HAMBURG. Die mögliche Übernahme eines Kultusministeriums durch die AfD birgt erhebliche Risiken für das Bildungssystem – meint Felix Hanschmann, Professor an der Bucerius Law School in Hamburg. Der Verwaltungs- und Verfassungsjurist hebt insbesondere die weitreichenden Befugnisse hervor, die von der politischen Spitze der Bildungsverwaltung ausgehen, um ohne parlamentarische Kontrolle tiefgreifende Veränderungen im Bildungswesen durchzusetzen. „Das Kultusministerium ist für die AfD attraktiv, weil weite Bereiche des Schulrechts nicht durch Parlamentsgesetze, sondern durch Rechtsverordnungen oder Verwaltungsvorschriften des Ministeriums geregelt werden“, erklärt Hanschmann in einem aktuellen Interview. Diese Machtfülle könne die AfD nutzen, um ihr politisches Weltbild direkt auf junge Menschen zu übertragen.
Der vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestufte Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke – Lehrer für Geschichte und Sport von Beruf – hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, wie er sich den Geschichtsunterricht in deutschen Schulen vorstellt. „Anstatt die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, …vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt…, und anstatt unsere Schüler in den Schulen mit dieser Geschichte in Berührung zu bringen, wird die Geschichte, die deutsche Geschichte, mies und lächerlich gemacht“, erklärte er 2017 mit Blick auf das Holocaust-Gedenken.
Kinder mit Behinderungen nannte er im vergangenen Jahr „Belastungsfaktoren“ – und kündigte an, das „Ideologieprojekt Inklusion“ abschaffen zu wollen. Kurz zuvor hatte die AfD für Schlagzeilen gesorgt, weil sie weitere Kinder vom Regelunterricht ausschließen will – Migrantenkinder nämlich.
Der bayerische Spitzenkandidat Martin Böhm verlangte bei der Vorstellung des Parteiprogramms zur damals anstehenden Landtagswahl im Freistaat einen gesonderten Unterricht für alle Grund- und Mittelschüler, bei denen zu Hause nicht Deutsch gesprochen wird. Diese Kinder sollten „in ganz besonderen Klassen weitergebildet“ werden – „keinesfalls mit Kindern, die die Sprache perfekt beherrschen. Weil immer wenn Sie zwei Flüssigkeiten zusammenschütten, dann erhalten Sie irgendwo eine Mischung“, erklärte der ehemalige Versicherungsvertreter. Tatsächlich findet sich im aktuellen AfD-Programm für die Landtagswahl in Brandenburg der Passus, den Migrationsanteil an öffentlichen Schulen auf zehn Prozent begrenzen zu wollen. Kein Wort findet sich dazu, was mit den übrigen Migrantenkindern geschehen soll.
Geschichtsunterricht ideologisieren, Kinder aus Regelschulen ausschließen – dürfte das ein AfD-Kultusminister mal so eben? Er könnte tatsächlich viel Unheil stiften, so macht Verwaltungs- und Verfassungsrechtler Hanschmann in einem aktuellen Interview mit dem Deutschen Schulportal deutlich.
„Den Sexualkundeunterricht könnten sie mit einem Federstrich abschaffen oder zumindest im Stundenumfang massiv reduzieren“
Besonders bedenklich sei, dass ein Kultusministerium die Möglichkeit hat, zentrale bildungspolitische Entscheidungen zu treffen, die weit über den Schulalltag hinausgehen und die Zukunft der gesamten Gesellschaft betreffen. Es geht dabei um grundlegende Fragen, wie etwa die Auswahl der zu unterrichtenden Fächer, den Umfang des Unterrichts oder die Inhalte der Lehrpläne. „Nehmen Sie den Sexualkundeunterricht, der gerade im Fokus der AfD steht“, führt Hanschmann aus (die Brandenburger AfD beispielsweise fordert in ihrem Wahlprogramm ein „Verbot der Sexualpädagogik der Vielfalt“). „Den könnten sie mit einem Federstrich abschaffen oder zumindest im Stundenumfang massiv reduzieren.“ Dies seien Entscheidungen, die am Parlament vorbei rein von der Exekutive getroffen werden könnten, was die Möglichkeiten der Gegenwehr erheblich einschränke.
