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„Eine Messe ist keine Zensurbehörde“: Die AfD ist in diesem Jahr Hauptaussteller auf der didacta – Leitthema: Demokratiebildung

STUTTGART. Bis zu 100.000 Menschen, die meisten davon Lehrkräfte und Kita-Fachkräfte, werden auf der didacta, die übernächste Woche in Stuttgart stattfindet erwartet. Die Besucherinnen und Besucher werden in diesem Jahr von einem besonderen Hauptaussteller überrascht: Die AfD nutzt Europas größte Bildungsmesse, um in der heißesten Phase des Bundestagswahlkampfes als Hauptaussteller für sich zu werben. „Eine Messe ist keine Zensurbehörde“, so heißt es lapidar aus Reihen der Veranstalter.

Das Rahmenprogramm der didacta rankt sich in diesem Jahr vor allem um das Thema “Demokratiebildung” – ausgerechnet (Foto von der didacta 2023 in Stuttgart). Foto: Landesmesse Stuttgart GmbH und Co. KG

Wer im Ausstellerverzeichnis der übernächste Woche in Stuttgart beginnenden didacta sucht, wird schnell fündig: Recht weit vorne findet sich in der nach alphabetischer Ordnung sortierten Liste die „Alternative für Deutschland, Landesverband Baden-Württemberg“, Zusatz: „Hauptaussteller“. Was macht eine Partei, zumal eine, die vom Verfassungsschutz offiziell als „rechtsextremer Verdachtsfall“ geführt wird, auf Europas größter Bildungsmesse?

Noch grotesker: Leitthema der didacta in diesem Jahr ist Demokratiebildung. „Die Bedeutung von politischer Bildung und Demokratieförderung wächst – gerade in Zeiten demokratiefeindlicher Tendenzen und politischer Polarisierung. Was können Kitas, Schulen und berufliche Bildung leisten, um dem entgegenzuwirken?“, so werben die Veranstalter für ihr Leitthema, das mit zahlreichen Diskussionsrunden und Workshops inhaltlich abgebildet werden soll. Wie geht das damit zusammen, mutmaßlich Rechtsextremen die Bühne zu überlassen?

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„Die didacta steht mit dem diesjährigen Leitthema Demokratiebildung für ein demokratisches, vielfältiges und tolerantes Miteinander“

Der didacta-Verband hat an seine Mitglieder, Unternehmen der Bildungswirtschaft, eine Erklärung herausgegeben, die News4teachers vorliegt. „In den vergangenen Tagen haben uns Fragen und Kommentare bezüglich der Präsenz von politischen Parteien auf der didacta 2025 erreicht. Im besonderen Fokus: Warum lässt der Didacta Verband es zu, dass die Partei AfD einen Messestand auf der didacta in Stuttgart haben wird?“, so heißt es darin.

Und weiter: „Die didacta steht mit dem diesjährigen Leitthema Demokratiebildung für ein demokratisches, vielfältiges und tolerantes Miteinander. Der Didacta Verband ist ideeller Träger der didacta. Er steht für den Zugang zu bester Bildung und für ein demokratisches, vielfältiges und tolerantes Miteinander.“ Veranstalter sei offiziell allerdings die Landesmesse Stuttgart. „Deren Teilnahmebedingungen lassen die Ablehnung einer politischen Partei oder eines Landesverbands einer Partei als Aussteller nicht zu.“

Der Verband zitiert die Messe: „Als Unternehmen in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft ist die Messe Stuttgart rechtlich verpflichtet, Ausstellerinnen und Aussteller zuzulassen, solange die gezeigten Inhalte nicht gegen Gesetze verstoßen. Parteien mit parlamentarischer Repräsentation haben so grundsätzlich die Möglichkeit, sich zu präsentieren.“

Das wirft Fragen auf: Was hat die AfD mit der Bildungspraxis zu tun? Hat dann jede nicht verbotene Organisation das Recht, sich auf einer Fachmesse zu präsentieren – auch zum Beispiel eine Sekte? Zahlt die AfD für ihren Stand (der reguläre Preis ist hoch) oder bekommt sie Sonderkonditionen eingeräumt? Wurde die AfD eigens als Aussteller angeworben? Ist sie im Rahmenprogramm zum Thema „Demokratiebildung” vertreten? Weder bei der Messe Stuttgart noch beim Didacta Verband war heute jemand telefonisch erreichbar.

Der „Volksverpetzer“ zitiert einen Sprecher der Messe Stuttgart von gestern, die AfD sei „demokratisch gewählt“. Und: „Eine Messe ist keine Zensurbehörde.“ Die von der AfD „gezeigten Inhalte und Produkte“ würden „nicht gegen Gesetze verstoßen“ und seien auch „mit der Nomenklatur der Veranstaltung vereinbar“. Woher weiß die Messe das im Vorhinein?

