BERLIN. Was läuft im Lehramtsstudium schief, dass so viele junge Menschen im Verlauf von der Stange gehen? Der Brief der Mutter – selbst Lehrerin – einer Studentin lässt gleich mehrere Problemfelder erahnen: wenig auf die spätere Berufspraxis ausgerichtete Inhalte, kaum Förderung seitens der Hochschulen und eine offenbar desolate Bafög-Bürokratie.
Auf dem Weg von Studienbeginn bis zum Berufseinstieg gehen zu viele potenzielle Lehrkräfte verloren – trotz des herrschenden Personalmangels an Schulen. Darauf verwies unlängst eine Studie des Stifterverbandes. Demnach entscheiden sich vier von zehn angehenden Lehrerkräften im Verlauf ihres Studiums für eine andere Karriere (News4teachers berichtete). Doch warum? Dazu liefert die Untersuchung keine Antworten.
Der an die Redaktion von News4teachers adressierte Brief der Mutter einer jungen Frau, die kurz davor steht, ihr Lehramtsstudium abzubrechen, bringt womöglich Licht ins Dunkel. Er wirft nämlich die Frage auf, ob die Ansprüche der Hochschulen in der Lehramtsausbildung stets wirklich mit dem Beruf einer Lehrkraft zu tun haben – oder ob womöglich ein akademischer Dünkel gepflegt wird, der mit der Aufgabe, künftiges Personal für Schulen auszubilden, nicht mehr viel zu tun hat? Auch die Bedingungen, unter denen junge Menschen studierten müssen, kommen zur Sprache. Die Autorin ist der Redaktion namentlich bekannt.
Das Schreiben im Wortlaut: “Unsere Tochter (20) hat einen Abiturdurchschnitt von 1,6 erreicht. Leistungskurse in Englisch und Deutsch mit 15 Punkten abgeschlossen, beide Eltern sind Lehrkräfte. Ihr Berufswunsch war schon immer Lehrerin. Sie ging mit 19 motiviert an die Uni, um Lehramt zu studieren, Klassenstufe 5 bis 10. Sie möchte also dorthin, wo der Bedarf am größten ist.
Gleich im ersten Semster war ein Kurs zum Thema ‘Englische Literatur des Mittelalters’ zu belegen. Der war verpflichtend. In keinem Rahmenlehrplan Englisch der Klassen 5 bis 10 ist das jemals gefragt (Seminare zu Themen wie Lernpsychologie, Methodik, Didaktik, Pädagogik sind übrigens nicht verpflichtend im 1. Semester). Am Ende des Semesters musste dann eine Klausur geschrieben werden zur Mittelaterliteratur Englands. Im Vorfeld gab eine keine Transparenz zu den Anforderungen und zum Erwartungshorizont. Unsere Tochter ist durchgefallen.
“Ein gefestigter Berufswunsch ist damit geplatzt! Nach knapp 4 Monaten Seminarzeit”
Drei Wochen später stand die Wiederholungsklausur an – ohne die Möglichkeit einer Konsultation zwischendrin. Ergebnis: Wieder durchgefallen. Und damit wars das mit dem Fach Englisch! Keine Chance mehr, Englisch-Lehrerin zu werden. Nach dem 1. Semester! Die Professorin hatte unter die Klausur geschrieben: ‘English seems not to be your cup of tea.’ Das tat besonders weh.
Ein gefestigter Berufswunsch ist damit geplatzt! Nach knapp 4 Monaten Seminarzeit. Wenn ich jetzt noch darlege, dass zu diesem Zeitpunkt auch Existenz-Sorgen unsere Tochter beschäftigten – wie unzählige andere Student*innen: der Bafög-Antrag, der sofort Anfang Oktober beim Studierendenwerk gestellt wurde, führte erst im darauffolgenden Juli (!) zu Bafögzahlungen! Und das auch erst nach Drohung mit Untätigkeitsklage!
Da aber Bafög immer nur für ein Jahr bewilligt wird und durch das Durchfallen ein Fächerwechsel nötig wurde und dieser nur zum Wintersemester möglich ist und Bafög- Anträge mit Fächerwechsel besonders gründlich und lange geprüft werden, gibt es jetzt, im Februar, auf den Antrag vom September noch keinen Bescheid – also 0 Euro! Seit 6 Monaten! Natürlich fangen wir als Eltern das irgendwie auf. Seit anderthalb Jahren. Mit drei weiteren Kindern. Und natürlich geht unsere Tochter arbeiten, weil sie uns nicht auf der Tasche liegen will. Weil sie unabhängig sein möchte. Und natürlich ist es eine Doppelbelastung – Vollzeitstudium und Arbeit. Aber sie denkt schon über Alternativen nach.
“Wenn die Universitäten und die Bafög-Ämter sich nicht zeitnah verantwortungsvoll und zeitgemäß um ihre Aufgaben kümmern, wird es weiterhin schlecht aussehen mit dem Lehrkräfte-Nachwuchs!”
Unsere Tochter ist kein Einzelfall. Zig motivierte junge Menschen brechen ihr Lehramtsstudium ab. Wenn nicht zeitnah die Universitäten und die Bafög-Ämter (die ja Bundesmittel und nicht ihr privates Geld vergeben sollen) sich verantwortungsvoll und zeitgemäß um ihre Aufgaben kümmern, wird es weiterhin schlecht aussehen mit dem Lehrkräfte-Nachwuchs! Und damit für das Wertvollste, was wir als Gesellschaft haben: für unsere Kinder und Jugendlichen.
Kein Wunder, wo wir bei PISA liegen. Kein Wunder, dass Hattie und viele andere Expert*innen sich kritisch zum Bildungssystem in Deutschland äußern. Und erstaunlich, dass wir es alle wissen und uns ins so vielen Ländern abschauen könnten, wie es besser geht… und sich trotzdem nichts bewegt. Trotzdem wollen zwei weitere unserer insgesamt vier Kinder auch Lehrkräfte werden. Wir werden sie dabei unterstützen, so gut wir können.” News4teachers
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