Ein weiteres Problem sieht Hanschmann in der mangelnden Transparenz dieser Entscheidungsprozesse. Verwaltungsvorschriften, die vom Ministerium erlassen werden, unterliegen oft keiner Publikationspflicht. „Das Ministerium ist nicht verpflichtet, seine Verwaltungsvorschriften zu veröffentlichen“, so Hanschmann. Anders sei dies bei Gesetzen, die im Parlament diskutiert und beschlossen werden, wodurch Transparenz und öffentliche Kontrolle gewährleistet seien. Wenn jedoch Vorschriften nur intern kommuniziert würden, etwa an Schulleitungen oder die Schulaufsicht, werde der Prozess weniger transparent und somit auch weniger angreifbar. Dies eröffne der AfD die Möglichkeit, tiefgreifende Veränderungen durchzuführen, ohne dass diese sofort bemerkt oder öffentlich diskutiert würden.
Hanschmann betont, dass die Möglichkeiten, sich gegen solche Maßnahmen zur Wehr zu setzen, stark eingeschränkt sind. Zwar bestehe für Lehrkräfte und Schulleitungen das Recht zur Remonstration, wenn sie der Meinung sind, dass eine Anordnung unrechtmäßig sei. Allerdings sei dies nur dann möglich, wenn die Anweisungen nicht im Einklang mit einer geänderten Rechtslage stünden. „Wenn das Schulgesetz geändert wird und die Anweisung, die kommt, im Einklang mit der neuen Rechtslage ist, gibt es keine Grundlage für eine berechtigte Remonstration der Lehrkraft“, stellt Hanschmann klar. Auch für Eltern seien die juristischen Möglichkeiten begrenzt. Das Bundesverfassungsgericht habe in zahlreichen Entscheidungen den weiten Gestaltungsspielraum des Staates in schulischen Angelegenheiten betont und diesen Spielraum in den letzten Jahren sogar noch ausgeweitet. „Eltern haben kaum eine Chance, sich juristisch gegen die inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts zu wehren“, resümiert Hanschmann.
Ein Beispiel für die eingeschränkten Rechte der Eltern liefert ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das in einem Fall entschieden hat, in dem Eltern, die den Zeugen Jehovas angehören, ihren Sohn von der Teilnahme an einer Schulveranstaltung abmelden wollten. Der Junge sollte sich eine Verfilmung von Otfried Preußlers „Krabat“ ansehen, die Elemente schwarzer Magie enthält, was die Eltern aus religiösen Gründen ablehnten. Das Gericht entschied jedoch, dass die Eltern kein Mitbestimmungsrecht darüber haben, ob das Kind teilnimmt oder nicht. Diese Entscheidung verdeutlicht laut Hanschmann, wie weitreichend die Gestaltungsmöglichkeiten des Staates im schulischen Bereich sind – wie stark die Einflussmöglichkeiten eines AfD-Kultusministers wäre.
Ein weiteres Handlungsfeld für einen solchen ist dem Jura-Professor zufolge der rechtliche Spielraum des Kultusministeriums im Kontext der in den Landesverfassungen festgeschriebenen Bildungs- und Erziehungsziele. Diese Ziele, so Hanschmann, könnten – negativ formuliert – als „Verfassungspoesie“ bezeichnet werden. Viele der Landesverfassungen, insbesondere in den alten Bundesländern, seien kurz nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden und stark von den Erfahrungen des Nationalsozialismus geprägt. Die Bildungs- und Erziehungsziele seien in einer pathetischen, beinahe poetischen Sprache formuliert und appellierten an die Förderung demokratischer Werte. Trotz ihrer Bedeutung für das Bildungssystem seien diese Ziele jedoch schwer operationalisierbar und bedürften einer umfangreichen Interpretation. Dies gilt laut Hanschmann auch für die Verfassungen der neuen Bundesländer, die nach 1989 entstanden sind.
