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“Der Islam ist hier der Chef”: Muslimische Schüler mobben schwulen Lehrer krank (nachdem der sich geoutet hat)

BERLIN. Ein homosexueller Pädagoge berichtet von Mobbing durch Schüler. Der Fall macht bundesweit Schlagzeilen. Die zuständige Senatorin hält sich aber zurück – und verweist auf bestehende Hilfsstrukturen.

Ort des Geschehens: die Carl-Bolle-Grundschule in Berlin-Moabit. Foto: Jcornelius / Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0

Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch hält sich mit Informationen und Bewertungen zu einem mutmaßlichen Mobbingfall an einer Grundschule in Moabit zurück. «Wie Sie wissen, geben wir zu Personaleinzelangelegenheiten grundsätzlich keine Auskunft», sagte die CDU-Politikerin im Abgeordnetenhaus auf die Frage eines Parlamentariers. «Grundsätzlich möchte ich aber auch betonen, dass wir selbstverständlich mit allen Fällen, die bekanntwerden, höchst sensibel umgehen und diesen umgehend nachgehen.» Ziel sei dabei, Betroffenen entsprechende Unterstützungsangebote machen zu können.

Worum es geht: Der Lehrer Oziel Inácio-Stech soll nach eigenen Angaben an der Carl-Bolle-Grundschule in Moabit von Schülern aus muslimischen Familien monatelang beschimpft, beleidigt und gemobbt worden sein. Er ging durch einen langen Leidensweg, in dessen Verlauf er nach eigenen Angaben fast zerbrochen sei. Der 43-Jährige ist derzeit krankgeschrieben, die Diagnose lautet: posttraumatisches Belastungssyndrom.

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Oziel Inácio-Stech ist homosexuell – und hat dies im Schulumfeld publik gemacht. Inácio-Stech schilderte seinen Fall nun in der «Süddeutschen Zeitung» (SZ), um auf das Problem schlecht integrierter Schüler aufmerksam zu machen.

Die SZ veröffentlichte die Geschichte unter der Überschrift „Wo leben wir denn“ Anfang der Woche – und löste damit ein bundesweites Echo aus. Die Einleitung: „Berlin, Moabit: In der Carl-Bolle-Grundschule gibt es von streng muslimischen Eltern schon Beschwerden, wenn Lehrerinnen zu kurze Röcke tragen. Und dann sagt Oziel Inácio-Stech seinen Schülern, dass er schwul ist. Die Geschichte eines Albtraums.“

Der Hintergrund: Die Schülerinnen und Schüler der betroffenen Grundschule haben zu 95 Prozent einen Migrationshintergrund. Vor neun Jahren begann Oziel Inácio-Stech dort zu unterrichten, privat ist der gebürtige Brasilianer, der seit 2010 in Deutschland lebt, mit einem Mann verheiratet. Als Konsequenz auf die grassierende Homophobie in der Schülerschaft, die mehrheitlich muslimischen Glaubens ist, habe sich der Lehrer laut Beitrag entschieden, seine sexuelle Orientierung und seinen Familienstand in der Schule öffentlich zu machen.

Auch, so heißt es, weil andere Lehrer und die Gewerkschaft GEW in ihren Publikationen homosexuellen Lehrkräften ausdrücklich dazu rieten, sich „nicht zu verstecken“. Inácio-Stech antwortete deshalb auf neugierige Fragen der Kinder zu seinem Privatleben, dass er mit einem Mann verheiratet sei. Die Reaktion auf dieses Eingeständnis war offenbar verheerend. Die Zeitung zitiert Äußerungen aus der Schülerschaft. Er sei „eine Familienschande“, er werde „in der Hölle landen“, er sei „eine Schande für den Islam“.

„Und sie treten gegen die Tür, hinter der er unterrichtet, reißen sie auf, brüllen hinein, er sei eine Familienschande, schwul sein sei eklig“

Einzelne Schüler hätten sich bei diesen hasserfüllten Äußerungen immer wieder hervorgetan, heißt es. Ein Junge etwa habe den Lehrer auf dem Schulhof vor „Hunderten anderen Kindern“ mit den Worten beschimpft, dieser sei „kein Mann“ und „ekelhaft“. Weiter hieß in dem Text über einen anderen Vorfall: „Und sie treten gegen die Tür, hinter der er unterrichtet, reißen sie auf, brüllen hinein, er sei eine Familienschande, schwul sein sei eklig.“

Der 43-Jährige habe jedoch nicht aufgegeben, sich gewehrt, etwa, in dem er den Schüler zur Rede stellte. Die Reaktion eines Jungen sei gewesen: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“ Unterstützung von Eltern, anderen Lehrern und insbesondere der Schulleitung habe es, so heißt es in dem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“, nicht gegeben.

Der Lehrer signalisiert dennoch, nicht aufgeben zu wollen. Die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt über Oziel Inácio-Stech: „Er wartet jetzt erst mal auf einen Reha-Platz. Danach möchte er den Angaben zufolge wieder unterrichten. ‘Die Kinder brauchen mich doch’, sagt er. Und er möchte tolerant bleiben, möchte ‘jetzt nicht zum AfD-Wähler werden’.” Sein Traum: „dass wir als Pädagogen in der Schule es schaffen, dass diese Kinder eine andere Welt entdecken.“

Bildungssenatorin Günther-Wünsch verwies im Abgeordnetenhaus auf Hilfsstrukturen. In dieser Legislaturperiode sei es gelungen, erstmalig nach vielen Jahren die Stellen der Antidiskriminierungsbeauftragten und der Antimobbing-Beauftragten zu besetzen und hier auch weiteres Personal anzustellen. Damit gebe es nun eine Anlaufstellen in der Senatsbildungsverwaltung. «Selbstverständlich haben betroffene Lehrkräfte, ebenso aber auch Schüler immer die Möglichkeit, zu Krisenteams oder Vertrauenslehrkräften vor Ort an ihren Schulstandort zu gehen.» Sie könnten auch das «Qualitäts- und Beschwerdemanagement» der Senatsbildungsverwaltung nutzen und das Berliner Netzwerk gegen sexuelle Gewalt.

Überarbeitete Notfallpläne und Notfallordner setzten Lehrkräfte in die Lage, Diskriminierung an ihrer Schule zu erkennen und festzustellen, um welche Art von Diskriminierung es gehe. Dort sei auch festgehalten, wie damit umzugehen sei und an wen man sich wenden könne. Eine Statistik, wie oft homosexuelle Lehrkräfte Opfer von Mobbing werden, gibt es nach Angaben der Senatorin nicht. News4teachers / mit Material der dpa

Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers heiß diskutiert (Auszug):

Wie sollen Schulen reagieren, wenn muslimische Schüler religiöse Regeln einfordern?

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