BERLIN. Unermüdlich entfernt sie Naziparolen im öffentlichen Raum, egal ob aufgeklebt oder aufgesprüht: Seit fast 40 Jahren setzt sich Irmela Mensah-Schramm für Demokratie ein. Die mittlerweile pensionierte heilpädagogische Lehrerin führt auch zahlreiche Workshops an Schulen durch, um Kinder und Jugendliche zu sensibilisieren und sie über fremdenfeindliches Gedankengut aufzuklären. Dabei setzt sie nicht nur auf Vorträge, sondern vor allem auf die Kreativität der Schüler*innen. Im Interview spricht sie über ihr Engagement, über die Arbeit an verschiedenen Schulen und über ihre Wünsche für die Aufklärung zukünftiger Generationen.
News4teachers: Sie haben 1986 damit begonnen, Aufkleber mit Naziparolen zu entfernen und später auch Graffitis zu übersprühen. Warum ist Ihnen dieses Engagement so wichtig?
Irmela Mensah-Schramm: Ich habe sehr schnell erkannt, dass die Menschen sich negative Dinge eher merken als positive. Das fiel mir schon auf, als ich noch im pädagogischen Dienst tätig war. Ich habe bis 2006 als Erzieherin und heilpädagogische Lehrkraft gearbeitet.
News4teachers: Ist Ihnen in Ihrer aktiven Dienstzeit auch rassistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut begegnet?
Mensah-Schramm: Ich habe als heilpädagogische Lehrkraft in einer sonderpädagogischen Einrichtung gearbeitet. Unter den Lehrkräften ist mir leider viel fremdenfeindliches Gedankengut begegnet. Es waren einige Schüler*innen mit Lernbehinderung und Migrationshintergrund dort, die man aus meiner Sicht hätte besser fördern können und müssen. Andererseits habe ich auch mit den Schüler*innen mit Förderbedarf das Thema Rassismus angesprochen und mit ihnen nationalsozialistische Parolen übermalt und entfernt. Das hat den Jugendlichen viel Freude bereitet. Ein Schüler kam sogar zu mir und sagte: „Schrammi, Du musst unbedingt mitkommen. Ich habe wieder Nazisachen gesehen!“ Das hat mich enorm berührt. Die Schule, an der ich gearbeitet habe, trägt den Namen einer Erzieherin, die jüdische Kinder vor der Deportation gerettet hat. Sie wurde von der Gestapo deshalb erschossen. Mir war es wichtig, ihren Auftrag weiterzuführen. Aus diesem Grund habe ich dort mit den Kindern Workshops gemacht.
Generell ist die Menschenwürde unantastbar und ich habe in den letzten Jahren insgesamt 585 Ausstellungen durchgeführt. Die Schüler*innen sind immer sehr berührt und schockiert von den Parolen. Bei den Workshops hingegen steht nicht nur das Anschauen, sondern auch die Kreativität der Kinder und Jugendlichen im Vordergrund. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie die Dinge, die die Realität widerspiegeln und das tun ja die Parolen, am meisten berühren.
News4teachers: Für welche Altersgruppe sind die Workshops an den Schulen geeignet?
Mensah-Schramm: Ich biete die Workshops mittlerweile seit 23 Jahren an. Sie beginnen ab der fünften Klasse. Natürlich verläuft die Diskussion je nach Altersstufe der Schüler*innen unterschiedlich. Zuerst zeige ich die laminierten Plakate in DINA-3-Format und spreche über mein Handeln und seine Beweggründe. Ich erzähle auch von den Begegnungen auf der Straße mit den Urhebern der Naziparolen und auch vom Zusammentreffen mit der Polizei. Außerdem berichte ich davon, dass ich schon mehrmals verurteilt wurde, dass diese aber nicht umgesetzt worden sind. Dabei ist es mir wichtig zu betonen, dass ich keinen Krieg gegen Nazis führe, sondern ihre Gesinnung bekämpfen möchte. Gegenhass hilft meiner Meinung nach nicht gegen Hass.