Das Grundgesetz selbst gibt keine expliziten Bildungs- und Erziehungsziele vor, doch die darin verankerten Werte wie die Gleichheit vor dem Gesetz, die absoluten Diskriminierungsverbote, die Menschenwürde sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip spiegeln sich indirekt auch in den Zielen des Bildungswesens wider. „Schulen dürfen nach dem Grundgesetz keinen rassistischen, islamophoben oder antisemitisch angehauchten Unterricht machen“, stellt Hanschmann klar. Auch sei es unzulässig, die Verbrechen des Nationalsozialismus im Geschichtsunterricht zu relativieren oder gar in Abrede zu stellen. „Schülerinnen und Schüler dürfen schließlich nicht nach unzulässigen Kriterien, beispielsweise Herkunftsmerkmalen, in unterschiedlichen Klassen oder gar Schulen separiert werden“, betont er.
Die AfD werde jedoch nicht so unklug sein, solche Inhalte explizit in Lehrpläne oder Dienstanweisungen zu schreiben. Vielmehr sei zu befürchten, dass subtile und informelle Veränderungen vorgenommen werden könnten. „Man verändert ein bisschen die zugelassenen Unterrichtsmaterialien, man behandelt im Geschichtsunterricht mehr die Befreiungskriege und die Reichsgründung, und am Ende bleiben nur noch zwei Unterrichtsstunden für 1933 bis 1945 übrig“, warnt Hanschmann vor den möglichen Konsequenzen einer solchen Vorgehensweise.
„Bildungsstandards sind sie ein relativ starkes Steuerungsinstrument, was die Lerninhalte angeht“
Die Kultusministerkonferenz (KMK) könnte theoretisch eingreifen, wenn ein Bundesland von der gemeinsamen Bildungslinie abweicht, aber die Möglichkeiten sind begrenzt und politisch heikel. Eine der drastischsten Maßnahmen, die Hanschmann erwähnt, wäre die Aberkennung von Schulabschlüssen, die in einem Bundesland unter zweifelhaften Bedingungen erworben wurden. „Das ist ein relativ scharfes Schwert“, erklärt Hanschmann, doch die Umsetzung wäre politisch äußerst schwierig, da sie die Schülerinnen und Schüler am härtesten treffen würde. Ein solches Vorgehen könnte die Wählerinnen und Wähler gegen die Landesregierung aufbringen, insbesondere wenn die Abschlüsse außerhalb des eigenen Bundeslandes nicht mehr anerkannt würden. Dies würde die Mobilität der Schülerinnen und Schüler einschränken und sie auf ihr Bundesland festnageln, was innerhalb des Landes kaum durchsetzbar wäre.
Ein weiteres Instrument der KMK sind die bundesweiten Bildungsstandards, die vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen entwickelt werden. Diese Standards stellen sicher, dass Schülerinnen und Schüler in bestimmten Jahrgangsstufen bestimmte Kompetenzbereiche und -stufen erreichen. „Auch wenn es in diesen auf einzelne Fächer bezogenen Bildungsstandards um Kompetenzbereiche und Kompetenzstufen geht, sind sie ein relativ starkes Steuerungsinstrument, was die Lerninhalte angeht“, betont Hanschmann. Er sieht in den Bildungsstandards ein wirksames Mittel, um eine politisch motivierte Einflussnahme auf den Unterricht zu verhindern, insbesondere wenn diese Standards auf Fächer wie Politik und Geschichte ausgeweitet werden.
Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK hat im Juli empfohlen, einheitliche Bildungsstandards auch für Fächer wie Politik und Geschichte zu entwickeln. Hanschmann unterstützt diese Empfehlung ausdrücklich, da sie dazu beitragen könnte, die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung des Schulunterrichts zu verringern. „Mit der Entwicklung von Bildungsstandards werden auch Wertigkeitsaussagen über bestimmte Fächer getroffen“, erklärt er und betont die besondere Bedeutung der sogenannten „Orchideenfächer“ wie Politikwissenschaft, Religionskunde, Sexualkunde, Kunst und Musik. Gerade in einer politischen Situation, in der die AfD Einfluss auf das Kultusministerium gewinnen könnte, sei es entscheidend, dass diese Fächer nicht marginalisiert, sondern gestärkt werden, um eine ausgewogene und demokratisch fundierte Bildung sicherzustellen.
Insgesamt zeichnet Hanschmann ein düsteres Bild der möglichen Folgen einer Übernahme des Kultusministeriums durch die AfD: Die rechtlichen und strukturellen Möglichkeiten, die das Ministerium bietet, könnten dazu führen, dass grundlegende Werte und Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats untergraben werden. News4teachers