SCHWERIN. Inhalte und Formen der Schulbildung passen nicht mehr in die Zeit – meinen jedenfalls Schülerräte in Mecklenburg-Vorpommern. Mit einem Bildungsprotest haben sie ihren Reformvorschlägen Nachdruck verleihen: Schülerinnen und Schüler aus dem ganzen Land demonstrierten heute in Schwerin. «Mit dieser landesweiten Aktion machen wir deutlich, dass die Schule, wie wir sie heute erleben, den Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gerecht wird», hieß es im Aufruf des Landeschülerrats.
Der Protest der Schülerinnen und Schüler stößt auf große öffentliche Resonanz – und findet Zustimmung von unerwarteter Seite: Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), in der viele Lehrkräfte organisiert sind, lobt das Engagement. „Mit der Aktion nehmen Schüler ihre demokratischen Rechte wahr und beleben den Diskurs um ein zeitgemäßes Bildungssystem“, erklärte die GEW. Einige Forderungen deckten sich sogar mit den Positionen der Bildungsgewerkschaft.
Doch worum genau geht es den Schülerinnen und Schülern? Einer der zentralen Punkte: Der schulische Umgang mit psychischer Belastung, Stress und ineffizientem Lernen. Der Landesschülerrat fordert ein eigenes Fach für Lernmethodik und Resilienzförderung – mehr als einen einmaligen „Tag der mentalen Gesundheit“. „Die Situation an Schulen ist häufig so, dass die Schülerinnen und Schüler ins Abitur gehen, ohne ihren Lerntyp zu kennen oder eine effektive Lernmethode zu beherrschen“, heißt es im Forderungskatalog.
„Viele Schülerinnen und Schüler empfinden Schule als hierarchisch und entmündigend – als ob ihre Stimme keine Bedeutung hätte“
„Die Dauerbelastung von durchschnittlich 35 Unterrichtswochenstunden plus Hausaufgaben in der Oberstufe stellt eine große mentale Belastung dar. (…) Bekommen die Schülerinnen und Schüler nicht vermittelt, wie man effektiv lernt, wird die restliche Freizeit oft vollständig von der Schule eingenommen.“ Die Folge: Sport, soziales Engagement, Zeit für Familie und Erholung – all das bleibt auf der Strecke. Die Schule, so der Tenor, müsse die mentale Gesundheit nicht nur thematisieren, sondern systematisch fördern.
Ein weiterer Vorschlag: verpflichtende schriftliche Hausaufgaben abzuschaffen. Die Begründung: Hausaufgaben seien eine zusätzliche Belastung – und würden durch die Verfügbarkeit generativer KI wie ChatGPT zunehmend ihren ursprünglichen Zweck verfehlen. „Lehrkräfte können kaum nachvollziehen, ob Schülerinnen und Schüler die Aufgaben selbst gelöst haben, was eine faire Bewertung erschwert und das eigentliche Lernziel verfehlt“, so der Rat.
Stattdessen solle es frei zugängliche Übungsmaterialien geben. Die gewonnene Zeit könne sinnvoll für außerschulisches Engagement genutzt werden: „Diese freie Zeit ist besonders wertvoll, da sie mehr Möglichkeiten für Projekte schafft, die Demokratie an Schulen erlebbar machen.“
Apropos Demokratiebildung: Die ist ein zentraler Punkt in den Reformvorschlägen. Im Forderungskatalog wird kritisiert, dass Demokratie an vielen Schulen eher als „Prüfungsstoff“ denn als gelebtes Prinzip vermittelt werde. „Viele Schülerinnen und Schüler empfinden Schule als hierarchisch und entmündigend – als ob ihre Stimme keine Bedeutung hätte. Demokratie wird zwar im Unterricht vermittelt, bleibt aber oft nur ein Prüfungsstoff, der schnell wieder in Vergessenheit gerät.“
Der Landesschülerrat fordert deshalb mehr reale Mitbestimmung auf allen Ebenen: in Klassen, Schulen, Städten und auf Landesebene. Demokratische Prozesse müssten im Schulalltag „erlebbar und gestaltbar“ werden, und das bedeute auch: mehr Zeit, mehr Strukturen und mehr Bereitschaft zur Beteiligung.
„Die Schule hat den Auftrag, Schülerinnen und Schüler zu eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Erwachsenen zu erziehen“
Mit der Forderung nach einer sogenannten „Green Card“ präsentieren die Schüler eine neue Idee zur individuellen Lernorganisation. Die Green Card soll es Oberstufenschüler*innen ermöglichen, sich zweimal pro Semester vom Unterricht befreien zu lassen – zur gezielten Klausurvorbereitung. „Die Schule hat den Auftrag, Schülerinnen und Schüler zu eigenverantwortlichen und selbstbestimmten Erwachsenen zu erziehen. Dazu gehört auch, dass sie lernen, ihre Zeit sinnvoll einzuteilen (…). Besonders lange Schultage, die sich weit in den Nachmittag erstrecken, erschweren eine individuelle Lernorganisation zusätzlich.“
Mit einem schriftlichen Antrag und der Zustimmung der Schulleitung wäre die Green Card ein flexibles Instrument – nicht zum Schwänzen, sondern zum selbstverantwortlichen Lernen.
Nicht zuletzt richtet sich Kritik der Schülerinnen und Schüler auch an die (zu) engen Vorgaben in den Rahmenplänen. Die Schüler wünschen sich mehr Raum für individuelle Interessen und Projekte – was vielen Lehrkräften aus dem Herzen sprechen dürfte. „Damit Lehrkräfte ihren Unterricht individueller gestalten können, muss im Rahmenplan die Möglichkeit berücksichtigt werden, thematisch auf die Interessen der Schülerinnen und Schüler eingehen zu können“, so meinen die Schülerinnen und Schüler. Dazu soll es künftig verbindliche Unterrichtseinheiten ohne thematische Vorgabe geben – um gemeinsame Projekte, vertiefte Diskussionen oder kreative Prozesse zu ermöglichen. News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zum vollständigen Forderungskatalog der Schülerräte.
Der Beitrag wird auch auf der Facebook-Seite von News4teachers hitzig diskutiert (Auszug):
