
„EdTech-Start-ups können mit ihren Lösungen Highlights setzen“, betont Tobias Himmerich, Geschäftsführer des Veranstalters Eduvation. Mit ihren Angeboten unterstützten die jungen Gründer:innen Lehrkräfte zeitnah, auf aktuelle Entwicklungen einzugehen – sei es inhaltlich oder mit Blick auf die Technik. Im Vergleich zu Schulbüchern, die einen mehrjährigen Entstehungsprozess haben, seien EdTech-Start-ups Schnellboote im Überholvorgang. Damit ihre Lösungen aber auch an den Schulen ankommen, organisiert die Initiative Eduvation den EdTech Next Summit: Hier sollen sich Jungunternehmer:innen der Szene mit Vertreter:innen bereits etablierter Unternehmen und Expert:innen des Bildungsmarktes austauschen, um voneinander zu lernen.
Eine Empfehlung des Tages: „Bottom-up vorzugehen, ist nachhaltiger“, sagt Anja Hagen, Vorsitzende des EdTech-Verbands und selbst Gründerin in dem Bereich. Dabei helfen überzeugte Lehrkräfte, die Schulmauer im Verkaufsprozess zu überwinden, indem sie das Produkt schulintern zur Anschaffung vorschlagen.
Dagegen bedeutet eine verkaufte Landeslizenz, dass das eigene Produkt über das Kultusministerium den Schulen zur Verfügung gestellt wird. Gegenüber Lehrmitteln, die „von oben“ kommen, seien Lehrkräfte allerdings eher skeptisch eingestellt, gibt Hagen zu bedenken. Einige Zuhörer:innen, die schon länger in der Bildungswirtschaft unterwegs sind, nicken verständig. Es gelte daher immer – unabhängig des Vertriebswegs – die Lehrkräfte für das eigene Produkt zu gewinnen. Denn, so mahnt Hagen, „wenn Lehrerinnen und Lehrer ein Produkt trotz Landeslizenz nicht nutzen, wird das Land die Lizenz nicht verlängern“.
Pädagoginnen und Pädagogen zu überzeugen, ist jedoch leichter gesagt als getan. „Lehrkräfte sind eine flüchtige Klientel“, erklärt Andrej Priboschek, Herausgeber von News4teachers, Leiter der Agentur für Bildungsjournalismus und als solcher Experte im Bereich Bildungskommunikation. Die Aufgabe laute daher, sie bedürfnisgerecht und auf Augenhöhe anzusprechen. „Entscheidend dafür ist auch, ihre Gesamtsituation im Bildungssystem im Blick zu haben.“ Diese sei nämlich alles andere als ideal: So treffen hohe Ansprüche auf zu wenig Lehrende, die in teils heruntergekommenen Schulen mit veralteter Ausstattung Unterricht von morgen machen sollen. „Und dann werden ihnen noch die desaströsen Ergebnisse der jüngsten Bildungsstudien angelastet.“
Aufgrund dieser belastenden Ausgangssituation seien Lehrkräfte besonders offen für Lösungen, die „ihnen echte Unterstützung bieten, ohne zu kompliziert zu sein. Das ist eine klare Kosten-Nutzen-Analyse.“ Wie treffsicher Priboschek mit seiner Einschätzung ist, zeigt die Aussage eines Schulleiters in einer anderen Diskussionsrunde später am Tag: „Ein EdTech-Angebot muss ein Problem für mich lösen, dann bin ich auch bereit, Zeit zu investieren, mich einzuarbeiten und meine Lehrerinnen und Lehrer zu schulen.“
Problemlösungen – genau darauf zielen EdTech-Unternehmen, oft angetrieben vom Frust über Störfaktoren im Bildungswesen. Auch EduPlaces möchte ein solches Problem lösen. „Wir wollen die Zugangshürde zu digitalen Angeboten senken“, erklärt Jens Erler. Bei EduPlaces handelt es sich daher um eine für Schulen kostenlose Online-Plattform, über die Anbieter von Lern-Apps ihre Anwendungen vermarkten können. Die Vorteile für Lehrkräfte laut Erler: Dank Single-Sign-on haben Lehrkräfte mit nur einer Anmeldung Zugriff auf alle bei EduPlaces registrierten Angebote – das spare Zeit.
„Lehrerinnen und Lehrer sind offen für Empfehlungen von anderen Lehrkräften“
Doch die Frage bleibt: Wie lassen sich Lehrer:innen vom jeweiligen Mehrwert eines Produkts überzeugen? Experte Priboschek empfiehlt, praktische Erfahrungen aus der Praxis nachvollziehbar zu kommunizieren. „Lehrerinnen und Lehrer sind offen für Empfehlungen von anderen Lehrkräften“, so die Erfahrung des Leiters der Kommunikationsagentur. Best Practice Beispiele aus Schulen, an denen das Produkt bereits zum Einsatz kommt, oder Testimonials von Lehrenden, die es nutzen, seien wirksame Möglichkeiten, das Interesse von Lehrkräften zu wecken.
Diesen Eindruck hat auch Sozialpädagogin Isabelle Hermannstädter. Sie berät EdTechs in pädagogischen Fragen und ist überzeugt: Eine Lehrkraft im EdTech-Team ist wichtig. „Das schafft sehr großes Vertrauen“ bei anderen Pädagog:innen und führe schließlich auch zu einer „Offenheit, die Produkte einzubinden“.
In Österreich spielt Lehrer-Feedback sogar eine entscheidende Rolle, um das Gütesiegel für Lern-Apps des österreichischen Bundesbildungsministeriums zu erhalten. Dieses soll Lehrkräften Orientierung bieten, welche digitalen Lernanwendungen sich für den Unterricht eignen. Das heißt unter anderem, welche die Datenschutzvoraussetzungen erfüllen sowie den pädagogischen und didaktischen Ansprüchen entsprechen.
