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„Der bestgeplante Unterricht bringt wenig, wenn die Beziehung nicht funktioniert“: Was eine gute Lehrkraft ausmacht – ein Interview

BERLIN. Kai Passchier unterrichtet an einer Schule in Ostfriesland (genauer: an der IGS Marienhafe-Moorhusen) – und zwar die Fächer Biologie, Mathematik und Physik. Normalerweise ist das nicht der Stoff, der Kinder und Jugendliche ins Schwärmen bringt. Bei Kai Passchier ist das anders: Er wurde auf Vorschlag seiner ehemaligen Schülerinnen und Schüler mit dem Deutschen Lehrkräftepreis ausgezeichnet. Passchier, der im Unterricht gerne zum Inhalt passende T-Shirts trägt („Think like a proton and stay positive“), war zur Preisverleihung mit einem besonderen Aufdruck erschienen: „Die Zukunft der Welt – sitzt in meinem Klassenzimmer.“ Wir sprachen mit ihm darüber, was für ihn eine gute Schule ausmacht.

“Ich selbst hatte eine sehr schöne Schulzeit und wünsche mir das auch für meine Schülerinnen und Schüler”: Lehrer Kai Passchier – Preisträger des Deutschen Lehrkräftepreises 2023. Foto: Deutscher Lehrkräftepreis

News4teachers: Was bedeutet Ihnen die Beziehung zu Ihren Schülerinnen und Schülern?

Kai Passchier: Diese Beziehung ist mir enorm wichtig. Ich bin fest davon überzeugt, dass selbst der bestgeplante und didaktisch durchdachteste Unterricht wenig bringt, wenn die Beziehung zwischen Lehrkraft und Schülerschaft nicht funktioniert. Wenn die Schüler*innen keine Motivation haben, nehmen sie nichts mit. Habe ich hingegen ein gutes Verhältnis zu ihnen, dann ist der Lernertrag auch an Tagen höher, an denen der Unterricht vielleicht nicht optimal läuft, weil ich beispielsweise viel mit Konfliktlösung in den Pausen beschäftigt war. Mir ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler sich in der Schule wohlfühlen und sie als einen positiven Ort erleben, der ihre persönliche und berufliche Entwicklung fördert. Ich selbst hatte eine sehr schöne Schulzeit und wünsche mir das auch für meine Schülerinnen und Schüler.

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News4teachers: Was tun Sie, um ein gutes Miteinander auf Augenhöhe zu schaffen?

Kai Passchier: Es ist wichtig, nicht nur auf schulische Leistungen zu achten. Ich nehme Kritik an meinem Unterricht nicht persönlich. Außerdem lege ich großen Wert auf Transparenz. Meine Notengebung und Entscheidungen erkläre ich offen. Ich reflektiere mein eigenes Handeln und gestehe Fehler ein. Das erwarte ich schließlich auch von meinen Schülerinnen und Schülern.Darüber hinaus ist Gerechtigkeit essenziell. Entscheidungen sollten immer begründet und individuell angepasst sein. Ich erkläre auch ehrlich, warum bestimmte Inhalte unterrichtet werden. Manchmal sage ich: “Das steht im Kerncurriculum und wird in der Prüfung abgefragt, aber der Großteil von euch wird es wahrscheinlich nie wieder brauchen.” Diese Ehrlichkeit schätzen die Schülerinnen und Schüler. Sie merken, wenn eine Lehrkraft sich wirklich für sie einsetzt.

News4teachers: Was zeichnet aus Ihrer Sicht eine gute Lehrkraft und guten Unterricht aus?

Kai Passchier: Eine gute Lehrkraft sollte selbstkritisch sein und sich ständig hinterfragen. Niemand ist unfehlbar, und nur durch Reflexion kann man sich weiterentwickeln.

Guter Unterricht ist nicht nur am Kerncurriculum orientiert, sondern sollte vor allem Kompetenzen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler für ihre Zukunft brauchen. Ich bin ein großer Befürworter des 4K-Modells, das sich an den Anforderungen der modernen Arbeitswelt orientiert. Die vier Kernkompetenzen – Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken – versuche ich, in meinen Unterricht zu integrieren.

Deutscher Lehrkräftepreis - die neue Runde

Die Bewerbungsphase für den „Deutschen Lehrkräftepreis – Unterricht innovativ“ 2025 ist angelaufen. Machen Sie mit! Empfehlen Sie (als ehemaliger Schüler bzw. ehemalige Schülerin) Ihre frühere Lehrkraft! Würdigen Sie (als Kollegium) Ihre tolle Schulleitung! Oder bewerben Sie sich (als Lehrkräfte-Team) mit Ihrem innovativen Unterrichtskonzept! 

