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News4teachers-Podcast von Kati Ahl: “Wellbeing” als Schulprogramm – sind dänische Schulkinder (deshalb) glücklicher?

FRANKFURT/MAIN. Kati Ahl kennt sich mit Bildungsthemen gut aus. Sie war Lehrerin, hat Lehramtsreferendar*innen ausgebildet und war Schulleiterin. Heute ist sie Schulentwicklungsberaterin, Buchautorin und Podcastproduzentin. In ihrer neuen Podcastreihe „Schule, lass mal reden!“ unternimmt sie Bildungsreisen, um herauszufinden, wie Schule in anderen Ländern funktioniert. Ihre erste Reise führt sie nach Dänemark, wo sie auf der Suche nach „pädagogischen Perlen“ ist. Auch in dieser Folge wird sie fündig: das in dänischen Schulen verankerte „Wellbeing“.

„Die Kinder sind freier als in anderen Ländern.” (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

In Dänemark spielt „Trivsel“, das Wohlergehen, eine sehr wichtige Rolle. Bereits in der schulischen Bildung wird auf das gute Befinden von Kindern und Jugendlichen großer Wert gelegt. Alle Schulen haben ein entsprechendes Programm. Jährlich werden die Schüler:innen dazu befragt. Die Ergebnisse und Durchschnittswerte werden offen auf der Homepage veröffentlicht, und zwar im Vergleich zu den Mittelwerten der Schulen der Kommune. Es lässt sich daran ablesen, wie der Wert der Schule für Wohlbefinden sich im Vergleich zum Vorjahr entwickelt hat, wie er sich im Vergleich zu den anderen Schulen der Kommune liest und welche Maßnahmen die Schule unternimmt, um den Wert zu erhalten oder zu verbessern.

Kati Ahl will dem Thema auf den Grund gehen. Ihr heutiger Gast, mit dem sie darüber sprechen will, ist eine Expertin auf diesem Fachgebiet, nämlich die dänische Familientherapeutin und Psychologin Helle Jensen. Sie war eine Kollegin des im Jahr 2019 verstorbenen Familientherapeuten und Autors Jesper Juul. Die beiden haben gemeinsam mehrere Bücher veröffentlicht, zum Beispiel „Vom Gehorsam zur Verantwortung.“ Helle Jensen betreibt seit 2020 ein Modellprojekt namens „Empathie macht Schule“ in mehreren Berliner Grundschulen zur ganzheitlichen Entwicklung von Beziehungskompetenz.

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“Kinder sind soziale Wesen und müssen von Anfang an gleichwertig wie Erwachsene behandelt werden”

Zunächst möchte Kati Ahl wissen, wie es dazu kommt, dass Wellbeing im Programm dänischer Schulen von vorneherein festgelegt ist. „Das ist ein skandinavisches Phänomen“, sagt Helle Jensen. „Wir haben im Zweiten Weltkrieg nicht so sehr gelitten, wie das im restlichen Europa der Fall gewesen ist. In Ländern wie Deutschland war die Bevölkerung tief traumatisiert und dies hat Rückschritte im Menschenbild hervorgerufen. In anderen europäischen Ländern müssen die Kinder gehorsam sein und das korrekte Sozialverhalten erst lernen. Wir in Dänemark sehen das anders. Kinder sind soziale Wesen und müssen von Anfang an gleichwertig wie Erwachsene behandelt werden. Außerdem steht die Fürsorge füreinander in unserer Gesellschaft im Vordergrund.“

Helle Jensen führt weiter aus, dass der geforderte Gehorsam in der Erziehung die Kinder verletzen könne. Es sei immer die Frage, wie Menschen mit einer solchen Verletzung umgehen. Entweder resultiere daraus, dass sie im Laufe ihres Lebens aufgrund dieser frühkindlichen Erfahrung andere Menschen ebenfalls verletzen oder sie gehen anders mit ihren Mitmenschen um, wenn sie merken, welche Auswirkung eine solche Verletzung auf sie selbst hat. Also getreu dem Motto: Wie wirkt es auf mich, wenn jemand mit mir schimpft? In der Psychologie nenne man dieses Phänomen Beziehungskompetenz, erläutert Helle Jensen weiter.

