MÖNCHENGLADBACH. Für eine zuckerkranke Schülerin endet eine Studienfahrt mit dem Tod. Die Lehrerinnen wussten nichts von der Erkrankung und halfen nicht, als es dem Kind immer schlechter ging. Sie hätten sich informieren müssen, so das Gericht – und zwar schriftlich. Deshalb wurden sie wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig (die Lehrerinnen legten Revision ein). Trotzdem legt der Vater jetzt mit einer Schadenersatzklage nach.
Der Vater der auf einer Klassenfahrt gestorbenen Schülerin Emily ist noch nicht fertig mit der Aufarbeitung: Sein Anwalt fordert nun Schmerzensgeld und ein sogenanntes Hinterbliebenengeld für den Vater. Dies berichtet der „Spiegel“.
Die Lehrerinnen sind Beamtinnen des Landes Nordrhein-Westfalen. Und so fordert der Anwalt die Bezirksregierung Düsseldorf und die NRW-Schulministerin Dorothee Feller als Dienstherrin der beiden Lehrkräfte zur Zahlung auf. Noch immer habe der Vater den „so fahrlässig verursachten und vermeidbaren Tod“ seines Kindes nicht verarbeitet, so der Anwalt. Das Schmerzensgeld solle in eine „Emily-Diabetes-Stiftung“ fließen, die der Vater gegründet hat. Die Stiftung widme sich der Aufklärung und Sensibilisierung für die Diabeteserkrankung, insbesondere im schulischen Umfeld.
Schulministerin Dorothee Feller (CDU) erklärt laut „Spiegel“-Bericht, der Tod von Emily sei ein „furchtbares Ereignis“. „Es ist schwer zu ertragen, dass ein Kind auf einer Klassenfahrt sein Leben verliert, meine Gedanken sind vor allen Dingen bei den Eltern von Emily.“ Das Land werde in diesem Fall von der Bezirksregierung Düsseldorf vertreten. Eine Sprecherin teilte mit, die Bezirksregierung Düsseldorf könne derzeit keine Stellungnahme abgeben, da das Urteil gegen die beiden Lehrerinnen noch nicht rechtskräftig sei.
Das könnte nach Angaben des Bundesgerichtshofes in einigen Wochen jedoch der Fall sein. Tatsächlich liegt bereits eine Einschätzung des Generalbundesanwalts vor: Er beantragt einem Bericht der „Rheinischen Post“ zufolge, die Revisionen der beiden Lehrerinnen als unbegründet zu verwerfen.
Der Fall: Nach dem Tod einer Schülerin bei einer Studienfahrt im Juni 2019 verurteilte das Landgericht Mönchengladbach im Februar zwei Lehrerinnen wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu Geldstrafen. Eine 60 Jahre alte Pädagogin erhielt eine Geldstrafe von 23.400 Euro. Die 34-jährige Mitangeklagte wurde zu 7.200 Euro verurteilt. Wegen der langen Verfahrensdauer gilt ein geringer Teil der Beträge als vollstreckt.
Die Lehrerinnen sollen sich vor der von ihnen betreuten mehrtägigen Fahrt nach London nicht schriftlich über die Vorerkrankungen der teilnehmenden 60 bis 70 Schüler erkundigt haben. Denn dann hätten sie gewusst, dass die 13-jährige Emily seit Jahren Diabetikerin war, die regelmäßig Insulin spritzen musste. Auch das Mädchen und ihre Eltern haben den Angaben zufolge nicht auf die Erkrankung hingewiesen.
Der Zustand des Kindes hatte sich auf der Fahrt stetig verschlechtert, worüber mitreisende Schüler die Lehrerinnen informiert hatten. Bei entsprechender Kenntnis hätten die Pädagoginnen anders auf die Beschwerden reagieren und eine frühzeitige Aufnahme in ein Krankenhaus veranlassen müssen, so die Anklage. Das hätte laut Gutachten den Tod der Schülerin wohl verhindert.
„Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an diese Fahrt denke. Ich weiß nicht, wie ich den Beruf noch ausüben kann“
Am Abreisetag kam das Mädchen in ein Krankenhaus, wo es einen Tag später an den Folgen von Insulinmangel starb. Laut Anklage soll die 13-Jährige auf der Fahrt die Blutzuckermessungen und Zugabe von Insulin vernachlässigt haben. Ursächlich für den Tod der Schülerin war ein Herzinfarkt, hervorgerufen durch eine schwere Form der Stoffwechselentgleisung, die besonders Menschen mit Typ-1-Diabetes betrifft. Dabei übersäuert der Körper infolge von Insulinmangel, und muss schnell ärztlich behandelt werden.
Die Einlieferung in die Klinik erfolgte am Samstag, doch laut einer Sachverständigen, so berichtete die „Rheinische Post“, sei Emily bereits am Donnerstagabend in eine schwere Ketoazidose, als eine akute Komplikation, geraten. Diese war verbunden mit Bauchschmerzen und Erbrechen und sei wohl dadurch fehlgedeutet worden, dass es auch einem anderen Mädchen nach einem chinesischen Essen schlecht geworden sei.
Zur Frage, wann man Emily noch habe retten können, antwortete die Sachverständige dem Bericht zufolge: „Zu jedem Zeitpunkt bis Samstagmorgen, da ist ihr Zustand bereits dramatisch gewesen.“ Bereits am Freitag sei Emily jedoch schon nicht mehr in der Lage gewesen, adäquat zu reagieren.
Sie sei seit dem Tod Emilys „am Boden zerstört“ und habe psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen, so hatte die 34-jährige Lehrerin im Verfahren erklärt. „Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht an diese Fahrt denke. Ich weiß nicht, wie ich den Beruf noch ausüben kann.“ An den Vater Emilys gewandt, der als Nebenkläger als Prozess verfolgt, sagt sie: „Es tut mir unfassbar leid, dass Emily verstorben ist.“
Die 60-jährige Lehrerin erklärte laut Bericht, an einem Infoabend mündlich gesundheitliche Besonderheiten abgefragt zu haben, eine schriftliche Abfrage sei nicht erfolgt. Der Moment, als sie Klassenlehrer über die mitreisenden Kinder informiert habe, sei der gewesen sei, „in dem sie hätten auf mich zukommen können, um mich über Emilys Erkrankung zu informieren“.
Der Vorsitzende Richter gab den Lehrerinnen den Hinweis, so die „Rheinische Post“, dass sie mit ihren Einlassungen ein Geständnis abgelegt hätten – womöglich ohne es zu ahnen. Beide hatten eingeräumt, keine schriftlichen Abfragen getätigt und somit nicht sorgfaltspflichtgemäß gehandelt zu haben. Als sie während der Fahrt am Freitagmorgen erfahren hätten, dass es Emily „übel“ sei, hätten sie daher nichts unternommen, da sie keine Kenntnis von der Diabetes-Erkrankung gehabt hätten. Dadurch sei in diesem Fall eine Kausalität gegeben und eine Verurteilung möglich. News4teachers / mit Material der dpa