
Der Leipziger Psychologe und Sozialforscher Oliver Decker führt die aktuell hohen Zustimmungswerte der AfD in Ostdeutschland auf einen Groll in der Bevölkerung zurück. «Die AfD profitiert derzeit stark von Ressentiments. Die sind in der Bevölkerung stark ausgeprägt. Es gibt einen Groll, ein Gefühl, ungerecht behandelt zu werden», sagte der Professor im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Dieses Phänomen lasse sich schon seit längerer Zeit beobachten. Momentan sei es wahlentscheidend.
Decker zufolge haben die anderen Parteien nicht allzu viel Einfluss darauf. Die Möglichkeiten, die Stimmung zu kippen, seien begrenzt. Die Wähler träfen ihre Entscheidung danach, was ihnen momentan am wichtigsten ist. Früher seien das einmal die Bildungspolitik, die Umwelt oder die Wirtschaftspolitik gewesen. Der Wind werde sich vermutlich erst drehen, wenn Themen auftauchten, die für die Wähler relevanter sind als Ressentiments. «Etwa wenn bei einer Naturkatastrophe Kompetenzen gefragt sind, die die AfD definitiv nicht besitzt.»
Nach den Worten von Decker – Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig – sind die grundsätzlichen Einstellungen zwar relativ konstant («Es sind nicht mehr Menschen geworden, die rechtsextrem eingestellt sind.») Aber: «Wir stellen (..) eine gewisse Schwankung fest bei der autoritären Orientierung, die nicht nur Menschen mit rechtsextremen Einstellungen betrifft. Die autoritäre Orientierung ist die Orientierung an Macht und Stärke, um die eigene Schwäche zu kompensieren. Diese resultiert aus gesellschaftlichen Verhältnissen und dem Versprechen zur Teilhabe an der Macht von jemand Größerem und Stärkeren. Das schlägt nicht nur durch bei rechtsextremen Einstellungen, sondern wirkt sich aus auf die Atmosphäre in der gesamten Gesellschaft», so sagt er in einem aktuellen Interview mit der IG Metall Leipzig.
«Wer einer Ideologie der Ungleichwertigkeit anhängt – wie die AfD-Anhänger – der nimmt gewissermaßen eine Abkürzung: Wut und Hilflosigkeit dürfen plötzlich berechtigt ausgelebt werden. Aber der gleiche gesellschaftliche Druck lastet auf allen. Es ist der Konkurrenzdruck, die Angst vor dem Verlust des Selbstwerts, die Erfahrung mangelnder Anerkennung: Damit haben wir alle zu tun. So finden wir die Reaktionen auch bei vielen und uns selbst, also dass wir versuchen, mit einer Gruppenidentifikation handlungsfähig zu werden. Davon ist ja niemand frei. Und so nehmen die aggressiven Dynamiken zwischen Gruppen zu.»
Weiter betont er: «Und das größte Problem ist, dass Menschen mit rechtsextremen Einstellungen jetzt auch so handeln. Das wirkt sich auch auf die Wahlen aus. Früher war die Herkunft oder konkrete politische Inhalte entscheidend für die Wahl: Wirtschaftskompetenz, soziale Gerechtigkeit, Bildungsaufstieg. Heute sind es oft Aggressionen und die führen dann zur Wahl der AfD. Im Hintergrund steht diese grundsätzliche Ent-Solidarisierung und starker Druck innerhalb der Gesellschaft. Deshalb ist es jetzt so wichtig, dass wir uns alle die Frage beantworten: Wie gehen wir in einer Gesellschaft miteinander um, in der wir immer mehr miteinander in Konkurrenz stehen?»
Decker hält nichts von der Ansicht, die AfD würde sich im Fall einer Regierungsbeteiligung selbst entzaubern, wie er gegenüber der dpa erkärt. «Wir haben es mit einer Partei zu tun, die in all ihren Äußerungen sehr deutlich erkennen lässt, dass sie zwar auf die demokratische Legitimation schielt, aber keinesfalls eine demokratische Partei ist. Ich würde bei der AfD nicht darauf wetten, dass sie ohne Probleme Machtmöglichkeiten bei einer nachfolgenden Wahl einfach aufgibt. Das kann man bei vielen rechtspopulistischen Bewegungen sehen.» Auch viele Exponenten der AfD würden wohl eher von Wahlbetrug sprechen, als Macht wieder abzugeben.
In der Zwischenzeit habe die AfD aber die Möglichkeit, viel zu zerstören. «Sie ist keine Partei mit einem hohen Gestaltungswillen und sagt selbst, dass sie aufräumen will. Etwas kaputtzumachen ist viel leichter, als etwas aufzubauen», sagte Decker. Nach einer Regierungsbeteiligung der AfD würde man viele Jahre brauchen, um zerstörte Strukturen wieder aufzubauen. News4teachers / mit Material der dpa