Die Coronapandemie habe auch im Norden Europas große Auswirkungen auf die psychische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gehabt. „Heutzutage sehen sich die Schüler*innen mit vielen Einflüssen von außen und Herausforderungen konfrontiert“, stellt die Psychologin Helle Jensen fest. „Die Erwachsenen müssen den Kindern schon früh ein Gefühl für sich selbst vermitteln und die Aufmerksamkeit des Kindes nach innen lenken. Die Kinder müssen lernen zu spüren, was gut für sie ist.“

Haben die dänischen Lehrkräfte ein anderes Bewusstsein für ihre Schülerschaft und sind somit besser als ihre deutschen Kolleg*innen? Helle Jensen erklärt, dass auch in Dänemark die Arbeitsbedingungen für die Lehrkräfte mitunter schwierig seien. Dennoch verfügten diese über viel Herzenswärme und ein gutes Gespür für die Kinder und Jugendlichen. Bereits in der Lehramtsausbildung hätten die Studierenden viele Möglichkeiten, diese Qualitäten zu entwickeln. Sie erlernen beispielsweise während ihrer Ausbildung Achtsamkeit, Empathie und Beziehungskompetenz.

Für die Arbeit mit den Kindern sei es wichtig, diese psychologischen Kompetenzen nicht nur auf theoretischer Ebene zu kennen, sondern vor allem auf praktischer Ebene umzusetzen. Dafür müssen sich die Lehramtsstudent*innen selbst in die Übungen während der Ausbildung miteinbringen. Kati Ahl berichtet aus ihrer aktiven Zeit als Lehrerin: „Man steht mit seiner gesamten Persönlichkeit, also mit allen Stärken und Schwächen, vor der Klasse“, betont sie. „Manchmal fühlt man sich wie auf einer Bühne, vor allem dann, wenn eine Unsicherheit auftritt oder im Unterricht etwas nicht so gut läuft. Als Lehrkräfte stehen wir immer in einer Beziehungsdynamik zu unseren Schüler*innen.“

In Deutschland herrscht oft das Vorurteil, dass Lehrkräfte viel freie Zeit hätten und jedes Jahr immer nur dasselbe unterrichten müssten. Ist das Bild dieser Berufsgruppe in Dänemark anders? Helle Jensen erklärt, dass sich das Bild gegenüber den Lehrkräften in der Coronazeit verändert habe. In Dänemark sei man zwar im Gegensatz zu Deutschland von Anfang an im Online-Unterricht versiert gewesen, aber die Eltern hätten im Homeschooling am eigenen Leib erfahren, wie schwierig der Job ist. Sie mussten ihre eigenen Kinder unterrichten und haben dadurch die Herausforderungen des Lehrerberufs kennengelernt. Dennoch gebe es weiterhin zu wenig Respekt für den Lehrerberuf.

“In Dänemark wird die Lehrkraft einfach als Mensch mit allen Stärken und Schwächen gesehen.”

„Früher war die Lehrkraft eine Autorität qua Rolle“, erläutert Helle Jensen.  „Heute zählt nicht nur die fachliche Kompetenz, sondern auch die persönliche Autorität. Ich muss mich als Lehrkraft zwar durchsetzen, aber dabei in Beziehung zu meiner Schülerschaft treten, ohne dabei die Schüler*innen oder mich selbst zu verletzen. Daher braucht es eine Kultur des Vertrauens, in der sich alle Beteiligten öffnen und auch schwierige Situationen ansprechen können.“ In Deutschland müsse jeder Lehrer perfekt sein und dürfe keine Fehler haben, so Helle Jensen weiter. Diese Vorstellung sei nicht realistisch. In Dänemark hingegen werde die Lehrkraft einfach als Mensch mit allen Stärken und Schwächen gesehen.

Dennoch sei die Lehrkraft für die Atmosphäre im Schulalltag verantwortlich und müsse dafür sorgen, dass sich alle Beteiligten gleichwertig begegnen. Dies setze bei den Lehrkräften nicht nur eine fachliche Kompetenz voraus, sondern auch Wissen über Prozesse und Kooperationen. Zudem sei es wichtig, dass die Lehrkraft auch in schwierigen Situationen ganz bei sich ist und gut mit den Schüler*innen umgehe. Es sei ein Teil der persönlichen Autorität herauszufinden: Wie kann ich meine Rolle als Lehrkraft mit mir selbst füllen? Diese Authentizität zu erlernen brauche Zeit, sei aber durchaus möglich, erläutert Jensen.

„Was sehe ich, wenn ich in eine dänische Schule komme“, fragt Kati Ahl. „Die Kinder sind freier als in anderen Ländern. Das sieht man zum Beispiel an ihrer Körperhaltung oder an der Selbstverständlichkeit, mit der sie mit ihren Lehrkräften kommunizieren“, antwortet Helle Jensen. Nina Odenius, Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht’s zur Homepage von Kati Ahl.

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