AUGSBURG. John Hattie, der wohl renommierteste Bildungsforscher der Welt, hat das gegliederte Schulsystem deutscher Prägung scharf kritisiert. Es sei bestürzt darüber, wie viel Lernerfolg dadurch verloren gehe, Kinder schon nach dem vierten Schuljahr auf unterschiedliche Schulformen zu verteilen.
„Heterogenität ist die Norm in unserem Leben – in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft. Daher sollten Schulen dies widerspiegeln, um den Schülern und Schülerinnen die Fähigkeiten zu vermitteln, andere zu respektieren und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Meine Forschung beweist, dass Gruppierung und Segregation keinem Schüler zugute kommt“, so erklärt Hattie in einem Gespräch mit der „Augsburger Allgemeinen“.
Er betont: „Ich bin übrigens auch erstaunt darüber, dass das deutsche System zu wissen glaubt, was ein elf- oder zwölfjähriger Schüler im Alter von 30 Jahren können wird, und ihn entsprechend einer Schulart zuteilt. Und ich bin bestürzt darüber, wie unglaublich viel Erfolg verloren geht, indem man Kindern einen Stempel verpasst.“
Wichtiger als die Schulstruktur sind dem neuseeländischen Professor zufolge die Lehrerinnen und Lehrer – genauer: deren Haltung gegenüber den Schülerinnen und Schülern. „Zwei Lehrer könnten die gleiche Unterrichtsstunde halten, aber der Erfolg hängt davon ab, ob der Lehrer seine Aufgabe darin sieht, Wirkung bei allen Schülern hervorzurufen, oder ob er es als seine Aufgabe betrachtet, einfach nur sicherzustellen, dass alle Schüler die Arbeit erledigen und sich an die Anweisungen halten. Die großartigen Lehrkräfte tun Ersteres, die nicht so großartigen Letzteres“, erklärt Hattie.
„Ja, die Lehrkraft ist der wichtigste Einfluss innerhalb der Schule. Aber wir müssen das konkretisieren. Das gilt nur, wenn die Lehrkräfte die Wirkung ihres Unterrichts ständig bewerten und hinterfragen, wenn sie hohe Erwartungen haben und das Lernen aus Sicht der Schülerinnen und Schüler sehen“, sagt er und betont: „Die Aussage wird mit den Fortschritten der KI sogar noch wichtiger, da den Schülern und Schülerinnen beigebracht werden muss, beweiskräftige Fragen zu stellen, Richtig und Falsch zu bewerten und kritisch mit den Produkten künstlicher Intelligenz umzugehen.“
Noch immer gilt die sogenannte Hattie-Studie – neben der PISA-Studie – als größter Aufreger der empirischen Bildungsforschung. Hattie fasste darin die Daten von Tausenden internationalen Untersuchungen zusammen, um daraus die Gelingensfaktoren für schulisches Lernen zu extrahieren. Zentrales Ergebnis: Auf das Handeln der Lehrkräfte im Unterricht kommt es an (weniger auf die Rahmenbedingungen).
In diesen Tagen erscheint die deutsche Übersetzung des Nachfolgebuchs „Visible Learning – the Sequel“, neudeutsch getitelt „Visible Learning 2.0“. Gut 15 Jahre nach dem ersten Buch hat sich die Zahl der einbezogenen Metastudien verdreifacht und die von Hattie analysierten Faktoren für sichtbaren Lernerfolg wuchsen von 138 auf 362 an. News4teachers