„Der Fokus des Zertifizierungsprozess liegt auch auf der praktischen Tauglichkeit“, sagt Christopher Lober von der gemeinnützigen OeAD GmbH, die sich für die Zertifizierung verantwortlich zeichnet. Aus diesem Grund testen Lehrkräfte auf freiwilliger Basis die Lern-Apps, die sich um eine Zertifizierung bewerben und die Grundvoraussetzungen für den Prozess erfüllen, „in echten Unterrichtssituationen“ beziehungsweise „begleitend zum Unterricht“. Ihre Evaluation anhand eines vorgegebenen Kriterienrasters entscheidet, ob eine Lern-App den Ansprüchen des Gütesiegels entspricht.
Die Herausforderung: Ein Produkt, mehrere Zielgruppen
Die Stimme der Lehrkraft – sie ist zentral, um am Bildungsmarkt zu bestehen. Das wird im Laufe des Konferenztages immer wieder deutlich. Allein entscheidend ist sie allerdings nicht: Überzeugt werden müssen auch Schulleiter und Schulträger oder Verantwortliche auf politischer Ebene. Jede dieser Zielgruppen stellt eine individuelle Herausforderung ans Marketing. Hinzu kommt, dass auch Haltung und zur Verfügung stehende Mittel von verschiedenen Faktoren abhängig seien, wie EdTech-Verbandsvorsitzende Hagen erklärt: vom Bundesland, von der jeweiligen Region, der Schulform und auch vom Schulfach. „Den deutschen Bildungsmarkt“, so Hagen, „den gibt es nicht. Das ist eine sehr grobe Vereinfachung.“
Trotz dieser anspruchsvollen Ausgangslage, die der deutsche Bildungsmarkt mit sich bringt, ist die Stimmung auf dem EdTech Next Summit optimistisch – und nicht nur dort, auch in der gesamten Branche. „Es herrscht Goldgräberstimmung“, sagt Eduvation-Chef Tobias Himmerich, dank Startchancen-Programm und anstehendem Digitalpakt 2.0.
Die sich daraus ergebenden Chancen für EdTechs sieht auch Kommunikationsagenturchef Priboschek und betont besonders die Bedeutung des Chancenbudgets, das zum Startchancen-Programm gehört und über das Schulen eigenständig Unterstützungsleistungen einkaufen können. Aber er mahnt, sich nicht vom Eindruck täuschen zu lassen, das Programm laufe nur langsam an – und die Unternehmen könnten sich Zeit damit lassen, ihre Botschaften zu übermitteln. „Im Moment laufen schon die Entscheidungsprozesse in den Schulen, wie sie das Geld ausgeben möchten.“
Seine Botschaft an die EdTech-Unternehmen ist daher klar: „Seien Sie schnell – und schnell heißt, handeln Sie jetzt.“ Anna Hückelheim, Agentur für Bildungsjournalismus
Ja, wenn man was vom Kuchen abhaben möchte, muss man sich beeilen….
Cool, dass man auf die wahnsinns Idee kommt, Lehrkräfte mit einzubeziehen….mega….
Taj, aber wie kommt man an die Kontaktdaten der Lehrkräfte, um sie direkt anzusprechen und sie von dem Produkt zu überzeugen? Lobbyisten wissen da bestimmt Rat….
Euphorische Goldgräberstimmung auf dem Gipfel, wie toll ist das denn.
Bei uns an der Basis eher “Krone der Erschöpfung” mit riesigen Diskrepanzen zwischen Ansprüchen und schulischen Realitäten.
Digitale Angebote, welche die fachliche Qualität von MINT-Unterricht und eine leistungsaffine Lern- und Anstrengungskultur zielführend fördern, sind mir sehr wenige untergekommen.
Digitale Tools z.T. von Lehrkräften, die didaktisch und fachlich von hoher Qualität sind, habe ich mit meinen SuS genutzt oder diese für die häusliche Lernarbeit empfohlen.
“Och, das ist so anspruchsvoll, zu viele Fachbegriffe und anstrengend, wie ihr oller Unterricht. Gibt’s nicht was zum Spielen oder Ankreuzeln.”
Ich hab da keine Fragen mehr. Für mich gibt’s dann “Schnurz-Egal” von Ratiopharm. Hauptsache billig – Wirkstoff austauschbar, wie so vieles im deutschen Bildungssystem.
Digital so bunt, animiert und toll,
fürs Lernen gar nicht wundervoll.
Manche Schüler lieben mehr das Zocken,
fachlicher Anspruch haut sie aus den Socken.
Ob oldschool-analog oder visionär-digital,
Forderung und Anstrengung bleiben Qual.
Das Dauer-Gaming wirkt vertrackt
und fachlich wird dann abgekackt. (Schülersprache)
Der “Prüfungsschock” ist schnell überwunden,
die Schuldigen sind sofort gefunden.
Ich bin IT-Lehrer und nutze den PC sehr oft, aber ich nutze keine digitale Lösung, die mir mehr Arbeit macht als die analoge Lösung! Und die digitale Lösung muss mir zusätzlich noch einen Mehrwert bringen! Und sie muss kostenlos sein für mich und die Schüler!
Bisher noch keinerlei Lösung gefunden, die alle Bedingungen erfüllt. Also nutze ich diesen Quatsch auch nicht.
Testimonial: Ich hab vor einer Woche bei einem Online-Auktionshaus so ein Englisch -Übungsheft (Grundschule ) in gutem Zustand erstanden und dem Nachwuchs ausgehändigt, der es ganz vergnügt mit einem Buntstift ausfüllt und möglicherweise sogar noch die beiliegende CD anhört. Eine ganz wunderbare Startchance.