Offensichtlich schwante den Veranstaltern, dass es heikel sein könnte, die Bildungsmesse von mutmaßlich Rechtsextremen parteipolitisch instrumentalisieren zu lassen, schon gar auf dem Höhepunkt des Bundestagswahlkampfes. „Um eine größere politische Vielfalt zu gewährleisten, wurde nach Kenntnis der Teilnahme der AfD allen Parteien angeboten, auf der didacta mit einem Messestand vertreten zu sein. Dieses Angebot haben Stand heute die CDU und Bündnis 90/ Die Grünen angenommen.“ Und weiter: „Es gehört zum Demokratieverständnis des Didacta Verbands, dass alle zur Bundestagswahl zugelassenen Parteien die gleichen Rechte erhalten. Gemeinsam möchten wir ein Zeichen für gelebte Demokratie setzen und die didacta 2025 als Plattform weiterhin für den demokratischen Diskurs nutzen.“

„Fakt ist: Das Wahlprogramm der A*D verstößt auch im Bildungsbereich gegen zentrale Werte des Grundgesetzes“

Also alles in Butter? Keineswegs. „False balance: Die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestufte A*D-BaWü darf ihre demokratiefeindlichen Positionen vom 11. bis 15.02. an ihrem Stand auf der didacta spreaden“, so schreibt Nora Oehmichen, Vorsitzende der Teachers for Future, auf Linkedin. „Fakt ist: Das Wahlprogramm der A*D verstößt auch im Bildungsbereich gegen zentrale Werte des Grundgesetzes – etwa im Bereich Geschlechtergerechtigkeit (Art. 3GG) oder dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen (Art. 20aGG). Vom Recht auf Asyl ganz zu schweigen. Die A*D versucht immer wieder, über Meldeportale wie “Neutrale Lehrer” Kolleg:innen einzuschüchtern.“

Oehmichen betont: „Auch die didacta hängt ganz offenbar dem Mythos Neutralität noch nach. (…) Als (verbeamtete) Lehrkräfte sind wir dem Diensteid verpflichtet. In der baden-württembergischen Formel bedeutet das nicht nur, dass wir das Grundgesetz achten, sondern sogar dazu aufgerufen sind, es zu verteidigen. Das wäre dann jetzt wohl an der Zeit.“

„Wenn der Verband sich dafür entscheidet, die AfD zu einem Teil davon zu machen, sind wir keiner mehr“

Auch unter den Ausstellern regt sich Unmut – und mehr. Robert Reuther, Gründer und Chef der 45minuten GmbH, postet auf Linkedin: „Ich sag euch ehrlich, wir haben letzte Nacht nicht viel geschlafen. Für uns als kleines Bildungsstartup sind Kosten für ein 5-tägiges Event mit Stand nicht ‚mal eben so‘ gestemmt. Wir haben uns tolle Aktionen mit Bildungsinfluencer:innen aus dem Bildungsbereich überlegt, die viele kennen und sich ständig für genau diese Themen einsetzen: #Vielfalt. Wenn ich aber von #niewiederistjetzt und #gemeinsamgegenrechts lese, ist das vielleicht jetzt der Schritt zur richtigen Zeit. Die Didacta sollte meiner Meinung nach ein Ort für gelebte Demokratie sein. Wenn der Verband sich dafür entscheidet, die AfD zu einem Teil davon zu machen, sind wir keiner mehr. Ich hoffe, dass der Didacta Verband e. V. hier umdenkt/etwas bewegen kann – ansonsten sind wir raus.“

Auch im Verband selbst regt sich Widerspruch. Gerhard Zupp von der Deutschen  Gesellschaft für Sprachheilpädagogik, bis zum vergangenen Jahr im Vorstand, empört sich auf Linkedin: „Einer Partei auf der Bildungsmesse didacta zu ermöglichen, sich und ihre demokratiefeindlichen Ansichten zu verbreiten, ist ungeheuerlich! Eine solche Maßnahme unterstützt die Gesellschaftsfähigkeit rechten und rechtspopulistischen Gedankenguts! Antidemokratische Positionen gehören nicht auf eine Bildungsmesse!“ News4teachers

Die Psychologin und Demokratie-Pädagogin Marina Weisband ist Bildungsbotschafterin der didacta 2025. Hier geht es zu einem Interview, das News4teachers im vergangenen September zum Thema AfD mit ihr führte: 

“Wir brauchen einen Wandel der Schulkultur”: Marina Weisband über die Erfolge der AfD bei jungen Wählerinnen und Wählern

 

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