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Eine Lehrerin kommentiert: Wenn die Grundlagen fehlen, nützt auch “Alltagskunde” wenig

DÜSSELDORF. Die Forderung ist so alt wie verbreitet: Schulen sollen Schülerinnen und Schülern mehr Alltagswissen vermitteln – von gesunder Ernährung über Medienkompetenz zur Steuererklärung bis hin zum Abschließen eines Mietvertrags. Zuletzt brachte die Krankenkasse DAK das Thema wieder mal auf die Tagesordnung (News4teachers berichtete). Im Leserforum kommentierte Lehrerin „Ça me fatigue“ die Diskussion um die Lehrpläne – wir veröffentlichen den lesenswerten Post an dieser Stelle nochmal als Gastkommentar.

Lektionen in gesunder Ernährung? Illustration: Shutterstock

Um einen Mietvertrag oder generell einen Vertrag abschließen zu können, ein Finanzierungsmodell zu verstehen oder ein Bankkonto zu eröffnen (auch ein Vertrag), benötigt man in erster Linie Deutschkenntnisse (sinnverstehendes Lesen von Texten und Paragrafen in winziger Schrift mit Fachwörtern aus den verschiedenen Sparten) und Mathekenntnisse (verschiedene Modelle miteinander vergleichen). Man sollte auch die Handschrift (nicht Druckschrift) beherrschen, um unterschreiben zu können und handschriftliche Aufzeichnungen z. B. aus einem Gespräch mit einem Versicherungsagenten entziffern zu können.

Wenn man diese oben erwähnten Fähigkeiten nicht hat, wird es auch problematisch sein, die gewünschten Themen zufriedenstellend zu bearbeiten.

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Es gibt sicher auch diejenigen, die z. B. in der 10. Klasse einigermaßen fit in all diesen Dingen sind. Die haben dann aber auch kein Problem, sich das fehlende Fachwissen allein anzueignen, sobald sie es benötigen.

Das ist ähnlich wie in den Naturwissenschaften: Ohne die Grundlage hat man keine Chance, kompliziertere Themen „zusammen zu puzzeln”. Deshalb benötigt man die Grundlagenforschung, die erst mal keinen Profit gibt. Erst, wenn man viele Dinge erforscht hat (ohne deren Nutzen zu kennen), kann man durch Kombinieren auf Neues stoßen, das sich dann irgendwann verwenden/vermarkten lässt. Das ist aber ein laaaaanger Weeeeg.
Aber dieses Modell versteht ja auch die Mehrheit der Gesellschaft nicht.

Das Kleinkind hat Laufen gelernt – also rauf auf den Mount Everest.
Vorher sollte aber totlangweiliges Training erfolgen – jahrelang.

“Dass der Weg zum Ziel das eigentliche Ziel ist, ist in die Köpfe nicht reinzubekommen. Bedauerlich!”

Das ist genauso mit den sogenannten Alltagsproblemen, die die heutigen Schulabgänger und -innen nicht mehr gelöst bekommen. Ja klar: Wenn vorher die Grundlagenforschung zu langweilig war, hat man halt Google oder die allwissende KI gefragt. Man selbst hat zwar keine Ahnung, aber es ist ja egal, wie was auf das Papier kommt, Hauptsache, die Lösung stimmt. Dass aber der Weg zum Ziel das eigentliche Ziel ist, ist in die Köpfe nicht reinzubekommen. Bedauerlich!

Da hilft auch die Zusatzstunde „Wie eröffne ich ein Konto” nur wenig. Das ist für viele Schülys zu weit weg – und da muss man ja was lesen, was man nicht auf Anhieb versteht! Dass das irgendwie wichtig sein könnte, merken sie erst, wenn sie aus der Schule draußen sind. Ohne Grundlagen geht gar nichts und ohne Motivation geht nichts in die Köpfe.

Im Übrigen sei erwähnt, dass es in Gesamtschulen die Arbeitslehre gibt, in der auch solche Themen behandelt werden. In Gymnasien wäre es eine Idee für ein Wahlfach oder eine AG.

Das Mediennutzungsproblem und die damit einhergehende ungesunde Lebensweise (zu wenig Schlaf, ungesunde Ernährung, wenig Bewegung, Suchtverhalten mit folgenden psychischen Problemen) ist extrem groß, aber von der Schule nur zu einem kleinen Teil zu beeinflussen. Aus meiner Sicht benötigen hier auch die Eltern Fortbildungen.

Ob sie die Ratschläge dann in die Realität umsetzen können, liegt an den Möglichkeiten, die die Eltern haben: Lässt der Beruf genug Zeit für die Kinder / verstehen sie, worum es geht / haben sie mit sich selbst schon zu viel zu tun und die Kinder überfordern sie / kommen die Kinder in ein „komisches” Umfeld und wollen Dinge, die die Eltern nicht möchten, ohne die sie aber ausgegrenzt werden (wie Modezwang) …? Usw.

“Man kann tatsächlich auf ein Suchtverhalten bei einem großen Teil der Schülerschaft schließen”

Ein Suchtkranker benötigt normalerweise eine Therapie in Einzelbetreuung. Das kann Schule sicher nicht leisten – Eltern allein auch nicht. Wenn man die Mediennutzungsgewohnheiten der Kinder abfragt und sich gleichzeitig die übliche Schlafdauer pro Nacht sagen lässt, kann man erkennen, dass für viele kaum Zeit für Schule (nach der Schule – also Hausaufgaben machen, lernen, lesen, Musikinstrument üben …) übrigbleibt. Zum Essen ist auch nicht viel Zeit. Das sind dann oft die Verhaltensoriginellen und schwachen Schülys.

Die anderen haben einen vollen Stundenplan mit Sport und allerlei anderen Dingen, sie schlafen genug und sind in der Schule unauffällig. Das sind im Normalfall auch die, die beim Ausflug Apfel und Karotte dabeihaben. Wenn man nun annimmt, dass die Aussagen der Kinder der Wahrheit entsprechen, kann man tatsächlich auf ein Suchtverhalten bei einem großen Teil der Schülerschaft schließen.

Besorgniserregend!

P.S. Meine Bemerkungen beziehen sich auf eigene und reale Beobachtungen und Auswertungen von Mitteilungen meiner SuS. Es handelt sich nicht um eine Studie und für eine Statistik ist die Zahl der Probanden zu klein. Dennoch kann man eine Tendenz erkennen und vorsichtig auf Zusammenhänge schließen, die offensichtlich erscheinen. News4teachers 

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