Gesucht werden engagierte Lehrkräfte, Lehrkräfte-Teams und vorbildliche Schulleitungen aller deutschen Schulformen (auch im Ausland). Schülerinnen und Schüler der Abschlussjahrgänge 2024/2025, Lehrkräfte-Teams und Kollegien können ihre Vorschläge bzw. Bewerbungen unter www.lehrkraeftepreis.de bis zum 30.6.2025 einreichen.

Über die Auswahl der Preisträgerinnen und Preisträger des „Deutschen Lehrkräftepreises – Unterricht innovativ“ entscheidet nach einer intensiven Gutachterphase eine hochkarätig besetzte Jury unter Vorsitz von Prof. Dr. David-S. Di Fuccia (Universität Kassel). Die Träger des Wettbewerbs, der Deutsche Philologenverband und die Heraeus Bildungsstiftung, wollen mit der Auszeichnung die Leistungen von Lehrkräften und Schulleitungen würdigen und in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rücken.

News4teachers: Haben Sie eine persönliche Vision oder ein Leitmotiv als Lehrkraft?

Kai Passchier: Mein Ziel ist es, Dinge stetig zu verbessern. Schon als Schüler wollte ich dazu beitragen, dass sich Systeme positiv weiterentwickeln. Das gilt für die Schule genauso wie für die Gesellschaft insgesamt. Ich versuche meinen Schülerinnen und Schülern mitzugeben, dass es sich lohnt, Verantwortung zu übernehmen und aktiv an Verbesserungen mitzuwirken. Wenn jeder versucht, seine Umgebung ein Stück besser zu machen, können wir gemeinsam viel erreichen.

News4teachers: In Ihrem Unterricht setzen Sie sich auch mit innovativen Konzepten auseinander und drehen unter anderem Lernvideos für Ihre Schüler*innen. Wie muss man sich diese Videos vorstellen und welche Themen behandeln Sie dort?

“Viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund haben großes Potenzial, das jedoch durch Sprachbarrieren gehemmt wird”

Kai Passchier: Ich produziere diese Lernvideos für alle meine Schülerinnen und Schüler, die Unterstützung benötigen. In der Sekundarstufe I wende ich mich beispielsweise an Lernende, die Schwierigkeiten in Mathematik auf grundlegender Ebene haben. Mein Ziel ist es, ihnen die Angst vor Mathematik zu nehmen und sie darauf vorzubereiten, ihre Abschlussprüfungen zu bestehen. Ich erstelle auch Erklärvideos zu Themen wie der kritischen und systematischen Auswertung von Daten oder anderen Inhalten, die den Schülerinnen und Schülern besondere Schwierigkeiten bereiten.

Bei meinen Schüler*innen mit Migrationshintergrund berücksichtige ich sprachliche Hürden, um diese Zielgruppe bestmöglich zu unterstützen. In diesen Fällen gehe ich gezielt auf die Fachsprache ein, gebe Tipps zu wichtigen Begriffen und erkläre, wie sie sich die entsprechenden Inhalte erschließen können.

Mir ist diese Unterstützung besonders wichtig, weil viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund großes Potenzial haben, das jedoch durch Sprachbarrieren gehemmt wird. Ein Beispiel aus meiner eigenen Klasse ist ein ukrainischer Schüler, der seit Beginn des Ukrainekrieges in Deutschland ist. Er möchte später Arzt werden und ist sehr engagiert – tatsächlich hat er derzeit die beste Rechtschreibung in meiner Klasse. Dennoch hat er aufgrund der Sprachbarriere Schwierigkeiten im naturwissenschaftlichen Unterricht, was sich negativ auf seine Leistungen auswirken könnte. Um dem entgegenzuwirken, erstelle ich für ihn gezielt Videos mit Erklärungen oder ermögliche ihm eine freie Projektarbeit, bei der er Inhalte in seiner Muttersprache erarbeiten und mir anschließend übersetzt präsentieren kann. So kann ich seine Leistungen fair bewerten, ohne dass die sprachliche Hürde seinen schulischen Erfolg beeinträchtigt.

News4teachers: Wie sieht ein solches Video dann konkret aus?

