Polizei gearbeitet hat. «Häufig haben solche Jugendliche Eltern, die selbst Gewalt tolerieren oder selber sehr aggressiv sind.»

In diesen Familien gebe es oft keine starke emotionale Bindung, so dass die Kinder häufig kein Mitgefühl für Andere entwickeln könnten. «Von daher verfallen sie dann in eine Art gefühlsmäßige Vollnarkose», sagte der Experte. «Sie fühlen sich ohnmächtig und durch die Gewaltausübung verwandeln sie das Gefühl von Ohnmacht in ein kurzzeitiges Erleben von Allmacht. Im schlimmsten Fall nach dem Motto: Ich bin Herr über Leben und Tod.»

Ein Wuppertaler Gymnasium hatte am Donnerstagvormittag Amokalarm ausgelöst, nachdem ein 17-Jähriger in einem Pausenraum mit mehreren Waffen auf Mitschüler eingestochen haben soll. Die Polizei gab die Zahl der verletzten Opfer zunächst mit vier an; drei weitere Schülerinnen erlitten einen Schock. Zwei von ihnen seien ins Krankenhaus gebracht worden, hieß es. Hinzu kommt der mutmaßliche Angreifer. Er soll sich selbst lebensgefährlich verletzt haben. Die wegen der Stichwunden in Kliniken gebrachten Schüler seien mit Ausnahme des Verdächtigen bereits wieder entlassen worden, hießt es. Sie gelten als leicht verletzt.

Die Strafverfolger stehen vor der Entscheidung, ob sie einen Haftbefehl oder die vorläufige Unterbringung des 17-Jährigen in einer Psychiatrie beantragen. Er muss psychiatrisch untersucht werden zur Frage seiner Schuldfähigkeit. Vom Gutachten des Facharztes wird das weitere Vorgehen abhängen. Derzeit gilt der Schüler, der in einem Krankenhaus liegt, ohnehin als nicht transportfähig. Am Nachmittag beantragte die Staatsanwaltschaft Haftbefehl wegen versuchten Mordes gegen den Verdächtigen. Er sei den Behörden bislang nicht aufgefallen, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft mit.

Ein Lehrer beruhigte und entwaffnete den Schüler – bis die Polizei kam

Es gebe bei ihm Hinweise auf eine psychische Erkrankung, berichteten die Ermittler. Dies lasse sich aus einem Schreiben schließen, in dem er sich zu der Tat bekenne und das er einem Lehrer übergeben habe. Eine politische oder religiöse Motivation könne nach derzeitigem Ermittlungsstand ausgeschlossen werden. Der 17-jährige mutmaßliche Täter ging selbst in die Oberstufe der Schule. Ein Lehrer sei durch laute Rufe aufmerksam geworden und zum Tatort gekommen, sagte Staatsanwalt Patrick Penders.

Der Lehrer habe ihn beruhigen und entwaffnen können. «Als er allerdings die Einsatzkräfte erblickt hat, ist der Tatverdächtige wieder in einen Erregungszustand geraten und hat die Einsatzkräfte angegriffen und geäußert, dass er von der Polizei erschossen werden will», sagte Einsatzleiter Colin Nierenz. 16 Schüler und ein Lehrer gelten als Zeugen der Tat. Der 17-Jährige sei ohne den Einsatz einer Schusswaffe überwältigt und festgenommen worden. Seine Waffe, ein Klappmesser mit einer sechs bis acht Zentimeter langen Klinge, sei sichergestellt worden.

Die Schule hatte Amokalarm ausgelöst. Schwer bewaffnete Einsatzkräfte hatten sie abgeriegelt und durchsucht. Das Gebäude war evakuiert worden war. 614 Schüler und 25 Lehrer waren betreut worden. Rechtsanwalt Oliver Doelfs, der die Verteidigung des Jugendlichen übernommen hat, wollte sich mit Hinweis auf die besondere Schutzwürdigkeit seines minderjährigen Mandanten nicht zum Fall äußern. Es handelt sich um einen in Wuppertal geborenen Deutsch-Türken.

Erst vor wenigen Tagen waren zwei junge Basketballspieler aus der Ukraine am Oberhausener Hauptbahnhof niedergestochen worden. In diesem Fall gelten vier 14- bis 15-jährige Jugendliche als dringend tatverdächtig und sitzen in Untersuchungshaft.

Auch in Schulen hatten sich extreme Gewalttaten zuletzt gehäuft:

  • Vergangene Woche verletzte ein 15 Jahre alter Jugendlicher im schleswig-holsteinischen Hohenlockstedt einen Mitschüler im Klassenraum mit einem Messer (News4teachers berichtete).
  • Anfang des Monats sollen zwei junge Männer in einer Pforzheimer Schule zwei 17-Jährige mit Messerstichen schwer verletzt haben.
  • Vor vier Wochen hatte ein 18-Jähriger Schüler in einem Gymnasium im baden-württembergischen St. Leon-Rot eine gleichaltrige Schülerin erstochen (News4teachers berichtete).
  • Ende Dezember griff eine 16-Jährige eine Mitschülerin vor den Augen anderer im Klassenraum einer Grund- und Hauptschule in Cuxhaven mit einem Messer an und verletzte sie schwer (News4teachers berichtete ebenfalls).

In Offenburg steht ein 15-Jähriger unter Mordanklage, weil er einen gleichaltrigen Mitschüler mit einer Pistole, die er von zu Hause mitgebracht hatte, im Klassenraum erschossen haben soll. Die Tat ereignete sich im November (hier geht es zum Bericht). News4teachers / mit Material der dpa

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