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Gewalt gegen Lehrkräfte: Ministerium will Hilfestellung bieten – und rät zur Flucht

DÜSSELDORF. Lehrkräfte erleben im Schulalltag Bedrohung, Mobbing und sogar körperliche Angriffe, in den meisten Fällen durch Schüler*innen. Das NRW-Schulministerium will Schulen im Umgang mit Gewaltvorfällen stärken – mit einem Leitfaden. Was auf den ersten Blick wie ein wichtiger Schritt wirkt, offenbart bei näherem Hinsehen wenig Neues und wenig Hilfreiches für den Ernstfall.

Letzter Ausweg: Flucht, die empfiehlt das Schulministerium Lehrkräften im Falle eines Angriffs durch einen Schüler. Symbolfoto: Shutterstock/KNasyrov

„Gewalttaten gegen Lehrkräfte sind keine Einzelfälle“, sagte Anfang des Jahres Gerhard Brand. Der Bundeschef des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) bezog sich auf die eigens in Auftrag gegebene Umfrage unter Schulleitungen in Deutschland. 60 Prozent der Befragten hatten im Rahmen dieser berichtet, dass körperliche und psychische Gewalt an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren eher zugenommen hatten (News4teachers berichtete). Brand forderte die Länder in ihrer Rolle als Dienstherren auf, betroffene Lehrkräfte besser zu unterstützen.

Das Schulministerium in Nordrhein-Westfalen will dieser Verantwortung nun nachkommen. Der gerade herausgegebene Leitfaden „Sicher handeln bei Gewalterfahrungen von Beschäftigten an Schulen“ soll daher Lehrkräften und Schulleitungen konkrete Orientierung in Fällen physischer und psychischer Gewalt bieten. Auf 15 Seiten finden sie Empfehlungen, wie sie sich in Gewaltsituationen verhalten und was sie bei der Aufarbeitung beachten sollen. „Schulen sind ein Spiegelbild unserer Gesellschaft, was bedeutet, dass wir es leider auch im Schulalltag mit Gewalterfahrungen zu tun haben“, erklärt Schulministerin Dorothee Feller (CDU) die Hintergründe der Handreichung.

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„An unseren Schulen ist kein Platz für Gewalt“

Allerdings: der Umgang mit Gewaltvorfällen im schulischen Kontext stellt eine Herausforderung dar, wie das Schulministerium zu Beginn ihres Leitfadens einräumt. „Angesichts vielfältiger Formen von Gewalt und unterschiedlicher Verhaltensmuster von Schülerinnen und Schülern ist es nicht einfach, im konkreten Fall angemessen, das heißt konsequent, rechtssicher aber insbesondere auch verhältnismäßig auf Übergriffe zu reagieren.“ Hier will das Ministerium Rechtssicherheit schaffen.

„An unseren Schulen ist kein Platz für Gewalt, Schulen müssen sichere Orte sein. Wir lassen Betroffene nicht allein“, kündigte Schulministerin Feller bei Veröffentlichung der Handreichung an. Die Pressemitteilung verspricht „Interventionsmöglichkeiten“ und „klare Anleitungen für Konfliktlösungen“. Wer nun jedoch einen großen Wurf erwartet, dürfte vom Ergebnis enttäuscht sein. Ein Blick in die Handreichung zeigt: Neu sind die Empfehlungen nicht, lediglich übersichtlich zusammengetragen.

„Nutzen Sie Halt – Stopp-Rufe mit einer energischen Körpersprache.“

So rät das Schulministerium Lehrkräften im Falle eines Angriffs durch eine andere Person zunächst dazu, verbal deutlich zu machen, dass sie diesen Übergriff nicht dulden. Als Handlungsempfehlung steht dort: „Nutzen Sie Halt – Stopp-Rufe mit einer energischen Körpersprache.“ Im Nächsten Schritt sollen Betroffene verbal auf sich aufmerksam machen, damit Dritte eingreifen können. Lehrkräfte sollen auf die „im Schutzkonzept getroffenen Vereinbarungen“ für ihre Schule zurückgreifen.

Um einen Angriff abzuwehren, sollen sie fremde Hilfe zulassen – auch von Schüler*innen. Schließlich empfiehlt das Ministerium zur Flucht: „Verlassen Sie das Gesichtsfeld des Angreifers, provozieren Sie nicht und vermeiden Sie jede Eskalation.“ Wie Lehrkräfte, die sich bereits in einer Bedrohungslage befinden, das genau Bewerkstelligen sollen, bleibt der eigenen Fantasie überlassen. Im nächsten Schritt heißt es lediglich: „Versuchen Sie den Übergriff ohne Eigengefährdung zu beenden. Holen Sie sich Hilfe.“ Betroffene Lehrer*innen sollen selbst die Schulleitung informieren oder Kolleg*innen darum bitten.

Mit einem Gewaltvorfall rechtssicher umgehen

Ob diese Schritt-für-Schritt-Anleitung in der Realität wirklich hilft, wenn ein wütender Schüler auf eine Lehrkraft losgeht, scheint mehr als fraglich. Wie gut also, dass die Handreichung auch helfen soll, „nach einem Übergriff konsequent und zugleich rechtssicher zu reagieren“. „In allen Fällen von Gewalterfahrungen gilt, dass Gewalt und Aggressionen gegenüber Beschäftigten an Schulen konsequent nachgegangen und am Ende auch sanktioniert werden muss“, so schreibt das Schulministerium in der Einleitung des Leitfadens. Es gebe eine „rote Linie“, die nicht überschritten werden dürfe. „Schule und Schulaufsicht müssen im Sinne eines gemeinsamen Verständnisses klar kommunizieren, wo die Grenzen liegen“.

Einige Grenzen sind bereits festgelegt: Im Falle einer Straftat, etwa gefährlicher Körperverletzung oder erheblicher Nötigung, muss „wegen der Schwere der Tat eine Meldung an die Polizei erfolgen“. Dagegen bestehe bei Beleidigungen, einfacher Körperverletzung, Sachbeschädigung am Eigentum oder einer unerheblichen Bedrohung oder Nötigung kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. In solchen Situationen müssen sich die betroffene Lehrkraft und die Schulleitung daher abstimmen, wie sie vorgehen wollen. „Dazu gehört u.a., ob bei der betroffenen Person der Wunsch besteht, einen Strafantrag zu stellen, obwohl keine Schwere der Tat vorliegt“. Alternativ können „pädagogische Maßnahmen als ausreichend erachtet werden“, um mit der Situation umzugehen. Im letztgenannten Fall stehen Schulen erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen zur Verfügung. „Entscheidend ist, dass die Maßnahme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügt.“ Was das bedeutet, erklärt der Leitfaden ausführlich.

Ganz wichtig: die Verhältnismäßigkeit

Erzieherische Einwirkungen und Ordnungsmaßnahmen müssen demnach geeignet und erforderlich sein, „um das Bildungs- und Erziehungsziel zu erreichen“. Das heißt, „der Zweck darf nicht ebenso gut oder besser mit einer anderen, weniger einschneidenden Maßnahme erreicht werden können“. Außerdem müssen sie angemessen sein, also im Verhältnis zur Schwere des Fehlverhaltens stehen. Schulen müssen in diesem Zusammenhang die besonderen Umstände des Einzelfalls beachten. Neben der Schwere

Abschließend rät der Leitfaden zu einer konsequenten Umsetzung: Diese trage „maßgeblich dazu bei, Gewalt an Schulen entgegenzuwirken“. News4teachers

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