Kai Passchier: Das hängt vom jeweiligen Thema ab. Eine kurze Erklärung zu einer schwierigen Aufgabe dauert etwa fünf Minuten. Bei komplexeren Themen können die Videos auch bis zu 20 Minuten lang sein. Ich nutze dafür mein iPad und ein spezielles Programm, mit dem ich Inhalte ähnlich wie in einer Vorlesung präsentieren kann. Ich zeige die Aufgaben, setze Markierungen und verwende einen Laserpointer zur Verdeutlichung. Dabei achte ich darauf, die Inhalte kompakt, aber dennoch verständlich zu vermitteln. Anschließend stelle ich die Videos den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung oder lade sie schulintern bei YouTube hoch, falls die Datei zu groß für den direkten Versand ist.

News4teachers: Ihre Schülerinnen und Schüler loben Sie in der Begründung für die Nominierung auch für die vielen Projekte, mit denen Sie Ihren Unterricht gestalten…

Kai Passchier: Wenn es sich anbietet, versuche ich, im Unterricht projektorientierte Gruppen zu bilden, in denen die Schülerinnen und Schüler zusammenarbeiten, um ein konkretes Produkt zu erstellen. Das kann eine Präsentation sein, aber auch ein physisches Produkt, das sie selbst gebaut haben. Ich halte das für wichtig, da solche projektbasierten Arbeitsweisen in der Berufswelt immer relevanter werden.

Ein Beispiel ist das Projekt „Energieumwandler“. Die Schülerinnen und Schüler sollten sich in Gruppen selbstständig einen Energieumwandler überlegen, die Energiekette darstellen und Experimente durchführen, um den Wirkungsgrad zu berechnen. So lernen sie, wie viel Energie tatsächlich genutzt wird und wie viel verloren geht. Dieses Wissen hilft ihnen auch, gesellschaftliche Diskussionen, beispielsweise über E-Mobilität oder E-Fuels, besser einzuordnen.

Ein weiteres Projekt war eine Aufklärungskampagne zur aktiven und passiven Immunisierung. Die Schülerinnen und Schüler konnten sich eine Zielgruppe aussuchen und ein Medium gestalten, sei es ein Flyer, ein Video oder eine andere kreative Form. Ziel war es, medizinische Prozesse verständlich darzustellen und gleichzeitig eine ausgewogene Argumentation zu entwickeln.

“Gerade nach der Corona-Zeit musste vieles wiederbelebt werden, damit sich die Kinder und Jugendlichen wieder mit ihrer Schule identifizieren können”

News4teachers: Ehemalige Schülerinnen und Schüler schrieben auch über Sie: „Er brachte uns aber nicht nur den gewöhnlichen Pflichtstoff bei, sondern unternahm auch Exkurse in Themen wie künstliche Intelligenz.“ Für viele Lehrkräfte ist KI ein heikles Thema…

Kai Passchier: Ich verstehe die Diskussion, aber ich denke, man sollte sich an frühere Entwicklungen erinnern, zum Beispiel an die Einführung des Taschenrechners. Der Taschenrechner war einst umstritten, heute ist er ein etabliertes Hilfsmittel.

Ich nutze KI in meinem Unterricht unter anderem, um den Schülerinnen und Schülern beizubringen, kritisch mit den Antworten umzugehen. Zum Beispiel lasse ich eine KI eine Interpretation zu einer wissenschaftlichen Fragestellung erstellen. Die Schülerinnen und Schüler analysieren dann die KI-Antwort und überprüfen, ob sie korrekt ist oder wo Fehler liegen. So lernen sie, dass KI auf Wahrscheinlichkeiten basiert und nicht immer zuverlässig ist.

Später können die Kinder und Jugendlichen KI gezielt für Recherchen oder zur Visualisierung von Inhalten nutzen. Ich bringe ihnen die Bedeutung von Prompts bei und zeige, wie sie ihre Anfragen formulieren müssen, um gute Ergebnisse zu erhalten. Der kritische Umgang mit den generierten Informationen bleibt dabei zentral. Wenn man Unsinn in einen Taschenrechner eingibt, bekommt man Unsinn heraus. Genauso ist es mit der KI. Schülerinnen und Schüler, die ihre Hausaufgaben von der KI schreiben lassen, hätten früher vermutlich einfach aus Wikipedia kopiert. Solche Probleme gab es immer und wird es auch weiterhin geben.

News4teachers: Wie würden Sie das Unterrichtsklima an Ihrer Schule beschreiben? Haben Sie das Gefühl, dass die Schülerinnen und Schüler sich wohlfühlen und gerne lernen?

