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“Pädagogische Freiheit unzulässig eingeschränkt”: Antidiskriminierungsstelle hält Genderverbote (auch) in Schulen für rechtswidrig

BAYERN. Bayern, Hessen und andere unionsgeführte Landesregierungen haben Gender-Sonderzeichen in Schulen, Hochschulen und Behörden unlängst verboten. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes äußert Bedenken. Sie hat eigens ein Rechtsgutachten herausgegeben.

“Rückschritt ins letzte Jahrhundert”: Die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman. Foto: Stephan Röhl / Heinrich-Böll-Stiftung / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) warnt vor einem staatlichen Verbot inklusiver und geschlechtsgerechter Sprache. «Menschen zu verbieten, inklusive Sprache zu verwenden, ist ein Rückschritt ins letzte Jahrhundert. Der Staat sollte Respekt und Toleranz fördern, nicht verbieten», sagte Ferda Ataman, Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, in einer Mitteilung.

Einen angeblichen Genderzwang, gegen den sich Verbote auf Länderebene richteten, gebe es nicht, sagte Ataman. «Das ist eine Scheindebatte.» Bereits in mehreren von CDU und CSU geführten Bundesländern, darunter Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen, wurden in den vergangenen Monaten Regelungen verordnet oder angekündigt, die an Schulen, Hochschulen oder in der Verwaltung das Gendern mittels nicht amtlicher Sonderzeichen wie beispielsweise Sternchen und Unterstriche verbieten. Im Amtlichen Regelwerk der deutschen Rechtschreibung sind solche Sonderzeichen bislang nicht vorgesehen.

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Sogenannte Genderverbote seien verfassungsrechtlich problematisch und dienten einem Kulturkampf auf dem Rücken von Minderheiten, sagte Ataman. Sie verwies auf ein Kurzgutachten von Juristinnen und Juristen der ADS. Demnach bestehe unter anderem die Gefahr, das Geschlechtsdiskriminierungsverbot sowie allgemeine Persönlichkeitsrechte durch Verbote gendergerechter Sprache zu verletzen. Zudem greife ein Verbot an Hochschulen in die Wissenschaftsfreiheit ein. An Schulen könne ein Verbot Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler in ihrer Meinungsfreiheit sowie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit verletzen.

Wörtlich heißt es in dem Gutachten unter Bezug auf das Grundgesetz (GG): «Regelungen, die es staatlichen Stellen verbieten, geschlechtergerecht zu schreiben, können zu einer Ungleichbehandlung (Artikel 3 I, II 1 GG) oder Benachteiligung wegen des Geschlechts (Artikel 3 III 1 GG) führen. Aus dem Grundgesetz kann sich ein individuelles Recht auf sprachliche Gleichberechtigung ergeben (Artikel 3 II 2 GG). Das beinhaltet die Beseitigung faktischer Nachteile. So führt etwa die Verwendung des Maskulinums in der Amtssprache dazu, dass alle Geschlechter außer das männliche unsichtbar gemacht und viele Menschen inkorrekt angesprochen werden.»

“Geschlechtliche Vielfalt abzubilden und Selbstbezeichnungen der Schüler*innen zu respektieren, sind wichtige Bestandteile von Demokratie- und Menschenrechtsbildung an Schulen”

Das gelte auch für den Schulbetrieb: «Wenn Lehrkräfte oder Schüler*innen in der
Einzelansprache mit dem falschen Geschlecht angesprochen werden, wird das allgemeine
Persönlichkeitsrecht verletzt. Insbesondere hier ist unbedingt auf eine gendersensible Kommunikation zu achten.» Und weiter: «Verbote einer geschlechtergerechten Schreib-
weise können die betroffenen Lehrkräfte und Schüler*innen auch in ihrer Meinungsfreiheit
des Artikel 5 I 1 GG sowie in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikel 2 I GG verletzen. Geschlechtliche Vielfalt abzubilden und Selbstbezeichnungen der Schüler*innen zu respektieren, sind zudem wichtige Bestandteile von Demokratie- und Menschenrechtsbildung an Schulen. Auch die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte dürfte unzulässig eingeschränkt werden.»

Die «Genderverbote» stünden zudem im Widerspruch zur Rechtslage in der Privatwirtschaft
und den Wertungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Das AGG ver-
pflichte Arbeitgebende und Unternehmen, ihre Angestellten und Kund*innen bei der
persönlichen Ansprache nicht wegen des Geschlechts zu diskriminieren. Ansonsten
drohe ein Entschädigungs- und Unterlassungsanspruch.

Weiter heißt es: «Eine Anrede mit dem falschen, zum Beispiel männlichen, Geschlecht negiert die Geschlechtszugehörigkeit und betrifft Menschen daher in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Der Schutz der geschlechtlichen Identität ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 I, Artikel 1 I GG. Auch die geschlechtliche Identität jener Personen ist geschützt, die weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen sind. Alle Personen können daher verlangen, in der persönlichen Anrede ihrem Geschlecht entsprechend angesprochen zu werden.»

Demgegenüber hätten einige Gerichte erst kürzlich klargestellt, dass gendersensible Kommunikation keine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstelle und die Verwendung des Gendersterns keine Diskriminierung sei.

Auch im Kontext Schule gab es ein solches Urteil, wie das Gutachten ausführt: «In einem freiheitlich-demokratisch ausgestalteten Gemeinwesen können Schulen offen für unterschiedliche Meinungen sein, so das Verwaltungsgericht Berlin in einer Entscheidung 2023. Der Eilantrag eines Vaters gegen geschlechtergerechte Sprache an einer Schule blieb daher erfolglos. Die Benutzung genderneutraler Sprache in Lehrmaterialien und Arbeitsblättern sei auch legitim, da genderneutrale Sprache selbst Gegenstand von Unterrichtseinheiten sei. Das Gericht führt zudem aus, dass ‘auch durch die Nichtverwendung von genderneutraler Sprache ebenso eine politische Zuschreibung in Betracht kommen’ kann. Vom Lehrpersonal könne daher auch unter dem Aspekt des ‘Neutralitätsgebotes’ kein Verzicht auf geschlechtergerechte Schreibweisen ver-
langt werden.» News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zum vollständigen Rechtsgutachten.

Kulturkampf: Die CDU bricht Streit ums Gendern vom Zaun – als gäbe es keine anderen Probleme im Land

 

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