BERLIN. Viele junge Wähler machen bei der AfD ihr Kreuz. Soziale Medien spielen dabei eine wichtige Rolle. Das ruft Bildungsexperten auf den Plan. Sie fordern, die Medienbildung in den Schulen zu verbessern. Aber: Reicht das aus?
Nach dem Wahlerfolg der AfD bei Jungwählern in Brandenburg fordern Lehrerverbände eine bessere Medienbildung an deutschen Schulen. «Soziale Medien können gerade zu Beginn einer Radikalisierung wie ein Katalysator wirken», sagte der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Gerhard Brand, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Junge Leute gerieten «schnell in einem Sumpf aus gefährlicher Weltanschauung und Selbstbestätigung». Die Medienbildung an Schulen, aber auch durch Eltern, sei hier gefragt, solche Mechanismen zu erklären und davor zu warnen, sich zu einseitig zu informieren.
“In zehn Prozent der deutschen Schulen sind noch immer keine Klassensätze an digitalen Endgeräten vorhanden”
Brand mahnt dazu aber auch eine bessere Ausstattung der Schulen an. «Wenn aber in zehn Prozent der deutschen Schulen noch immer keine Klassensätze an digitalen Endgeräten vorhanden sind und der Digitalpakt 2.0 momentan noch in der Schwebe steckt, brauchen wir uns nicht wundern, wenn Schule das nicht leisten kann», kritisierte der Verbandschef.
«Soziale Medien begünstigen häufig Extreme», sagte auch die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Prof. Susanne Lin-Klitzing, dem RND. Es sei unerlässlich, dass Medienbildung an Schulen eine wichtige Rolle spiele und Schüler befähigt würden, Informationen kritisch zu hinterfragen. Dafür müssten die Lehrkräfte entsprechend geschult werden. Für Weiter- und Fortbildung stehe ihnen allerdings zu wenig Zeit und Geld zur Verfügung, kritisiert die Verbandschefin.
Laut aktueller JIM-Studie, die jährlich den Medienkonsum junger Menschen erfasst, sind Jugendliche durchschnittlich 224 Minuten täglich online. Dabei spielen insbesondere Messenger und Social Media eine große Rolle. WhatsApp wird von 94 Prozent regelmäßig genutzt. Instagram belegt mit 62 Prozent Platz zwei, gefolgt von TikTok mit 59 Prozent und Snapchat mit 49 Prozent.
Was auffällt: Soziale Medien wie TikTok und Youtube nehmen in ihrer Bedeutung als Informationsquelle rasant zu. Hatten ein Jahr zuvor erst 22 Prozent der Jugendlichen angegeben, sich regelmäßig auf Youtube über das Weltgeschehen zu informieren, so sind es in der jüngsten Studie bereits 33 Prozent, also die Hälfte mehr. Ähnlich das Bild bei TikTok: Hatten 2022 noch 25 Prozent der Jugendlichen angegeben, sich zumindest mehrmals wöchentlich über diesen Kanal nachrichtlich zu informieren, so waren es ein Jahr später bereits 30 Prozent.
Wer sich wo informiert, dabei ist ein Muster festzustellen: «Mit Blick auf den formalen Bildungshintergrund sind Unterschiede festzustellen“, so heißt es in der Studie. „So kommen Jugendliche, die ein Gymnasium besuchen, insbesondere in Gesprächen mit Familie und Freunden häufiger in Kontakt mit dem aktuellen Weltgeschehen und stoßen häufiger bei Nachrichten in TV/Radio, speziellen Nachrichten-Apps und Onlineangebote von Zeitungen/Zeitschriften auf Informationen. Jugendliche, die eine Haupt-/Realschule besuchen, finden diese im Vergleich häufiger bei Snapchat und TikTok.»
“Die hohe Konfrontation mit Falschinformationen und Hassbotschaften bei Jugendlichen ist alarmierend”
Im Rahmen der Studie wurden die Jugendlichen auch gefragt, welche der folgenden negativen Phänomene ihnen im letzten Monat im Netz begegnet sind. Demnach sind – nach eigenen Angaben – 58 Prozent mit Fake News in Kontakt gekommen, gut die Hälfte mit beleidigenden Kommentaren. Etwa jeweils zwei von fünf Jugendlichen wurde im letzten Monat vor der Befragung mit extremen politischen Ansichten, Verschwörungstheorien oder Hassbotschaften konfrontiert. 23 Prozent sind ungewollt auf pornografische Inhalte gestoßen, 14 Prozent haben Anfeindungen gegen sich persönlich erleben müssen. Lediglich 27 Prozent konnten von sich sagen, im letzten Monat keinem dieser Phänomene im Internet begegnet zu sein. Im Umkehrschluss haben fast drei Viertel der Jugendlichen binnen eines Monats negative Erfahrungen gemacht.
Dabei muss allerdings festgehalten werden, dass die Perspektive der Jugendlichen nur die Spitze des Eisbergs ausmacht – um Fake News auszumachen, muss man sie zunächst mal erkennen. Anzunehmen ist deshalb, dass Jugendliche noch weitaus häufiger mit Falschinformationen und Propaganda konfrontiert sind, als sie selbst wahrnehmen. «Die hohe Konfrontation mit Falschinformationen und Hassbotschaften bei Jugendlichen ist alarmierend. Angesichts dieser Herausforderung ist es von höchster Bedeutung, die Medienkompetenz von jungen Menschen zu fördern», kommentiert denn auch Wolfgang Kreißig, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten, die Ergebnisse.
Aber reicht das aus? Auch die demokratischen Parteien seien gefordert, junge Menschen besser anzusprechen – meint jedenfalls der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger. Er beklagt eine «fehlende politischen Kommunikation auf Augenhöhe» gerade in sozialen Medien. Nur der AfD gelinge es, Jugendliche in den Medien zu adressieren, sagt er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk. Krüger fordert einen «nachhaltigen Fokus auf die Interessen der jungen Generation in Deutschland sowie eine offensive Jugend- und Bildungspolitik».
Die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel, stimmten die Jugendlichen in ihrem Allgemeinbefinden ernster und besorgter denn je, konstatiert Krüger. Es herrscht zudem eine «beträchtliche Verunsicherung unter jungen Menschen durch die schwer einzuschätzende Migrationsdynamik und die dadurch angestoßene Zunahme von Rassismus und Diskriminierung». Viele junge Menschen erlebten die aktuelle Politik «als sehr weit weg», stellt der Leiter der Bundeszentrale fest. News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich die aktuelle JIM-Studie herunterladen.