Kai Passchier: Das ist natürlich unterschiedlich, je nachdem, welche Schülergruppen man betrachtet. Außerdem hat sich das über die Zeit stark gewandelt. Vor zwei Jahren war das Klima nicht so gut. Es herrschte eher eine „Schule ist blöd“-Einstellung. Doch das hat sich langsam verbessert, weil an unserer Schule viel unternommen wurde, insbesondere durch verschiedene Projekte.

Wir nehmen regelmäßig an „Jugend forscht“ teil, engagieren uns in der “Lego League” und veranstalten Kunstausstellungen, an denen die Schülerinnen und Schüler teilnehmen können. Außerdem findet im März erstmals eine lange Nacht der Naturwissenschaften für die Schule und Besucher*innen statt. Gerade nach der Corona-Zeit musste vieles wiederbelebt werden, damit sich die Kinder und Jugendlichen wieder mit ihrer Schule identifizieren können. Das passiert jetzt allmählich. Generell nehmen die Schüler*innen solche Angebote dankbar an. Sie schätzen guten und engagierten Unterricht und sind gerne dabei, wenn neue Methoden ausprobiert werden.

“Ich bin überzeugt, dass es viele tolle Lehrkräfte gibt, die es genauso oder noch mehr verdient hätten als ich”

News4teachers: Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie davon erfahren haben, dass Ihre Schülerinnen und Schüler sie für den Deutschen Lehrkräftepreis nominiert haben?

Kai Passchier: Ich wusste, dass meine Schülerinnen und Schüler mich vorgeschlagen hatten. Sie hatten es mir bei ihrem Abschluss gesagt und mir das Video gezeigt, das sie erstellt hatten. Das war natürlich eine tolle Erfahrung, denn unabhängig davon, um welchen Preis es sich handelt oder ob man gewinnt, allein die Tatsache, dass die eigenen Schülerinnen und Schüler einen vorschlagen, ist eine große Anerkennung. Es zeigt mir, dass das, was ich tue, richtig ist und wertgeschätzt wird. Als ich dann erfuhr, dass ich tatsächlich ausgewählt wurde, war ich völlig überrascht. Die Nominierung kam erst ein halbes Jahr später. Umso schöner war es dann, die Anerkennung zu erhalten. Gleichzeitig war mir das aber auch etwas unangenehm, weil ich überzeugt bin, dass es viele tolle Lehrkräfte gibt, die es genauso oder noch mehr verdient hätten als ich.

News4teachers: Haben Sie nach der Preisverleihung konkrete Auswirkungen für sich persönlich oder Ihre Schule bemerkt?

Kai Passchier: Ja, ich wurde durchaus darauf angesprochen, zum Beispiel beim Bäcker oder von Eltern, die mir gratulierten. Das war einerseits schön, andererseits aber auch ungewohnt für mich. Einige Schülerinnen und Schüler haben mich ebenfalls darauf angesprochen – manche mit Humor, indem sie sagten: “Ich finde, meine Lehrerin ist viel besser.” Daraufhin habe ich geantwortet: “Super, wenn du deinen Abschluss machst, dann unterstütze ich dich gerne dabei, sie für den Preis vorzuschlagen!” Ob meine Auszeichnung insgesamt einen positiven Effekt auf die Schule hatte, kann ich nicht genau sagen. Wir haben die Plakette, die wir erhalten haben, in der Schule ausgehängt, und es gab Beiträge auf den Social-Media-Kanälen.

News4teachers: Gibt es etwas, das Sie sich für Ihre zukünftige Arbeit wünschen würden?

Kai Passchier: Ich wünsche mir vor allem, dass Lehrkräfte besser unterstützt werden, damit sie sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren können. Die zusätzlichen Aufgaben neben der Unterrichtsvorbereitung sind enorm. Ich glaube, wenn Lehrkräfte hier entlastet würden, wäre das ein großer Gewinn für die Qualität des Unterrichts. Wir könnten dann unsere Energie in die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern stecken, anstatt sie mit Verwaltungstätigkeiten zu verbringen. Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Meinungen und Erfahrungen der Lehrkräfte mehr in politische Entscheidungen einfließen. Es gibt viele Diskussionen über Probleme im Bildungssystem und die PISA-Ergebnisse, aber die Stimmen derjenigen, die täglich in den Schulen stehen, werden zu wenig gehört. Dabei könnte man mit einfachen Umfragen wertvolle Ideen sammeln. Nina Odenius führte das Interview

Deutscher Lehrkräftepreis: Das sind Deutschlands Lehrkräfte des Jahres – “stellvertretend für Zehntausende”

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