„Es soll Spaß machen, Böses in Gutes zu verwandeln“
News4teachers: Wie erleben Sie die Kinder und Jugendlichen, wenn Sie mit Ihnen die Naziparolen in positive Botschaften umwandeln?
Mensah-Schramm: Die oberste Priorität ist für mich immer, dass es bei den Malworkshops fröhlich zugeht. Es soll keine traurige Stimmung herrschen wie zum Beispiel bei Gedenkveranstaltungen. Die Kinder und Jugendlichen sollen ihre Betroffenheit zeigen, aber sie sollen Spaß dabei haben, Böses in Gutes zu verwandeln. Die Lehrkräfte bestätigen mir oft im Nachhinein, dass mancher Schüler, der im Unterricht sonst nicht so aufmerksam ist, bei mir gut mitgemacht hätte. Einmal hat ein Schüler eine Kopie mit Naziparolen zu einem Boot gefaltet und auf das Boot geschrieben: „Für eine Welt ohne Hass.“ Mich begeistert auch jedes Mal, dass bei jedem Workshop andere Ergebnisse herauskommen. Die positiven Botschaften der Schüler*innen sind phänomenal und ich stelle immer wieder fest, dass das Umwandeln der Parolen in positive Botschaften die Schüler*innen zum Nachdenken anregt.
News4teachers: Sie gehen ja auch mit den Kindern und Jugendlichen raus und entfernen in der Nähe der jeweiligen Schule nationalsozialistische Aufkleber und Graffitis. Wie verhalten sich die Schüler*innen dabei?
Mensah-Schramm: Die Schüler*innen beteiligen sich sehr aktiv an den Putzaktionen. Ich bin immer wieder überrascht darüber, wie viele Naziparolen rund um Schulen aufgesprüht oder aufgeklebt sind. Im Anschluss an einen Workshop haben mich einmal Sechstklässler auf ein Hakenkreuz in der Schultoilette aufmerksam gemacht. Nachdem ich es gemeinsam mit ihnen entfernt hatte, sind die Jungen jubelnd und klatschend zurück ins Klassenzimmer gerannt. Durch meinen Workshop inspiriert haben auch Schüler*innen schon in den Ferien eigene Putzaktionen gestartet. Ich habe schon an vielen verschiedenen Orten in ganz Deutschland tolle Schulklassen erlebt, die sehr engagiert waren.
News4teachers: Wie kommen Ihre Workshops bei den Lehrkräften an?
Mensah-Schramm: Ganz unterschiedlich. Viele Lehrkräfte und Schulsozialarbeiter*innen sind sehr herzlich und empathisch. Sie malen auch fleißig mit und unterstützen ihre Schüler*innen beim Umwandeln der Nazibotschaften. Es gibt leider auch Lehrkräfte, die sich gar nicht am Workshop beteiligen. Manche schauen einfach nur die ganze Zeit aus dem Fenster und wirken desinteressiert. Auch gibt es Schulen mit dem Siegel „Schule ohne Rassismus“, die Infomaterialien bei mir anfordern und sich dann nie wieder bezüglich der Durchführung eines Projekttages melden. Ich habe es allerdings auch schon erlebt, dass die Initiative, mich einzuladen, nicht vom Lehrpersonal, sondern von den Schüler*innen ausging. An einer Schule hat ein Neuntklässler einen Aktionstag durchgeführt, nachdem er Fremdenfeindlichkeit gegenüber seinen muslimischen Mitschülerinnen beobachtet hatte. Den Mädchen hatte man das Kopftuch heruntergerissen. Im Anschluss an seinen Aktionstag lud der Schüler mich ein und dann habe ich dort meinen Workshop durchgeführt. Der Junge hat später in Berlin für sein Engagement eine Auszeichnung erhalten.
News4teachers: Welche negativen Erfahrungen haben Sie in Ihren Workshops in den letzten Jahren gemacht?
