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Häufiger Jugendoffiziere an Schulen: Verdeckte Werbung oder doch Bildungsangebot? GEW warnt vor Rekrutierungsversuchen

DÜSSELDORF. Krieg in Europa, das kannten Schülerinnen und Schüler bislang nur aus dem Geschichtsunterricht. Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine 2022 hat sich das geändert – und damit anscheinend auch der Unterstützungsbedarf von Schulen, Fragen von Sicherheit, Krieg und Frieden im Schulalltag aufzugreifen. Darauf lässt der Jahresbericht 2022 der Bundeswehr zu ihren Jugendoffizieren schließen, die auf Anfrage Bildungsangebote für Schülerinnen und Schüler rund um Fragen der Sicherheitspolitik durchführen. Die Lehrkräftegewerkschaft GEW steht dem schulischen Engagement der Bundeswehr kritisch gegenüber und fordert, die politische Bildung in den Händen der Lehrkräfte zu belassen. Bayern dagegen plant derzeit, den Besuch von Jugendoffizieren an Schulen zur Pflicht zu machen.

Lassen sich Bildungsangebote vom Anbieter trennen oder ermöglichen sie der Bundeswehr, verdeckt an Schulen für sich zu werben? Symbolfoto: Shutterstock

„Jugendoffizierinnen und Jugendoffiziere verhelfen mit ihrer Arbeit zu mehr Information und damit zu mehr Mündigkeit“, schreibt Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) im Vorwort des aktuellen Jahresberichts der Jugendoffiziere. Ausgebildet in sicherheitspolitischen Themen sowie methodisch-didaktischen Ansätzen stehen diese Offiziere im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr als Referent*innen für politische Bildung zur Verfügung. Ihr Angebot richtet sich insbesondere an Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 13.

In neun Bundesländern regeln Kooperationsvereinbarungen zwischen der Bundeswehr und den jeweiligen Kultusministerien die Zusammenarbeit mit den Schulen, darunter Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Bayern. Die bayerische Landesregierung will nun sogar einen Schritt weitergehen und vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine und der damit verbundenen veränderten Sicherheitslage die Sichtbarkeit der Bundeswehr im schulischen Bereich stärken. Laut dem von der Staatsregierung beschlossenen Gesetzentwurf zur Förderung der Bundeswehr sollen zukünftig alle staatlichen Schulen mit den Jugendoffizieren im Bereich der politischen Bildung zusammenarbeiten. „Zudem sollen sie bei Veranstaltungen zur beruflichen Orientierung ihre Ausbildungs-, Berufs- und Dienstmöglichkeiten vorstellen dürfen.“

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Gestiegene Nachfrage nach Bildungsangeboten der Bundeswehr

Die Bundeswehr verzeichnete zuletzt allerdings schon ohne eine solche Pflicht eine gestiegene Nachfrage der Schulen nach einer Zusammenarbeit mit den Jugendoffizieren: Im Berichtsjahr 2022 hielten die Jugendoffiziere 4.308 Vorträge, überwiegend an Schulen – knapp 1.000 mehr als 2019, dem Vor-Corona-Jahr. Insgesamt erreichten sie in verschiedenen Veranstaltungsformaten 123.928 Schülerinnen und Schüler beziehungsweise Studierende. 2019 waren es 83.320 gewesen. Neben den Vorträgen gehören zur Bildungspalette der Jugendoffiziere Podiumsdiskussionen, Konfliktplanspiele sowie Politiksimulationen; hinzu kommen Angebote für Lehrkräfte, Referendare und Referendarinnen sowie Schulleitungen.

Inhaltlich war – wie für das Jahr 2022 zu erwarten – der Überfall Russlands auf die Ukraine „der mit Abstand am häufigsten angefragte Themenkomplex“, wie es im Jahresbericht heißt. Darüber hinaus spielte die deutsche, europäische und transatlantische Sicherheitspolitik eine Rolle sowie die Einbindung Deutschlands in internationale Organisationen wie UNO, NATO und EU. Als wesentlicher Anknüpfungspunkt habe sich dabei laut Bundeswehr der in den Lehrplänen der Schulen gesetzte Schwerpunkt „Internationale Beziehungen“ erwiesen.

Der Bundeswehr zufolge richten sich die Jugendoffizierinnen und Jugendoffiziere nach dem Beutelsbacher Konsens (s. auch den Infokasten am Ende des Beitrags). Das Ziel: die Lernenden zu befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Die Informationsarbeit sei daher stets auf die Zielgruppe ausgerichtet und an ihrem Vorwissen und ihren Bedürfnissen orientiert. „Das Werben um Nachwuchskräfte“, so betont die Bundeswehr online, „ist hingegen keine Aufgabe der Jugendoffiziere. Dafür sind innerhalb der Bundeswehr die Karriereberater zuständig.“

Kritik der GEW

Der Landesverband NRW der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) bezweifelt gegenüber dem WDR allerdings, dass sich das Engagement der Bundeswehr in den Schulen von der Nachwuchswerbung trennen lässt. Ayla Çelik, Landesvorsitzende der GEW in NRW sagte dem Sender: „Alle, die für Demokratie und Friedenspolitik werben, können keine Kooperation von Schulen und Bundeswehr befürworten. Das ist ein Widerspruch in sich.“

Auch der GEW-Bundesverband kritisiert die schulischen Angebote der Jugendoffiziere. „Die GEW wendet sich entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts und der Lehreraus- und Fortbildung, wie sie in den Kooperationsabkommen zwischen Kultusministerien und Bundeswehr deutlich werden“, schreibt die Gewerkschaft in ihrer Online-Stellungnahme „Einfluss der Bundeswehr an Schulen zurückdrängen“. Die politische Bildung – auch in Fragen der Sicherheitspolitik – gehöre in die Hand der dafür ausgebildeten pädagogischen Fachleute und nicht in die von Jugendoffizieren.

Die Gewerkschaft empfiehlt, „Jugendoffiziere der Bundeswehr nur dann einzuladen, wenn die notwendige politische Ausgewogenheit gewährleistet ist“. Werbeversuche der Bundeswehr an Schulen – ob offen oder verdeckt – lehnt die GEW strikt ab. Die Schule sei kein Ort für Rekrutierung von Berufssoldatinnen und -soldaten. Zudem bräuchten junge Menschen, die ihre berufliche Zukunft oder ihre Ausbildung bei der Bundeswehr realisieren wollen, umfassende Informationen, worauf sich Zeitsoldatinnen und -soldaten einlassen. Dazu gehörten Informationen über traumatisierte Heimkehrer und im Kriegseinsatz getötete Soldat*innen. „Die Schule hat die Aufgabe, interessierten Schülerinnen und Schülern Hinweise zu geben, wo sie sich umfassend informieren können.“ News4teachers

Der Beutelsbacher Konsens
Der „Beutelsbacher Konsens“ umfasst drei Prinzipien: (1) Es ist nicht erlaubt, Schüler im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern (Überwältigungsverbot). (2) Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen (Kontroversitätsgebot). (3) Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.

Der Bundeswehr geht der Nachwuchs aus – Linke sieht „immer aggressivere Versuche“, in Schulen zu werben

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