POTSDAM. Eltern, Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Studierende haben sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um Druck auf die Landesregierung von Brandenburg zu machen: Die soll den Lehrkräftemangel entschlossen angehen. Zu viele Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger gefährden demnach den Schulbetrieb. Der Bildungsminister reagiert.

Zurzeit sind in Brandenburg ca. 20.000 Lehrerinnen und Lehrer unbefristet beschäftigt. Bis 2032 werden über 10.000 von ihnen aus Altersgründen ausscheiden. In diesem Zeitraum sind jährlich mindestens 1.300 bis 1.700 Neueinstellungen notwendig, um den Unterricht für die Schülerinnen und Schüler abzusichern. In den vergangenen Jahren haben in Brandenburg jährlich nur zwischen 300 bis 400 Absolventinnen und Absolventen das Lehramtsstudium an der Universität Potsdam erfolgreich abgeschlossen. Diese Entwicklung, so heißt es in einer Mitteilung des neu gegründeten Bündnisses «Gemeinsam für eine Schule mit Lehrkräften!», wird sich in den nächsten Jahren noch fortsetzen.
Denn: «Die bisher von der Landesregierung getroffenen Maßnahmen zur Absicherung der Ausbildung und Einstellung vollständig ausgebildeter Lehrkräfte reichen nicht ansatzweise aus, um die notwendigen Ersatzeinstellungen in den nächsten zehn Jahren für die Absicherung des Unterrichts vornehmen zu können. Im Gegenteil: Die Bedarfe an Einstellungen werden weiter steigen. Ein Großteil der Ersatzeinstellungen wird nur durch die Gewinnung von Lehrkräften mit Seiteneinstieg erfolgen können. Mit den derzeitigen Maßnahmen ist davon auszugehen, dass 2030 nur die Hälfte der Stellen für Lehrkräfte an den Schulen des Landes Brandenburg mit vollständig ausgebildeten Lehrkräften besetzt sein wird.»
Dem neu gegründeten Bündnis gehören die GEW Brandenburg, der Brandenburgische Pädagogen-Verband (BPV), die Studierendenvertretung der Universität Potsdam, der Landesschülerrats und der Landeselternrats an. «Der Lehrkräftemangel gefährdet die Bildungschancen und die Zukunft unserer Kinder», so begründet die Sprecherin des Landeselternrats, Ulrike Mauersberger, das Engagement. Selbst bei raschem und entschiedenem Handeln sei der Schulbetrieb bereits stark eingeschränkt.
“An manchen Schulen sind bereits 40 Prozent der Lehrkräftestellen mit Seiteneinsteigenden besetzt oder unbesetzt”
Mauersberger: «Uns erreichen aus den Schulen erschreckende Rückmeldungen: Teilweise werden Studierende als Klassenleitungen eingesetzt, einige Kinder können beim Übergang in die weiterführenden Schulen keine Schreibschrift. Über lange Zeit werden Klassen zusammengelegt oder mehrere Klassen von einer Lehrkraft betreut, ohne dass unterrichtet wird. An manchen Schulen sind bereits 40 Prozent der Lehrkräftestellen mit Seiteneinsteigenden besetzt oder unbesetzt. Als Folge fällt immer mehr Unterricht aus, der nicht nachgeholt wird. Wir sind schon jetzt in einem Notbetrieb, und die Bildungsdefizite verstärken sich noch weiter.»
Günther Fuchs, Vorsitzender der GEW in Brandenburg, betont: «Die Einstellung ausgebildeter Lehrkräfte ist die entscheidende Voraussetzung für die Absicherung der unterrichtlichen Bildungs- und Erziehungsangebote unserer Schulen. Die aktuelle personelle Situation in den Schulen und die unzureichenden Maßnahmen der Landesregierung zur Absicherung der Einstellung von Lehrkräften gefährden die Chancengleichheit unserer Kinder und Jugendlichen. Es ist Zeit, endlich wirksam gegenzusteuern.»
«Uns erreichen immer mehr Klagen überlasteter Lehrkräfte. Die wollen einen guten Job machen. Aber auch die können nicht dauerhaft die Seiteneinsteiger coachen oder für Zwei arbeiten», ergänzt BPV-Präsident Hartmut Stäker. «Wir Studierende möchten praxisnah und ohne Verzögerung zum Abschluss kommen. Derzeit geht das nicht: Die weiterhin sehr theorielastige Ausbildung sowie Zugangshürden zum Studium und zu den Kursen und Seminaren stehen dem entgegen», ergänzt Philipp Okonek als studentischer Vertreter der Universität Potsdam. Stefan Tarnow merkt als Sprecher des Landesschülerrats an: «Grundlage vieler Probleme im Bildungsbereich ist der Lehrkräftemangel. Ohne geeignetes Personal kann keine Demokratiebildung gewährleistet werden und Grundoperationen können nicht verstanden werden.»
Der Bildungsminister reagiert. «Ich verstehe den Hinweis, aber wir können auf Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger nicht verzichten», sagt Steffen Freiberg (SPD). Er betont: «Ja, das geht nicht ohne Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger, in ganz Ostdeutschland ist das so.» Mit Blick auf das kommende Schuljahr zeigt er sich optimistisch – denn mehrere Maßnahmen (wie das Programm 63+ zur Weiterbeschäftigung von Lehrkräften, eine neue Kampagne zur Lehrersuche und auf das Landlehrerstipendium) liefen. «Wir haben schon eine erhebliche Anzahl an Kolleginnen und Kollegen gewinnen können.» Die genaue Zahl der fehlenden Lehrkräfte wird voraussichtlich erst kurz vor Beginn des neuen Schuljahres bekannt.
Der Bildungsminister zieht unter dem Strich eine positive Bilanz des Schuljahres. «In Brandenburg gibt es keine Zeugnisse, auf denen steht: Die Note wurde nicht erteilt, weil der Unterricht nicht erteilt wurde. Der ersatzlos ausgefallene Unterricht ist trotz der Herausforderungen in diesem Schuljahr mit 2,5 Prozent auf dem Niveau des Vorjahres geblieben und ist nicht größer geworden. Das ist ein Verdienst der Lehrerinnen und Lehrer.» Im Winterhalbjahr entsprachen die 2,5 Prozent laut Ministerium rund 172.000 ersatzlos ausgefallenen Stunden.
Aus der Sicht des Bündnisses ist die Lage hingegen prekär. In der gemeinsamen Erklärung heißt es: «Schon jetzt ist die personelle Situation an den Schulen angespannt, der Arbeitsmarkt an Lehrkräften deckt den Bedarf nicht und die Maßnahmen der Landesregierung sind für die Sicherung sämtlicher notwendiger Einstellungen unzureichend.» News4teachers / mit Material der dpa