Mensah-Schramm: In einer siebten Klasse wurde mir einmal gesagt, dass ich mehr gegen Gewalt gegenüber Deutschen unternehmen solle, da die Deutschen mehr Rechte auf Schutz hätten als Ausländer. Ich versuche den Kindern und Jugendlichen so gut wie möglich zu erklären, worum es mir geht. Ich bin zu allen Schüler*innen gleich freundlich und lasse sie keine Ablehnung spüren. Bei über 130 Workshop-Projekten bundesweit kann ich die Klassen mittlerweile ganz gut einschätzen und erkenne ihre Gesinnung recht schnell. Ich habe es einmal während eines Workshops erlebt, dass die Schüler*innen die Naziparolen nicht ins Positive veränderten, sondern noch schlimmere Botschaften daraus machten. Ein anderes Mal hat eine Schülerin während eines Vortrages einen Stuhl nach mir geworfen und mich als „Hure“ bezeichnet. Nach einem Workshop gehe ich immer die Feedbackbögen durch, die ich an die Schüler*innen austeile und die sie anonym beantworten können. Auf einem Feedbackbogen stand: „Gehen Sie ins KZ und machen Sie die Gaskammer an!“ Das hat mich ziemlich erschreckt.
News4teachers: Hat aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren das fremdenfeindliche Gedankengut in unserer Gesellschaft bzw. bei Kindern und Jugendlichen zugenommen?
Mensah-Schramm: Ich würde sagen, dass die Parolen früher brutaler waren. Auch hat man sich damals mehr auf das Recht der Meinungsfreiheit berufen und damit versucht zu rechtfertigen, dass man Aufkleber mit Naziparolen anbringen darf. Heutzutage ist die Gesellschaft für die Thematik sensibilisierter und die Parolen werden immer subtiler. Zum Beispiel gab es früher das Wort „Remigration“ nicht. Dieses Wort bedeutet im Grunde „Ausländer raus.“
„Wenn wir jetzt nicht aufpassen, dann kann uns die Vergangenheit einholen“
News4teachers: Unternehmen die Schulen aus Ihrer Sicht genug, um die Kinder und Jugendlichen zu demokratischen Bürger*innen zu erziehen?
Mensah-Schramm: Man kann das meiner Erfahrung nach nicht so pauschal sagen. Es gibt viele Schulen, die machen tolle Projekte zur Demokratie-Erziehung. Ich sehe allerdings eine Gefahr. Wenn sich Schulen ausschließlich auf Gedenkarbeit konzentrieren, passiert es oft, dass sich die Schüler*innen nach einiger Zeit vom Thema abwenden. Daraus resultiert dann, dass sie gegenüber antisemitischen Äußerungen unsensibel werden und glauben, dass der Nationalsozialismus ein ausschließlich geschichtliches Phänomen sei.
Meiner Ansicht nach ist es wichtig zu beleuchten, warum in den 1930-er Jahren die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten stattfinden konnte. Die Menschen damals haben nichts dagegen unternommen, weil sie die Gefahr nicht erkannt haben. Es muss aber auch von den Lehrkräften angesprochen werden, dass es heutzutage wieder nationalsozialistische Tendenzen gibt. Die Schüler*innen müssen verstehen: Wenn wir jetzt nicht aufpassen, dann kann uns die Vergangenheit einholen.
News4teachers: Was würden Sie sich für die Zukunft von den Schulen wünschen?
Mensah-Schramm: Ich würde mir wünschen, dass die Lehrkräfte gegenüber Themen wie Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit sensibler werden und dass sie mit den betreffenden Schüler*innen, die rassistische Verhaltensweisen an den Tag legen, ins Gespräch gehen. Das bedeutet für mich auch, dass die Lehrkräfte empathischer sein und die Beweggründe für Rassismus herausfinden sollten. Dazu gehört aber auch Empathie den Opfern gegenüber.
Ich wünsche mir außerdem, dass die Projekte, die sich mit Fremdenfeindlichkeit und Nationalsozialismus beschäftigen, mehr Gegenwartsbezug bekommen und einen höheren Stellenwert im Lehrplan einnehmen. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus, führte das Interview.